[Update 17.08.: Inzwischen gibt es eine ausführliche Stellungnahme der Macher zu der Dokumentation (hier). Sehr lesenswert, sie wirft ein deutliches Licht auf die unten verlinkten Stellungnahmen der Gemeinden.]
Der Aufschrei war zu erwarten. Letzte Woche lief in der ARD die Dokumentation „Mission unter falscher Flagge – Radikale Christen in Deutschland“ – und schon werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, sich über diesen Beitrag zu beschweren (neben den zahlreichen Stellungnahmen (s.u.) gehört natürlich auch eine wütende Petition zum Programm: Ein eifriger Mensch hat diese am Tag nach der Ausstrahlung (4.8. um 22.40 Uhr) zusammengetackert.)
Es ist als Außenstehender schwer zu bewerten, was im Detail nun stimmt oder nicht. Die ARD-Journalisten sagen dies, die Gemeinden sagen jenes. Freilich sind die Sympathien nun klar verteilt: Wer zu den jeweiligen Gemeinden in einer (persönlichen?) Beziehung steht, glaubt den Stellungnahmen zur Sendung. Wer ohnehin schon seine Vorstellung von „radikalen Christen“ hat, tut diese als erwartbare Dementi ab, die mit der Wahrheit nicht viel zu tun haben. Aber mir geht es gar nicht um die Unsauberkeiten, die hier möglicherweise vorliegen.
Man könnte viel schreiben, aber ich konzentriere mich auf zwei Dinge.
1. Mission = Mission = schlecht?
„Mission“ scheint ein „Kampfwort“ geworden zu sein, wenn es um die Darstellung von Glaubensgemeinschaften geht. Und das wird auch in der Dokumentation vermittelt. Eine Quintessenz, die bei mir hängengeblieben ist: eine Gemeinde, die aktiv Mission betreibt, ist intolerant und trägt sektiererische Züge. Das wird so explizit nicht gesagt, aber wieder und wieder vermittelt. Der Begriff „Mission“ ist ein Reizbegriff und für viele äußerst negativ besetzt – nicht immer zu unrecht.
Aber: „Mission“ ist nicht per se schlecht – und keinesfalls gleichzusetzen mit Intoleranz und der Verteufelung anderer Lebens- und Glaubenskonzepte. Denn Mission ist zunächst einmal eine logische Konsequenz, wenn man von etwas überzeugt ist. Politiker werben um Zustimmung zu ihren Positionen. Greenpeace, WWF, BUND, NABU werben – mitunter äußerst aggressiv – in den Fußgängerzonen um Mitglieder. Atheisten stehen in Diskussionen für ihre Überzeugungen ein. Und Christen tun das auch. Und all das ist für eine funktionierende Gesellschaft wichtig: Das Jede und Jeder die Möglichkeit hat, für das einzustehen, an das er oder sie glaubt. Und genau so ist Mission zunächst einmal zu verstehen.
Und hier trennt der ARD-Beitrag nicht scharf genug. Es werden zurecht viele wichtige Kritikpunkte aufgezeigt. Aber sie werden so sehr mit dem Begriff der „Mission“ , der ja schon im Titel vorkommt, vermischt, dass unweigerlich ein Generalverdacht entsteht: Wer missioniert, tickt nicht richtig oder ist intolerant.
Ja, es ist problematisch, wenn Vielfalt nicht mehr möglich ist. Es ist problematisch, wenn in Gemeinden Druck erzeugt wird, zu spenden. Es ist scharf zu verurteilen, wenn psychische Abhängigkeiten entstehen und Heilungsversprechen zur Verzweiflung führen. Aber es ist nicht zielführend, das alles unter dem Begriff „Mission“ zu subsumieren, weil es die eigentlichen Probleme verdeckt.
2. Hört doch auf, so zu bellen
Der zweite Punkt richtet sich an die andere Seite. Manche Reaktionen in sozialen Netzwerken, Blogs, Foren („Ich hab es nur 5 Minuten gesehen und musste dann ausschalten. Aber die Sendung ist furchtbar!“) und nicht zuletzt oben verlinkte Petition (die übrigens auch von Stimmen aus dem evangelikalen Lager kritisiert wird) bringen mich auf die Palme. Es ist der allseits bekannte Reflex, der die Szene durchläuft. Wie schon bei der Satire „Dunk dem Herrn“ von Carolin Kebekus, dem schon etwas älteren Buch „Mission Gottesreich“ oder anderen diversen TV-Formaten werden wütende Reaktionen laut, die schwerwiegende Vorwürfe erheben und teils lächerliche Maßnahmen der diversen Fernsehsender fordern. Das Bild, das sich dabei in der Öffentlichkeit zwangsläufig zeichnen muss: Getroffene Hunde bellen.
Ja, man darf sich wehren, wenn man sich ungerecht behandelt/dargestellt fühlt. In bestimmten Kreisen scheint das aber schon beim leisesten Anflug von Kritik zum guten Ton zu gehören: Wenn die Medien etwas kritisch darstellen, wird losgefeuert. Ich rege mich darüber vor allem deswegen auf, weil diese Art des Umgangs mit Kritik in der Regel die notwendige Reflexion vollständig überdeckt und nur noch polemisch in eine Richtung geschossen wird. Denn es gibt wichtige Fragen, die beantwortet werden müssten – gerade im Interesse der angeprangerten Gemeinden und Organisationen. Spontane Stichworte, die mir durch den Kopf schießen: Gemeindestrukturen; Machtmissbrauch; missverständliche und problematische Botschaften (z. B. im Bereich der Heilung); „Sündenkataloge“; psychische und finanzielle Abhängigkeiten – es gibt, das weiß ich aus eigener Erfahrung, definitiv einiges zu tun. Doch statt zu überlegen, wo die vorgebrachte Kritik zutreffen könnte und wo vielleicht tatsächlich einiges schief läuft, wird halt erstmal wieder laut geschrien.
Der Vorsitzenden der Evangelischen Allianz, Michael Diener, hat einigermaßen besonnen reagiert. Er schreibt genau zu diesem Punkt:
Zugleich will ich deutlich sagen: christlicher Glaube soll befreien und nicht in die Abhängigkeit führen. Es ist notwendig, dass christliche Gemeinden und Gruppen immer wieder überprüfen, ob die Erlebnisdimension des Glaubens überbetont wird oder die Gefahr der Manipulation von Menschen besteht. Wir sind als Evangelische Allianz dankbar für das Glaubensprofil charismatischer und pfingstlicher Gemeinden, aber gerade hier ist an dieser Stelle besondere Vorsicht geboten. Durch Handzeichen eine Heilung von einer Depression anzuzeigen, ist ebenso unseriös, wie die Aufforderung, Spendengelder für alle sichtbar hochzuhalten. Auch schriftliche Beichtspiegel, die weit in die Intimsphäre eines Menschen eingreifen, halte ich für unangebracht. Evangelische und christliche Beichte insgesamt sehen anders aus.
Es ist auch nicht verkehrt, sich einmal aufzeigen zu lassen, wie unsere Veranstaltungen auf säkulare Besucher wirken können.
Ja, es gibt radikale Ausprägungen christlichen Glaubens*, die äußerst problematisch sind. Viele von ihnen wurden in der Dokumentation gezeigt, einige sind leider sogar sehr verbreitet. Und deswegen stimme ich Michael Diener nur bedingt zu, wenn er sagt, der TV-Beitrag zeige, „wie sehr säkulare und christliche Weltbilder auseinander klaffen“. Als jemand, der selbst ein christliches Weltbild teilt: Auch meine Sicht auf die Dinge reibt sich mit vielen evangelikaleren Interpretationen, die ich nicht für trag- und vertretbar halte. (Und hier gehören ausdrücklich einige der gezeigten Szenen dazu).
Dennoch: Vielfalt muss in alle Richtungen gelten. Es kann nicht der Weg sein, sich gegenseitig den Mund zu verbieten. Was auf solch kritische Beiträge folgen sollte, ist deshalb eine fruchtbare, intensive Diskussion. Und keine gegenseitigen polemischen Schuldzuweisungen.
Weiterführende Links
„Mission unter falscher Flagge“ bei Youtube
Stellungnahmen
*Als solche stellen die Macher der Doku übrigens die von ihnen kritisierten Ausuferungen dar. Am Ende des Films sagt die Off-Sprecherin, es gebe viele Evangelikale, die, wie jeder andere auch, eine eine vielfältige Gesellschaft begrüßen. Mit Blick auf das Dargestellte spricht sie von „erschreckenden Einblicken, die die ganze evangelikale Bewegung diskreditieren“. Aber auch hier verweise ich auf meinen Punkt 1 – es hat nichts mit Mission zu tun, ob jemand eine „Vielfalt“ in der Gesellschaft begrüßt!