Was ist eigentlich mit dem Webfish passiert?

Der Webfish ist ertrunken. (Bild: ekd.de)
Der Webfish ist ertrunken. (Bild: ekd.de)

Vor ziemlich genau zwei Jahren wurde auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg der Webfish 2013 verliehen. Theopop gehörte damals zu den Preisträgern, Bronze ist’s geworden. Doch dann wurde es still um den Preis, den die EKD gemeinsam mit dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) Jahr um Jahr verliehen hat. Immerhin seit 1996! Auf der zugehörigen Webseite ist über den Webfish heute nur zu lesen: „Seit 2014 legt der WebFish zunächst eine regenerative Pause ein. Doch seien Sie mit uns gespannt, wie sich die christliche Internetszene weiterentwickelt.“

Was ist passiert? Bedeuten diese kryptischen Worte, dass der Preis eingestellt wurde? Und wenn ja, warum? Fragen über Fragen – und Grund genug, einfach mal nachzuhaken.  Sven Waske, Oberkirchenrat und Leiter der EKD-Online-Redaktion, hat mir per Mail einige Fragen dazu beantwortet. Offenbar war man dort ganz grundlegend mit der Struktur des Webfishes nicht mehr zufrieden. Der Webfish ist vor fast 20 Jahren als Preis für christliche Webseiten entstanden, deren Zahl damals noch recht überschaubar war – und deren Form vor allem deutlich einheitlicher war als dies heute der Fall ist.

„Social Media Projekte konnten nur begrenzt abgebildet werden. Hinzu kommt: In der Vergangenheit haben große kirchliche Medienhäuser oder Werke gegen Angebote von Basisinitiativen oder Einzelpersonen konkurriert. Das war nicht immer glücklich“, schreibt Waske. Da kann man nur zustimmend nicken – das Problem, dass es etwa keine unterschiedlichen Kategorien bei der Preisverleihung gab, wurde schon länger auch in den sozialen Medien diskutiert und bemängelt. Das führte nämlich dazu, dass zum Beispiel bei der letzten Preisverleihung Angebote wie gemeindemenschen.de (Sieger 2013), die ein gewisses Budget zur Verfügung hatten, gegen Angebote wie dieses Blog antraten. Budget: Fehlanzeige.

Auf unbestimmte Zeit „pausiert“

Der Webfish hätte also eine Rundum-Sanierung gebraucht, um dem Medium Internet auch in seiner heutigen Form gerecht zu werden.  Waske: „Ein ‚einfach weiter so‘ schien nicht mehr sinnvoll“. Im vergangenen Jahr wurde von der VELKD zudem der Wettbewerb „Evangelium digital“ ins Leben gerufen, der sich speziell an Kirchengemeinden, kirchliche Gruppen und Kirchenkreise richtet (Bewerbungsfrist: Juli 2015, wer also noch mitmachen will…). Außerdem verweist Sven Waske auf den chrismon Gemeindewettbewerb, der in der Kategorie „Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising“ ebenfalls die Möglichkeit bietet, sich mit digitalen Projekten zu bewerben. „Der Rat der EKD hat angesichts dessen das Kirchenamt und das GEP im vergangenen Jahr gebeten, zunächst mit dem Webfish zu pausieren“, so Waske.

Interpretiert man Klartext in diese Ausführungen, heißt das: Der Webfish wurde auf unbestimmte Zeit eingestellt. Pläne zur Wiederaufnahme gibt es derzeit ganz offensichtlich nicht. Man hofft vielmehr, so Waske, „dass der neue Preis ‚Evangelium digital‘ ein Erfolg wird“.

Konkurrenz oder Ergänzung?

Davon abgesehen, dass ich das natürlich auch hoffe, finde ich die Einstellung des Webfishes bedauerlich. Denn sowohl „Evangelium digital“ als auch der chrismon Gemeindewettbewerb richten sich ausschließlich an kirchliche Gruppen. Der Webfish war da offener gestaltet – auch wenn in der Vergangenheit sehr häufig Gemeinden oder kirchliche Gruppierungen gewonnen haben.

Angebote wie dieses Blog oder zum Beispiel auch offene-bibel.de (nominiert 2011) oder godnews.de (nominiert 2011) fallen aber bei den anderen Preisen schon bei den Bewerbungskriterien raus. Der Webfish steht also keineswegs als Konkurrent neben den anderen Wettbewerben, sondern könnte sich mit einem durchdachten, neuen Konzept durchaus als toller Preis für christliche Initiativen im Internet außerhalb kirchlicher oder gemeindlicher Strukturen etablieren. Schade, dass das derzeit offenbar kein Thema ist.

 

Warum ist Petrus unser Donnergott?

(Bild:  802/flickr.com unter CC-BY-SA 3.0)
(Bild: 802/flickr.com unter CC-BY-SA 3.0)

Ob Petrus einen guten oder einen schlechten Tag hat, kann man schnell feststellen. Ein Blick aus dem Fenster und die Sache ist geritzt. Scheint die Sonne, ist er gut drauf – schifft, hagelt oder donnert es, liegt bei ihm irgendetwas im Argen. So ist es zumindest umgangssprachlich; Petrus und das Wetter sind weit über die Volksfrömmigkeit hinaus ein unzertrennliches Duo. Doch was hat denn der Apostel Petrus mit dem Wetter am Hut?

So wirklich habe ich mir diese Frage nie gestellt, bis vor einigen Wochen – aus keinem bestimmten Grund. Vielleicht, weil gerade der April vor der Tür stand. Nach kurzem Überlegen war da auch schon ein Lösungsgedanke – ein Zitat Jesu, das in unserer Geschichte sehr weitreichende Folgen hatte und bis heute hat:

Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.  (Mt 16,19)

Die Verse Mt 16,18-19 spielen in der Begründung des Papsttums eine wesentliche Rolle. Petrus ist nicht nur der Fels, auf den Jesus seine Kirche bauen will, sondern auch derjenige, der diesem Vers zufolge die Schlüssel zum Himmelreich in der Hand hält. (Die kultur- und kirchengeschichtliche Bedeutung dessen ist eigentlich nicht zu unterschätzen). Sollte ihn das im Volksglauben auch zum „Wetter-Verantwortlichen“ gemacht haben? Zu demjenigen, der die Macht hat, die „Himmelsschleusen“ zu öffnen, der ganzen Flut also freien Lauf zu lassen?

Eine etwas weitere Recherche hat das bestätigt: Petrus wurde durch die Schlüsselübergabe in der Volksfrömmigkeit tatsächlich zu einer Art Wettergott, oder besser Wetterheiligen. Gewissermaßen ist das ein Überbleibsel aus der vorchristlichen Zeit: Die Funktionen der alten Götter (bei den Germanen war zum Beispiel Thor für das Wetter verantwortlich) mussten ja irgendwie in der alltäglichen Frömmigkeit ersetzt werden. Obwohl man sich offiziell von ihnen losgesagt hat, so ganz trennen konnte man sich doch nicht. (Übrigens kein ungewöhnlicher Vorgang, wenn eine „neue“ Religion/Weltanschauung auf bestehende religiöse Strukturen trifft).

Und so haben wir heute noch den sprichwörtlichen Petrus vor der Himmelspforte sitzen, mit seinen großen Schlüsseln, der bei Bedarf (oder schlechter Laune?) einfach mal die Schleusen öffnet. Auch wenn mit Sicherheit weder Petrus noch Jesus in der von Matthäus überlieferten Szene ans Wetter gedacht haben.

Mein Haus, mein Auto, „Mein Papst“

(Bild: Panini)

Mein Gott, „Mein Papst“ ist endlich da! Seit Mittwoch erscheint im deutschsprachigen Raum die erste Illustrierte, die sich dem Oberhaupt der Katholischen Kirche widmet. Ausschließlich. 72 Seiten Pontifex aus allen Perspektiven. Schon zum Auftakt liefert das Blatt alles, was das katholische Illustriertenherz begehrt: eine Homestory („So lebt der Heilige Vater“), Shopping-Tipps („Hier kauft Papst Franziskus seine Berufskleidung“) und eine Experten-Analyse von Franziskus‘ Handschrift („Post von Papst Franziskus“).

Bei „Mein Papst“ ist der Titel zugleich Credo. Dass das Heft von Franziskus-Fans für Franziskus-Fans gemacht wird, ist nicht nur am Cover erkennbar. Kaum eine Seite, auf der der lächelnde Endsiebziger den Leser nicht fröhlich begrüßt. Und freilich wird der Oberhirte nur im besten Licht dargestellt. Die Schriftanalyse etwa, die laut Redaktion „nie lügt“, fördert bei Franziskus ausschließlich positive Charakterzüge zutage. Um nur einige davon zu nennen: gesellig, selbstkritisch, gutmütig, sensibel, einfühlsam, tiefgründig und voller Willenskraft.

Diese Franziskus-Lobhudelei ist, wenig überraschend, etwas ermüdend. Bereits nach der ersten Ausgabe fragt man sich, womit die Macher künftige Hefte füllen wollen. Vielleicht mit noch mehr Gesundheits- und Reisetipps, Kreuzworträtseln und Rezepten – denn natürlich dürfen auch diese nicht fehlen. 15 Seiten nehmen sie im Auftaktheft ein. Wer hier geistlichen Inhalt erwartet, wird enttäuscht. Dieser Bereich ist durchweg weltlich gehalten. In Ausgabe eins gibt es Lammkotelett mit Pfannengemüse, zum Nachtisch eine schnelle Espresso-Mousse.

Kritische Töne fehlen gänzlich, das ist wohl auch so beabsichtigt. „Mein Papst“ ist ein Wohlfühl-Magazin, das nicht informiert, sondern Franziskus zum Helden stilisiert. Wichtige Themen, die die Diskussionslandschaft in der katholischen Kirche aktuell prägen, tauchen nicht auf. Dafür aber weiß man nach der Lektüre, welche Hutgröße der Papst hat (Spoiler: Sieben).

Biografie zum Sammeln

Herausgegeben wird „Mein Papst“ vom Panini-Verlag, der eigentlich für Sammelbildchen bekannt ist. Auch dieser Aspekt darf in der neuen Illustrierten nicht fehlen. Zwar gibt es keine Sticker, dafür aber die Lebensgeschichte von Franziskus in mehreren Teilen. Zum Sammeln natürlich. Die Seiten der Biografie sind sogar separat nummeriert, ein einfaches Heraustrennen und ordnungsgemäßes Abheften ist also gesichert.

„Il mio Papa“ heißt das italienische Original, das in Italien schon seit rund einem Jahr erscheint – mit einer Auflage von 500.000 Stück. Auch beim deutschsprachigen Pendant ist man optimistisch, 250.000 Hefte werden pro Monat gedruckt (Kostenpunkt: 1,80€). Die Zielgruppe ist dabei klar umrissen: Panini will nach eigenen Angaben „Frauen ab 40 ansprechen, die ein großes Interesse am Pontifex und dem Vatikan haben“. Vor allem in Ballungsgebieten und katholischen Regionen soll das Blatt an die Leserin gebracht werden. Kioskbesitzer werden angehalten, „Mein Papst“ bei den aktuellen Frauenzeitschriften zu platzieren.

„Es geht darum, Papst Franziskus als Menschen authentisch darzustellen, als volksnah und bescheiden“, sagt Chefredakteurin Karin Grassl zum Start der Illustrierten. Ob dies allerdings ausgerechnet mit einem Fanzine gelingt, das den Pontifex in Celebrity-Manier zum Superstar erhöht, sei einmal dahingestellt.

(Dieser Text erschien zuerst bei n-tv.de)

Quiz: Stadion oder Gottesdienst?

(Bild: Ali Brohi/flickr.com)
(Bild: Ali Brohi/flickr.com)

Fußballhymne oder christliches Liedgut? Oft ist das nicht so einfach auseinanderzuhalten. Nicht nur haben beide oft wegen ihrer eingängigen Melodien großes Ohrwurm-Potenzial, auch inhaltlich gibt es Parallelen. Viele. Probiert es selbst aus – mit den folgenden 15 Liedzeilen. Bei jeder heißt die Frage: Stadion oder Gottesdienst? Die Auflösung gibt’s, wenn ihr alle ausgefüllt und am Ende auf „Bestätigen“ geklickt habt. Viel Spaß!

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Mission mit heißer Luft

Es gibt bald einen Heißluftballon mit einem riesigen Jesus-Porträt. So soll er aussehen:

In die Luft gehen soll der Ballon am 5. April – der Jungfernflug wird also passenderweise am Ostersonntag stattfinden (hier der Washington-Times Bericht). Die Firma, die das Ganze verantwortet, ist besonders stolz auf den „Risen-Balloon“. Explizit geht es darum, „die frohe Botschaft zu feiern“ und andere darauf aufmerksam zu machen. Man kann den Ballon auch mieten – allerdings muss man dafür gläubiger Christ sein. Denn:

The Risen Balloon is available to attend balloon events or other Christian outreach events. In order to sponsor the balloon you or your organization must be believers in the sanctity of the Holy Bible, you must profess your faith of either the Apostolic or Niacin creed or outwardly profess belief in the Holy Bible.

Hemant Mehta wirft auf seinem Blog „Friendly Atheist“ eine interessante Frage auf: Was würde passieren, wenn eine Gruppe von Christen, die offen homosexuell sind, diesen Ballon mieten wollte? Er fragt das zwar vor einem US-amerikanischen Hintergrund, und bekanntlich lässt sich die religiöse Landschaft in den USA nicht mit der in Deutschland vergleichen. Doch die zugrunde liegende Frage ist eine, die immer wiederkehrt – und auch hierzulande Konfliktpotenzial birgt: Wer definiert denn, was „Glaube an die Heilige Schrift“ oder die „Unantastbarkeit der Heiligen Bibel“ bedeutet?

Der „Risen-Ballon“ ist nicht der erste Ballon mit einem religiösen Motiv. Auf der Webseite von SkySails heißt es (als Rechtfertigung dafür, warum man eine Notwendigkeit für die Produktion dieses neuen Ballons sieht):

There have been a few religious themed balloons, but they tend toward the softer ethereal or philosophical aspects of the faith or centered on a single denomination, as opposed to the core of the faith (The death of Jesus, a sinless man, for our sins, followed by his resurrection, which illustrates our potential salvation) This essential truth is foundational to all of Christianity.

Und natürlich liefern sie auch Beispiele für solche „religiösen Themenballons“, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Warum nun das Kreuz auf dem letzten Ballon nicht zum Kern des christlichen Glaubens zählen und für alle christlichen Denominationen wesentlich sein soll, erklären sie leider nicht.

„Kreuzige ihn!“ – Gedanken zu Shitstorms

Screenshot aus dem Anti-KitKat-Video von Greenpeace.
Screenshot aus dem Anti-KitKat-Video von Greenpeace.

Alle gegen einen: Wenn im Internet ein Shitstorm losgetreten wird, kann das für Betroffene ungemütlich werden. Mitunter kann eine solche Entrüstungswelle zwar Positives bewirken. Doch wer seiner Entrüstung durch einen schnellen Klick oder einen kurzen Tweet im Netz freien Lauf lässt, versetzt sich selten in die Lage des Gescholtenen. Wie fühlt sich einer, auf den gnadenlos eingedroschen wird? Vor dem Hintergrund eines christlichen Menschenbildes empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzutreten.

„Pegida-Shitstorm gegen Justizminister Maas“ – so titelte die Bild-Zeitung am 11. Januar. Der Hintergrund war ein anonymer Aufruf eines Pegida-Anhängers, der sich von der deutlichen Kritik des Justizministers an der Bewegung auf den Schlips getreten fühlte. Im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlichte der „Patriotische Europäer“ eine Aufforderung an seine Gesinnungsgenossen: „Hi Leute, es gibt eine Facebook-Seite, die unserer Aufmerksamkeit bedarf, es ist die von Politiker Heiko Maas […] Müllt dem ordentlich die Seite zu.“ Der Versuch, einen Cybermob gegen den Politiker aufzubringen, gelang nicht wirklich. Es meldeten sich zwar einige wütende Menschen bei Maas – doch der ging in die Offensive und verkündete: „Das bestätigt und bestärkt mich nur noch in meiner Position. Liebe Besucher, bitte also über den ein oder anderen schrottigen Kommentar auf dieser Seite hier nicht wundern, da wollen sich einige nur austoben.“ Kurze Zeit später war die Sache vergessen.

Shitstorms sind im Internet alltäglich geworden. Kaum ein Tag vergeht, an dem Medien nicht darüber berichten. Der inflationäre Gebrauch des Wortes führt dazu, dass inzwischen alles zum Shitstorm wird. Wo Kritik aufhört und der Shitstorm beginnt, weiß niemand mehr so genau. Shitstorms sind aber in jedem Fall Indikatoren dafür, dass wir uns im Internet tatsächlich in einem „Neuland“ bewegen (ein Begriff übrigens, für den Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Shitstorm der empörten Internet-Gemeinde erntete). Denn die Mechanismen, die Skandale im Internet auslösen, haben wir noch nicht vollends begriffen. Den einen trifft es, der andere umschifft den Sturm erfolgreich. An vielen Fällen lässt sich ablesen: Die Konsequenzen, die der Erfolg der Neuen Medien mit sich bringt, haben wir noch lange nicht verstanden.Egal ob es sich dabei um Datenschutz, Privatsphäre oder soziale Kompetenz handelt.

Großer Konzern – oder einzelner Mensch?

Ein Mann sitzt im Büro, es ist Pausenzeit. Er schnappt sich einen KitKat-Schokoriegel, packt ihn aus. Doch darin ist keine Schokolade, sondern der abgetrennte Finger eines Orang-Utans. Das stört den Mann nicht weiter. Er beißt genüsslich hinein. Plötzlich knackt es fürchterlich, Blut spritzt auf die Tastatur und läuft ihm aus dem Mund. Die Kollegen schauen entsetzt. Dann die Einblendung: »Gib dem Orang-Utan eine Pause.« Greenpeace-Video lässt Nestlé einlenken Das ist, kurz zusammengefasst, der Inhalt eines Videos, das die Umweltorganisation Greenpeace im Internet veröffentlichte. Greenpeace wollte damit gegen die Verwendung von Palmöl in Nestlé-Produkten protestieren, da für die Palmöl-Gewinnung der Lebensraum der gefährdeten Affen vernichtet wird. Und die Kampagne war ein Erfolg. Noch am Abend der Veröffentlichung wollte Nestlé die Sperrung des Videos veranlassen – vergeblich. Doch das brachte den Sturm der Empörung erst richtig ins Rollen. Millionen Menschen wetterten gegen den Lebensmittelriesen. So lange, bis dieser schließlich einknickte und ankündigte, fortan strengste Standards beim Rohstoffkauf anzusetzen.

Am Beispiel Nestlé zeigt sich: Ein Shitstorm kann, mit berechtigter Kritik kombiniert, äußerst positive Konsequenzen haben. Die Gründe für ein Empörungsgewitter sind so vielfältig wie das Internet selbst: Mal sind es wirklich kritikwürdige Zustände, die gezielt thematisiert werden. Mal sind es undurchdachte PR-Kampagnen, die nach hinten losgehen. Und mal sind es (vermeintliche) Fehltritte Einzelner, die plötzlich im Rampenlicht stehen und nicht wissen, wie ihnen geschieht. Denn nicht immer trifft es große, anonyme Konzerne. Allzu häufig stehen einzelne Menschen im Auge eines solchen Sturms. Und wie verhalten wir als Christen uns dann? Einfach mit draufdreschen?

Sicher ist: Wie kein anderes Medium bietet das Internet seinen Nutzern die Möglichkeit, Ärger loszuwerden. Die Empörung ist nur einen Tweet oder ein Facebook-Post entfernt.  Nicht die vermeintliche Anonymität, sondern die Möglichkeit, seinem Zorn ungefiltert Luft zu machen, sorgen dafür, dass Shitstorms häufig wirklich „Scheiße-Stürme“ sind. Und das ist nicht gut. Vor allem wenn das „Kreuzige ihn!“ ohne Wimpernzucken gleich nach dem „Hosianna!“ kommt, dann stimmt etwas nicht.

[Dieser Text erschien zuerst in leicht abgewandelter Version in Publik-Forum 2/2015 vom 30. Januar 2015]

Skandal: Evolution beim Super Bowl!

Vergangene Nacht fand eines der größten Sportevents der Welt statt: der Super Bowl. Zum 49.Mal kämpften zwei US-Footballteams im Finale der NFL um den Pokal – diesmal spielte im Siegerteam sogar ein Deutscher mit. Ein Riesenereignis ist der Super Bowl auch für die Werbeindustrie – angesichts der Reichweite schießen die Preise für Werbespots in unvorstellbare Höhen. 30 Sekunden Sendezeit kosteten in diesem Jahr 4,5 Millionen Dollar. Entsprechend legen sich die Werbemacher ins Zeug. Folgender Spot für Kreuzfahrten ist sehr schlicht, aber, wie ich finde, sehr eindrücklich. Es sind eigentlich nur schicke, emotionale Bilder, unterlegt mit dem Auszug einer Rede von John F. Kennedy, die der damalige Präsident anlässlich einer Segelregatta hielt:

https://www.youtube.com/watch?v=0xQ-HyzAgRk

Kennedy sagt:

I really don’t know why it is that all of us are so committed to the sea, except I think it is because in addition to the fact that the sea changes and the light changes, and ships change, it is because we all came from the sea. And it is an interesting biological fact that all of us have, in our veins the exact same percentage of salt in our blood that exists in the ocean, and, therefore, we have salt in our blood, in our sweat, in our tears. We are tied to the ocean. And when we go back to the sea, whether it is to sail or to watch it we are going back from whence we came.

Was hierzulande vermutlich einfach als schöne, eindrückliche Werbung wahrgenommen würde, erntet in den USA vehementen Widerspruch. Kaum war der Spot versendet, setzte sich der Kreationist Ken Ham an seinen PC. Ken Ham gründete eine Organisation, die sich „Answers in Genesis“ nennt und eine wörtliche Interpretation des gleichnamigen biblischen Buches propagiert. Erkenntnisse aus Astronomie, Geologie oder anderen Naturwissenschaften zu diesem Thema interessieren ihn herzlich wenig.

Ken Ham also wetterte sogleich auf seinem Blog gegen den Spot. Er leitet ein mit den Worten:

It’s sad—but true—the world’s largest cruise line company with its more than 20 cruise ships blatantly used evolution to advertise its cruises at the Super Bowl this evening.

Was ein Skandal. Da erwähnt doch tatsächlich das weltgrößte Kreuzfahrtunternehmen die Evolution in einem Werbespot. Der Höhepunkt seiner Kritik:

Don’t you just feel this “personal connection?” After all, your ancestor came out of the sea and evolved by natural processes to produce you. Don’t you feel the connection? Don’t you just want to go on one of their cruises so you can stand on the deck of a big cruise ship, look at the sea, and contemplate your accidental beginnings—and perhaps worship the sea, because it gave birth to you!

Oh—and really, you can spend a lot of money on such a cruise, but because you evolved from the sea and are just an evolved animal, and when you die you won’t even know you existed—so you won’t even remember the cruise—so what’s the point anyway? You just evolved to have an ultimately meaningless existence!

[…]

So—worship the stars and worship the sea! That’s the increasing state of our culture as it abandons the truth of God’s Word.

 

Entsprechende Diskussionen finden sich inzwischen auch in den Youtube-Kommentaren unter dem Video. Ich bin ehrlich gesagt traurig darüber, wie engstirnig man offenbar – als Christ – auf die Welt blicken kann. Wie verbohrt muss man sein, sich über einen 60-sekündigen Spot aufzuregen, der auf eine naturwissenschaftliche Theorie (nein, keine Hypothese!) Bezug nimmt? Wenn man samt und sonders wissenschaftliche Fakten ignoriert, weil sie nicht ins Weltbild passen? Wenn man den Gott, an den man glaubt, so klein macht, dass alles, was nicht geschrieben steht, nicht sein kann?

Keine Frage: Man kann diesen Spot wunderbar zum Anlass nehmen, weiter über wichtige Fragen nachzudenken. Zum Beispiel darüber, ob die Naturwissenschaften wirklich Antworten auf alle unsere Fragen haben (oder haben werden). Oder darüber, was eigentlich der Unterschied zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Glaubensdingen ist – und ob sie sich vielleicht nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen. All diese Fragen stellen sich nicht, wenn man einen harmlosen Werbespot verteufelt, weil er nicht ins eigene Weltbild passt.

Mein Gott, Prinz Philip

(Bild: By Christopher Hogue Thompson (Personal Picture) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)
Bewohner der Insel Tanna mit Bildern von Prinz Philip, auf dessen Rückkehr sie warten. (Bild: By Christopher Hogue Thompson, GFDL, via Wikimedia Commons)
Prinz Philip, Ehemann der Queen, ist ein Gott – zumindest für die Bewohner der Insel Tanna des Inselstaates Vanuatu. Dort gibt es nämlich die sogenannte „Prinz-Philip-Bewegung“. Deren Anhänger glauben daran, dass der Herzog von Edinburgh einer von ihnen ist. Sie nehmen an, dass Philip ein Ahnengeist ist, der einstmals aus einem Vulkan auf der Insel aufstieg. Um die traditionelle Kultur zu bewahren, machte er sich auf den weiten Weg nach England, um die Queen zu heiraten. Einer Prophetie zufolge soll der Geist des Prinzen irgendwann wiederkehren, um Gesundheit und Wohlstand zu bringen. Der Häuptling eines Dorfes sagt: „Er ist ein alter Mann in England, aber auf Tanna wird er niemals sterben.“ Die Geburtstage des Queen-Gatten werden als große Feste gefeiert.

Doch warum verehren die Inselbewohner Prinz Philip? So ganz eindeutig ist diese Frage nicht zu klären. Sicher ist: Die Prinz-Philip-Bewegung ist ein sogenannter „Cargokult“ – eine Bezeichnung, die versucht, ganz unterschiedliche Phänomene zu beschreiben. „Cargo“ ist in diesem Kontext tatsächlich das englische Wort für „Frachtgut“. Cargokulte beschreiben folglich Kulte, die sich aufgrund der Begegnung zwischen Europäern und Inselbewohnern in Melanesien entwickelten. Erste Nachweise für solche Kulte gibt es offenbar Ende des 19. Jahrhunderts – so richtig Aufschwung erhielten die Bewegungen aber während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

„John Frum America“

Typisch für Cargokulte ist, dass ein Prophet die Botschaft erhält, dass mächtige Fremde, das amerikanische Militär, oder – wie bei Prinz Philip – die Ahnen große Ladungen an Fracht versprochen hätten. Meist handelt es sich dabei um Güter, die während des Krieges verhältnismäßig leicht zugänglich waren: Fertigprodukte, Kleidung, Werkzeug, Waffen, … .“Die prophetische Botschaft verspricht typischerweise, dass diese Fracht ankommen wird, wenn die Leute harmonischere Sozialbeziehungen aufbauen, Streitigkeiten und trennende Praktiken wie Zauberei aufgeben.“ (Lamont Lindstrom, RGG 4, Art. Cargokulte). Die meisten dieser Kulte versiegen, wenn die versprochene Fracht lange genug ausbleibt. Doch einige Kulte – zum Beispiel der hier thematisierte – bestehen noch heute.

Der Prinz-Philip-Kult ist allem Anschein nach ein Ableger des sogenannten „John-Frum-Kults„, der ebenfalls auf der Insel Tanna existiert. Prinz Philip wird als dessen Bruder bezeichnet – vielleicht war ein Besuch Philips und der Queen im Jahre 1974 ein entscheidender Faktor für die Entwicklung dieses Kultes. John Frum ist in der Vorstellung der Gläubigen Gottes Sohn, der aus einem Vulkankrater stammt und in Amerika lebt(e). Vermutlich geht dieser Kult auf einen amerikanischen Soldaten zurück, der auf die Insel kam (einige nehmen an, dass der Name „John Frum“ aus einem Missverständnis entstanden sei: „Hi, I’m John from America“). Er soll die Bewohner ermutigt haben, ihre Bräuche und Traditionen beizubehalten und nicht christlichen Missionaren zu verfallen.

Komplett bescheuert?

So – genug Exkurs. Das Vice-Magazin schreibt in einem kurzen Absatz vor einem Interview zu diesem Thema: „Cargo-Kulte sind wie jeder andere Kult komplett bescheuert.“ Als ich diesen Satz gelesen habe, musste ich schlucken. Sind sie das wirklich? Die Menschen dort – wie viele oder wenige es nun sein mögen – hängen ihr Herz an Dingen auf, die aus unserer Sicht völlig lächerlich sind. Auch meine erste Reaktion, als ich die – enorm empfehlenswerte! – Doku „Meet the Natives“ (hier auf Youtube) gesehen habe, war ähnlich: Wie um alles in der Welt kann man sowas glauben? Man erwischt sich leicht dabei, über diese Menschen zu schmunzeln und sie für naiv zu halten.

Doch haben wir Grund dazu? Ich glaube nicht. Bevor wir uns über diese Kulte amüsieren oder sie als „komplett bescheuert“ bezeichnen, sollten wir vielleicht unsere Überheblichkeit ablegen. Zum einen sieht man, was unbedachte Globalisierung, Kolonialisierung und Missionierung anrichten kann – der Bumerang kommt also zurück. Ich weiß nicht, wie die sozialen Verhältnisse auf Vanuatu sind, wie zufrieden die Menschen dort sind. Aber Fakt ist, dass sie offenbar ein vergöttlichtes Bild vom glorreichen „weißen Mann“ und dessen „Zivilisation“ haben. Von der „Zivilisation“, die nach und nach das zerstört, wovon wir alle leben. Dass das als göttlich verehrt wird, finde ich eher erschreckend als amüsant – und dafür können die Bewohner auf Tanna nichts. Es bringt mich eher zum Nachdenken darüber, was wir in unserer Geschichte angerichtet haben. Und was wir auch heute noch mit unserer angeblichen „Zivilisation“ anrichten.

Zum anderen hält uns ein Cargokult wie die Prinz-Philip-Bewegung auch in anderer Hinsicht den Spiegel vor. Ich erwische mich so manches Mal bei mir selbst, dass ich mich bei bestimmten Sachen frage: den Blödsinn glaubst du wirklich? Eine Beschäftigung mit uns völlig fremden und merkwürdig erscheinenden Glaubenssätzen kann dazu führen, dass auch die eigene Weltanschauung hinterfragt wird. Worauf gründet sie sich? Woher kommt das? Wie ist es zu mir gelangt? Und schließlich: Warum habe ich angefangen, die Dinge so zu sehen, wie ich sie sehe? Beim Sinnieren über diese Fragen wird schnell deutlich, dass es keinerlei Grund zur Überheblichkeit gibt.

Zum Weiterlesen/ Schauen:

  • Ein sehenswertes Video über die Prinz-Philip-Bewegung (15 min, englisch):

 

https://www.youtube.com/watch?v=f_QIsohU7NY

„Hochzeit auf den ersten Blick“: Trash-TV mit Theologe

(Bild: Matt Clare/flickr.com unter cc-by-sa 3.0)
Hauptsache verheiratet! (Bild: Matt Clare/flickr.com unter cc-by-sa 3.0)

Es ist wieder so weit: Aus den Niederungen des Trash-TV wurde eine neue Show geboren. Seit Mitte November flimmert „Hochzeit auf den ersten Blick“ im sonntäglichen Vorabend-Programm von Sat.1 in die Wohnzimmer der Nation. Das Konzept: vier „Wissenschaftler“ verkuppeln Paare, die sich dann anschließend zum Blind Date treffen. Der Haken daran ist, dass das Blind Date im Standesamt stattfindet – und die beiden sich auf der Stelle das „Ja“-Wort geben sollen. Und dann geht’s ab in die Flitterwochen. Die erste Ehe ist offenbar bereits zu Bruch gegangen und soll wieder geschieden werden.

Unter den „Wissenschaftlern“, die Sat.1 auffährt, ist auch ein (freikirchlich-charismatisch geprägter) Theologe: Martin Dreyer, seines Zeichens Gründer der Jesus Freaks und Initiator der Volxbibel. Ich finde es doch schon erstaunlich, dass es angesichts dieser provokativen Fernsehshow kaum Reaktionen von Christen – insbesondere „evangelikalen“ – gibt. Keine Petition gegen die Ausstrahlung. Keine Empörung über die „Entwertung“ der Ehe, die doch in der Diskussion um die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare regelmäßig als gesellschaftlicher Stabilitätsfaktor angeführt wird. Da ist das Geschrei immer groß. Hier aber gibt es keinen Protest – oder finde ich ihn nur nicht?  (Seitens der katholischen Kirche und der EKD kommen übrigens vereinzelt kritische Stimmen).

Ich halte es für äußerst scheinheilig, wenn manche Christen z. B. gegen die Homo-Ehe mit obigen Begründungen (oder auch mit der Bibel) argumentieren, zugleich aber bei diesem TV-Format die Klappe halten. Denn wenn etwas die Ehe entwertet, dann ist es nicht die Öffnung für homosexuelle Paare, sondern die effekthascherische, voyeuristische Aufmachung im Rahmen von „Hochzeit auf den ersten Blick“. Denn natürlich geht es nur um die Einschaltquote, und darum, dass die Zuschauer unbedingt wissen wollen, wie das „Sozialexperiment“ (das ist der Euphemismus der Macher für dieses Format) für die Beteiligten ausgeht. Im Prinzip ist das Format eine langweilige 0815-Kuppelshow, die versucht, durch einen Tabubruch Aufmerksamkeit zu erzeugen.

„Mehr als Liebe“

Aber gut, dass im deutschen Fernsehen viel Mist läuft, ist ja nichts Neues. Interessant finde ich aber schon, wie der Theologe im Team seine Beteiligung an der Show rechtfertigt. Das tut er zum Beispiel im Stern oder im pro-medienmagazin. Er argumentiert vor allem mit dem wohlbekannten „die Ehe ist ein weltlich Ding“ und damit, dass es Gott folglich nicht um die Institution der Ehe gehe: „Gott liebt die Ehe, weil er es liebt, wenn Menschen Liebe füreinander empfinden. Aber ihm geht es nicht um die Institution“, sagt Dreyer. Und (zitiert aus dem pro-Interview):

Einer der Gründe für die hohen Scheidungsraten ist doch, dass Menschen heiraten, die nicht gut genug zusammen passen. Gerade Christen heiraten oft aus moralischen Gründen. Sie wollen Sex, aber kein schlechtes Gewissen dabei haben. Und so gehen Ehen oft schmerzhaft kaputt. „Hochzeit auf den ersten Blick“ will das umdrehen und zunächst gucken, ob die Partner gut zusammenpassen. Erst dann werden sie einander vorgestellt. Ob die Beziehung dann wirklich hält, zeigt sich im Laufe der Zeit.

Was die Hochzeit „aus moralischen Gründen“ angeht, stimme ich Dreyer mit Blick auf bestimmte christliche Kreise sogar zu. Was er aber in keiner Weise erklären kann, ist die Funktion, die die Hochzeit in der Show erfüllt – außer dem Tabubruch, der dem Sender Aufmerksamkeit verschafft. Es ist doch absurd, zu suggerieren, das Problem von hohen Scheidungsraten sei zu vermeiden, indem man blind Paare verheiratet, die „theoretisch“ zueinander passen. Freilich: Zu einer Ehe gehört sicherlich mehr dazu als Liebe. Aber es gehört eben auch mehr dazu, als auf dem Papier zueinander zu passen. Was spricht also dagegen, die Paare zu verkuppeln und sie dann einfach selbst ihren weiteren Weg finden zu lassen? Ach ja: die Einschaltquote. Was für ein Schmarrn, Herr Dreyer!

Genug aufgeregt. Zu Unrecht? Was denkt ihr über das Format? Wer sich eine eigene Meinung bilden will, kann das in der Sat.1-Mediathek tun.

Warum sind Engel so toll?

Adventszeit ist Engelzeit, mehr noch als sonst schon. Denn Engel sind ungeheuer populär – um das festzustellen, reicht es schon, im nächsten Buchladen die Esoterik-Ecke aufzusuchen. In der Vorweihnachtszeit begegnen die himmlischen Wesen jedoch besonders oft. Und nicht nur das: Das Interesse an den Engeln ist zu dieser Zeit auch größer, glaubt man einer Google-Trends-Analyse, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Die Dezember-Peaks sind schon beachtlich:

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Doch ganz abgesehen davon – warum sind Engel eigentlich so populär? Oder besser: Warum ist der Glaube an Engel so attraktiv? Ich finde, das ist eine spannende Frage. Vor einiger Zeit habe ich mir darüber schon einmal Gedanken gemacht – und ich habe drei knappe Thesen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte:

1. „Blasse“ Engel passen in unsere Zeit

(Bild: Alice Popkorn/flickr.com unter cc-by-sa 3.0)
(Bild: Alice Popkorn/flickr.com unter cc-by-sa 3.0)

Die Individualisierung ist ein wichtiger Bestandteil unserer Zeit: Entscheidungen werden individuell getroffen, der Einfluss von Institutionen und Organisationen auf das eigene Leben nimmt ab, subjektive Überzeugungen gewinnen an Bedeutung und Anerkennung. Engel sind Gestalten, die sich sehr gut in dieses Gefüge einpassen: Sie kommen in allen Religionen irgendwie vor, werden aber so gut wie nie konkret „gefüllt“.

Das heißt: Ihnen wird zwar eine gewisse Autorität zugeschrieben, ohne dass sie aber schon – z.B. institutionell – belastet sind. Man könnte zum Beispiel fragen: Warum gibt es einen Engel-, aber keinen Heiligen-Boom? Vielleicht deshalb, weil Heilige zu unattraktiv sind. Sie sind „vorbelastet“ und dogmatisch gefüllt. Engel hingegen  bleiben „blass“ – und sind gerade deshalb eine ideale Projektionsfläche für allerlei Sehnsüchte des Menschen. Betrachtet man die Spannweite der Funktionen und Eigenschaften der Engel, so fällt auf: Es geht stets um die (konkrete) Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses. Sei es das Bedürfnis nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Heilung, Trost oder Schutz – Engel vermögen offenbar all dies zu leisten.

2. Transzendenz wird konkret

Wer sich heutige Engelvorstellungen einmal genauer ansieht, stellt fest: Häufig ist zwar auch die Rede von einem „Gott“, der irgendwie im Hintergrund gedacht wird. In den meisten Fällen allerdings bleibt eine Gottesvorstellung äußerst vage (Stichwort: „Energie“). Faktisch sind es die Engel, die die Rolle Gottes übernehmen.

Unabhängig davon, ob nun Engel als Repräsentanten Gottes oder selbst als göttliche Wesen gedacht werden, stellen sie in jedem Fall aber – bei aller Abstraktheit – eine Konkretisierung der Transzendenz dar. Durch Engel wird eine transzendente Ebene direkt erfahrbar gemacht, durch ihr Eingreifen, in welcher Form auch immer, wird eine andere Wirklichkeit spürbar. Dabei haben Engel einen großen Vorteil gegenüber Gott: Die Zahl der Engel ist nicht begrenzbar. Die Vorstellung, dass Engel immer und überall „um uns herum“ sind, benötigt daher – anders als die Allgegenwart Gottes – keine abstrakt-theoretischen Abhandlungen darüber, wie dies möglich sei. Die Omnipräsenz der Engel leuchtet aufgrund ihrer großen Zahl unmittelbar ein. Es ist kein Problem, dass jeder seinen persönlichen Schutzengel hat.

3. Engel brauchen keinen „Glauben“

Der Engelglaube fußt fast ausschließlich auf Erfahrungen. Er bildet sich durch eigene Erfahrungen heraus und wird durch diese geformt und jeweils angepasst. Streng genommen könnte man deshalb auch die Bezeichnung Engelglaube hinterfragen, denn es wird kein Glaube gefordert, sondern eine „besondere Wahrnehmungsfähigkeit für spirituelle Energien.“  So sagt es zumindest der katholische Theologe Thomas Ruster (vgl. sein Buch „Die neue Engelreligion„). Ich denke, man kann dennoch an der Bezeichnung Engelglaube festhalten, denn Wahrnehmungen und Erfahrungen müssen individuell gedeutet werden – und damit erhält die Frage nach dem Glauben wieder berechtigten Einzug.

Entscheidend ist hier jedoch die Beobachtung, dass es zunächst um Erfahrungen geht, die der Engelglaube voraussetzt. Der Engelglaube fordert zunächst nicht das Vertrauen auf ein Glaubenssystem, sondern er bietet Erklärungen für die eigenen (Kontingenz-)Erfahrungen, auch für bereits vergangene. Durch die Flexibilität und die Beschaffenheit der Engel lassen sich diese Erklärungen auch im Nachhinein problemlos mit den eigenen Erfahrungen in Einklang bringen, ohne dass man dogmatische oder theologische Erklärungsmodelle heranziehen müsste. Thomas Ruster spricht hier von einer „Komplexitätsreduktion“ („Die neue Engelreligion“, S.60). Der Engelglaube bietet eine Möglichkeit, die komplexe (und zunehmend komplexer werdende) Erfahrung von Kontingenzen auf einen einfachen Nenner herunterzubrechen und mithilfe unsichtbarer Begleitwesen zu erklären.

Freilich sind das nur drei Gedankenstränge, die ich zudem hier noch sehr knapp gehalten habe. Ich fände es aber spannend, darüber zu diskutieren – und vielleicht weitere Thesen zu hören. Platt gefragt: Was macht Engel so toll?