Vergangene Nacht fand eines der größten Sportevents der Welt statt: der Super Bowl. Zum 49.Mal kämpften zwei US-Footballteams im Finale der NFL um den Pokal – diesmal spielte im Siegerteam sogar ein Deutscher mit. Ein Riesenereignis ist der Super Bowl auch für die Werbeindustrie – angesichts der Reichweite schießen die Preise für Werbespots in unvorstellbare Höhen. 30 Sekunden Sendezeit kosteten in diesem Jahr 4,5 Millionen Dollar. Entsprechend legen sich die Werbemacher ins Zeug. Folgender Spot für Kreuzfahrten ist sehr schlicht, aber, wie ich finde, sehr eindrücklich. Es sind eigentlich nur schicke, emotionale Bilder, unterlegt mit dem Auszug einer Rede von John F. Kennedy, die der damalige Präsident anlässlich einer Segelregatta hielt:
https://www.youtube.com/watch?v=0xQ-HyzAgRk
Kennedy sagt:
I really don’t know why it is that all of us are so committed to the sea, except I think it is because in addition to the fact that the sea changes and the light changes, and ships change, it is because we all came from the sea. And it is an interesting biological fact that all of us have, in our veins the exact same percentage of salt in our blood that exists in the ocean, and, therefore, we have salt in our blood, in our sweat, in our tears. We are tied to the ocean. And when we go back to the sea, whether it is to sail or to watch it we are going back from whence we came.
Was hierzulande vermutlich einfach als schöne, eindrückliche Werbung wahrgenommen würde, erntet in den USA vehementen Widerspruch. Kaum war der Spot versendet, setzte sich der Kreationist Ken Ham an seinen PC. Ken Ham gründete eine Organisation, die sich „Answers in Genesis“ nennt und eine wörtliche Interpretation des gleichnamigen biblischen Buches propagiert. Erkenntnisse aus Astronomie, Geologie oder anderen Naturwissenschaften zu diesem Thema interessieren ihn herzlich wenig.
Ken Ham also wetterte sogleich auf seinem Blog gegen den Spot. Er leitet ein mit den Worten:
It’s sad—but true—the world’s largest cruise line company with its more than 20 cruise ships blatantly used evolution to advertise its cruises at the Super Bowl this evening.
Was ein Skandal. Da erwähnt doch tatsächlich das weltgrößte Kreuzfahrtunternehmen die Evolution in einem Werbespot. Der Höhepunkt seiner Kritik:
Don’t you just feel this “personal connection?” After all, your ancestor came out of the sea and evolved by natural processes to produce you. Don’t you feel the connection? Don’t you just want to go on one of their cruises so you can stand on the deck of a big cruise ship, look at the sea, and contemplate your accidental beginnings—and perhaps worship the sea, because it gave birth to you!
Oh—and really, you can spend a lot of money on such a cruise, but because you evolved from the sea and are just an evolved animal, and when you die you won’t even know you existed—so you won’t even remember the cruise—so what’s the point anyway? You just evolved to have an ultimately meaningless existence!
[…]
So—worship the stars and worship the sea! That’s the increasing state of our culture as it abandons the truth of God’s Word.
Entsprechende Diskussionen finden sich inzwischen auch in den Youtube-Kommentaren unter dem Video. Ich bin ehrlich gesagt traurig darüber, wie engstirnig man offenbar – als Christ – auf die Welt blicken kann. Wie verbohrt muss man sein, sich über einen 60-sekündigen Spot aufzuregen, der auf eine naturwissenschaftliche Theorie (nein, keine Hypothese!) Bezug nimmt? Wenn man samt und sonders wissenschaftliche Fakten ignoriert, weil sie nicht ins Weltbild passen? Wenn man den Gott, an den man glaubt, so klein macht, dass alles, was nicht geschrieben steht, nicht sein kann?
Keine Frage: Man kann diesen Spot wunderbar zum Anlass nehmen, weiter über wichtige Fragen nachzudenken. Zum Beispiel darüber, ob die Naturwissenschaften wirklich Antworten auf alle unsere Fragen haben (oder haben werden). Oder darüber, was eigentlich der Unterschied zwischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Glaubensdingen ist – und ob sie sich vielleicht nicht widersprechen, sondern vielmehr ergänzen. All diese Fragen stellen sich nicht, wenn man einen harmlosen Werbespot verteufelt, weil er nicht ins eigene Weltbild passt.
Das Problem ist ja gar nicht mal, dass er die Naturwissenschaften nicht ernst nimmt, sondern dass er die Bibel und die Theologie des Alten Testaments nicht ernst nimmt.
Dass er nicht weiß, warum in Gen 1 nicht vom Mond oder von der Sonne, sondern vom großen und vom kleinen Licht die Rede ist. (Antwort: In Babylon, als Gen 1 wahrscheinlich entstand, waren Sonne und Mond Götter. Die Zuhörer müssen Beifall geklatscht haben, als in der ersten Lesung von Gen 1 nur von den beiden Lichtquellen die Rede war, denn sie merkten: Der stänkert gegen den babylonischen König und macht sich lustig über jemanden, der glaubt, die beiden Lichtquellen wären Götter.)
Und weil er sich nicht um die Theologie des AT kümmert, weiß er auch nicht, dass der babylonische König sich selbst für das Ebenbild Gottes hielt, das ebenso zu verehren war wie Gott selbst.
Darum weiß er auch nicht, wie explosiv die Aussage in Gen 1 ist, dass _jeder_ Mensch (gleichberechtigt männlich wie weiblich) als Gottes Ebenbild geschaffen ist. Und ihm fällt auch nicht auf, dass Jesus im Gleichnis vom großen Weltgericht daran erinnert (Mt 25).
Er merkt auch nicht, dass alles, was geschaffen ist, nicht Gott sein kann und darum auch nicht verehrt werden muss.
Ich könnte jetzt noch was zur 7-Tagewoche der Babylonier schreiben und was Gen 1 damit zu tun hat.
Deutlich wird, dass die Autoren von Gen 1 ein klares „Feindbild“ hatten, über das sie sich lustig machten.
All das merkt dieser Kreationist nicht, weil er so versessen darauf ist, die Bibel in einer Weise für wahr zu halten, wie sie selber es gar nicht will. Schade eigentlich. Denn er merkt nicht, was _wirklich_ wichtig ist in der Bibel.
Der größte Fehler der Christenheit in dieser Hinsicht war die Behauptung, eine von Gott gestiftete Bibel müsse fehlerfrei und perfekt sein.
Was ist, wenn Gott sie gar nicht fehlerfrei und perfekt inspirieren wollte?
Was ist, wenn Gott sie von Anfang an dialogisch angelegt hat?
Was ist, wenn er von Anfang an zeigen wollte, dass Menschen und menschliche Überlieferung widersprüchlich ist?
Was ist, wenn er von Anfang an deutlich machen wollte, dass man auch um religiöse Erkenntnis ringen muss? Dass man daran scheitern kann? Dass Gott einen dennoch nicht los lässt?
Was ist, wenn er von Anfang an zeigen wollte, dass man Dinge auch von zwei Seiten sehen kann?
Dass Gläubige eben nicht immer einer Meinung sein müssen?
Ich halte mich für ausgesprochen bibeltreu. Weil ich versuche, die Bibel so zu nehmen, wie sie ist. Und nicht so (fehlerfrei), wie mancher sie gerne hätte…
Gott muss sich doch was dabei gedacht haben, dass wir vier Evangelien haben, aus vier Blickwinkeln – die sich nicht in allen Details in Deckung bringen lassen…
Gott muss sich doch was dabei gedacht haben, dass die Juden hemmungslos in der babylonischen Mythologie abgekupfert haben – und doch eine ganz eigene Sicht auf die Dinge entwickelten.
Das Schlimme ist, dass Ken Ham nicht im Ansatz weiß, was er in seiner Engstirnigkeit alles an Gottes Offenbarung in der Bibel verpasst…
Eine (wertfrei gestellte Frage): Ob diese Äußerung damals in den USA (der 60er Jahre) auch schon solche Wellen geschlagen hat?
Interessant ist auch, dass John F. Kennedy sich ja als Christ bezeichnet hat (genauer gesagt war er der erste katholische Präsident der USA). Nun ist John F. Kennedy manchmal schwer zu beurteilen (ein Mann großer Gesten, aber auch mit vielen heimlichen Frauengeschichten u.ä.), trotzdem würden mich Hintergründe zu seiner zitierten Rede verknüpft mit seiner Weltsicht interessieren.