Ein feste Burg ist unser E=mc²

In einer unserer vergangenen Web-Rundschauen hatten wir bereits auf das Projekt „Symphony of Science“ des Musikers John D. Boswell verwiesen. Boswell hat es sich zur Aufgabe gemacht, „Wissenschaftliche Erkenntnis und Philosophie“ zu verbreiten, und zwar in einer besonderen Form: durch die Musik. Zur Einstimmung das Lied „We Are Star Dust“:

Wissenschaft trifft Popkultur – und nicht nur das. Da vermischen sich zwei Ebenen: Die Wissenschaft wird auf eine andere (quasi-religiöse?) Ebene gehoben. Zumindest, was die Emotionalität angeht. Ich bin selbst, muss ich zugeben, ein großer Astronomie-Fan und beschäftige mich außerordentlich gerne mit diesem Themenbereich. Entsprechend lese ich auch viele themenbezogene Bücher, mich faszinieren die Erkenntnisse und wissenschaftlichen Fortschritte in diesem Fachgebiet. 

Und hier nun, in diesem Video, geht es plötzlich nicht mehr nur um Fakten. Da wird das ganze emotional: In melodiöser Stimme, unterlegt mit eingängigen, sphärischen Tönen wird plötzlich noch etwas ganz Anderes angesprochen. Da werden nicht nur Fakten transportiert, sondern mit ihnen das wohlige, angenehme Gefühl der Geborgenheit, dass sich schon nach den einleitenden Zeilen einstellt:

 We are part of this universe,

we are in this universe

the universe is in us, yes, the universe is in us

We are part of this universe,

we are in this universe

the universe itself exists within us

Wir und das Universum sind eins. Das Universum ist in uns, wir sind im Universum! Ist das nicht schön, so eine vollkommene Ganzheit? 

Auch in dem Lied „We Are All Connected“  wird ganz deutlich schon zu Beginn auf diese Einbettung des Menschen in eine Gemeinschaft (wenn auch rein biologisch) angespielt. Und interessant auch der Aspekt, dass die „Natur“ hier personifiziert wird und dann dadurch ein höheres „Etwas“ angedeutet wird: „I think natures imagination is so much greater than man’s […]“ (Minute 0.19). 

Es ist interessant zu sehen, wie hier ein elementares Bedürfnis des Menschen danach, in ein sinnvolles Ganzes eingebunden zu sein, angesprochen wird. Und dieses Bedürfnis wird hier nicht durch Religiosität aufgenommen, nicht durch etwas Übersinnliches, sondern schlicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse: Wir sind alle Sternenstaub, gehören alle irgendwie zusammen. Die Sterne sind gewissermaßen unsere Schöpfer (oder zumindest diejenigen, die das Material für unsere Entstehung bereitstellen). Diese Erkenntnisse sind dazu noch schön simpel formuliert und in eine Melodie eingebettet. Das ist doch eine schöne Sache. Wozu braucht’s da noch die Religion? Wissenschaft kann so schön emotional sein – und damit nicht nur die Wissbegierde des Menschen, sondern auch die Sehnsucht nach Geborgenheit und Zugehörigkeit erfüllen. Du bist das Universum!

Eine Welt nur aus Fakten?

(Bild: wokka/flickr.com unter cc-by-sa)
(Bild: wokka/flickr.com unter cc-by-sa)

Sicher, faktisch ist das nicht zu bestreiten. Wir alle sind „Sternenstaub“, das hört sich nicht nur romantisch an, sondern ist tatsächlich status quo der Forschung. Aber das Gefühl der wohligen Geborgenheit im Universum löst sich ganz schnell in Luft auf, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie lebensfeindlich der Ort für uns eigentlich ist (mit einer kleinen Ausnahme, auf der wir leben, die aber in Relation zum Ganzen gesehen nicht einmal die Größe eines Staubkornes hat). Irgendwie wird man das Gefühl bei den „Symphony of Science“-Videos nicht los, dass es hier nicht um bloße Fakten geht. Und der Autor selbst schreibt ja: Er will nicht nur wissenschaftliche Erkenntnis, sondern auch die wissenschaftliche Philosophie verbreiten. Eine Philosophie also, die die Welt nur aufgrund überprüfbarer Fakten erklärt? 

Aber unterliegt diese Weltsicht nicht einem Trugschluss? Wissenschaft erklärt nicht, sie beobachtet (so schreibt z. B. Manfred Lütz). Und dann beschreibt sie, was sie beobachtet, versucht Gesetze dafür aufzustellen. So ist es in der Evolutionstheorie, die beschreibt, wie aus Einzellern Menschen wurden. So ist es in der Astronomie, die aus der Beobachtung des expandierenden Universums die Urknall-Theorie hervorgebracht hat. Und die Vergangenheit der Wissenschaftsgeschichte hat auch gezeigt, wie oft komplette Theorien und Weltbilder wieder über Bord geworfen wurden, weil sie falsifiziert wurden. Wissenschaft beobachtet. Und wenn sie etwas beobachtet, was nicht mit bisherigen Gesetzen zu beschreiben ist, dann müssen neue her.

Doch liefert Wissenschaft eine Antwort auf existenzielle Menschheitsfragen? Wer fragt, warum wir Menschen auf dem einzigen uns bekannten sprießenden und blühenden Planeten leben, bekommt keine Erklärung (zumindest, wenn er sich nicht mit „Zufall“ zufrieden geben will). Wer fragt, warum sich der Urknall ereignete oder warum sich tote Materie plötzlich dazu entschloss, zu leben, bekommt keine Erklärung. Und genau deshalb ergibt sich auch kein Widerspruch zwischen Religion und Wissenschaft: Weil sie sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegen, unterschiedliche Aspekte der Welt betrachten.  Auch die Wissenschaft muss bei den „letzten Fragen“ nach Leben und Sterben auf den Glauben verweisen. Und sei es der Glaube an den Zufall.

Umso interessanter, wie hier durch die musikalische Verarbeitung wissenschaftlicher Fakten diese Ebenen vermischt werden und die Wissenschaft auf eine quasi-religiöse Ebene gehoben wird. Das begegnet übrigens auch gerne bei Richard Dawkins und seinen Jüngern. Dann werden Formeln zu Dogmen und die Sterne zu unseren Schöpfern. Doch eine Frage sei erlaubt: Wäre diese Welt nicht tristlos, wenn sie nur aus dem bestünde, was man messen und beschreiben kann?  Was ist mit Schönheit, Vertrauen, Liebe oder Zuneigung? Ach, da ist ja noch diese eine Formel:

„The beauty, the majesty, the power of the universe into a single equation: E = mc²“

(Minute 1.39,  „Secret of the Stars„)

 

Weiterführende interessante Links:

 

James Bond, Jesus und das Mysterium

(Bild: cupprof/flickr.com unter cc-by-sa 2.0)
Die Osterbotschaft der Auferstehung – den Menschen fern? (Bild: cupprof/flickr.com unter cc-by-sa 2.0)

Wenn ein HSV-Fan stirbt, kann er seinen Sarg mit bespielter Bundesliga-Erde beschaufeln lassen. Und das sogar in einem Grab auf dem Fanfriedhof des Hamburger Sportvereins, der im Jahr 2008 direkt neben dem Stadion im Stadtteil Altona eingerichtet wurde. Das Grabfeld gleicht im Aufbau einem Stadion, inklusive der Abstufungen, die die verschiedenen Tribünenränge darstellen. Der verlegte Rasen stammt von dem Platz nebenan, auf dem die Profis ihre Heimspiele absolvieren. Wer sein Leben lang für den HSV geschrien, gejubelt und getrötet hat, kann, wenn der Schlusspfiff ertönt, in die Verlängerung gehen. Wer seine glücklichsten Momente im Stadion verbrachte, bei dem wird weiterhin bei jedem Torjubel der Sarg wackeln.

Der Fanfriedhof des Hamburger Sportvereins ist wohl eine der kuriosesten Erscheinungen, die die Verbindung von Populärkultur und Religion hervorbringen kann. Denn der Abschied aus dem Leben ist seit jeher ein zutiefst religiös geprägtes Geschehen, verbunden mit zahlreichen Fragen, die auf Antworten warten. Und in diesem Fall ist es ausgerechnet der Fußball – eine sonst durch und durch irdische Freizeitbeschäftigung – der in den Bereich der existenziellen Lebensfragen eindringt. Doch Antworten kann er nicht liefern. Was also könnte die Motivation sein, sich dort begraben zu lassen? Ist es vielleicht die Aussicht auf eine Ewigkeit mit dem Fußballgott und seinem himmlischen „sky“-Abonnement, bei Bier und Chips auf der Couch vor der drei-Meter Leinwand? Vielleicht nicht unbedingt. Aber man könnte anders fragen: Warum soll das, was mein Leben bestimmt, nicht auch meinen Tod prägen?

In der uns umgebenden Popkultur, also in kulturellen Massenphänomenen und -medien, ist der Tod allgegenwärtig. Existenzielle Bedürfnisse der Menschen werden dort immer wieder aufgegriffen: Im Krimi wird gemordet, auf der Bühne gestorben, in der Rockballade getrauert. Zunehmend werden Antworten auf Fragen, deren Beantwortungskompetenz man ursprünglich den Kirchen oder Religionsgemeinschaften zusprach, im popkulturellen Rahmen gesucht. Der Religionssoziologe Hubert Knoblauch spricht dabei von einer Entgrenzung des Religiösen – der „populären Religion“. Seien es die beflügelten Engelwesen, die in dutzenden Filmen Menschen im Jenseits begleiten und sich dabei ab und an auf die Erde verirren. Oder sei es der Fanfriedhof, der einem im Tod das Gefühl von Heimat vermitteln soll, wenn der Fußballverein im Leben das Wichtigste war. Und es scheint nicht verwunderlich, dass Menschen die Lösungen für ihre Probleme und Fragen in dem Bereich suchen, der sie alltäglich umgibt. Mehr noch: In der Popkultur „zeigt sich, was die Menschen wirklich glauben, wovon sie träumen, was sie fürchten und woran sie ihr Herz hängen“, so der Theologe Ingo Reuter.

(Bild: TKJ1966  / pixelio.de)
„Entgrenzung des Religiösen.“ (Bild: TKJ1966 / pixelio.de)

Das Thema Tod ist dabei aufgrund seiner direkten Verbindung mit existenziellen Lebens- und Sterbensfragen besonders interessant. Schaut man einmal, wie der Tod thematisiert wird, lassen sich grob zwei Ebenen trennen. Zum einen begegnet er ganz ohne damit verbundene Fragestellungen: Das Mordopfer im Krimi ist zwar tot, die Handlung des Filmes bewegt sich jedoch ganz im Hier und Jetzt. Das Ziel ist, irdische Gerechtigkeit wiederherzustellen. Die andere Ebene begegnet vor allem in Spielfilmen. Diese setzen sich häufig  tiefgreifender mit Tod und Jenseits auseinander oder machen sie gar zum zentralen Element („The Sixth Sense“ oder „Hinter dem Horizont“ zum Beispiel). Im Alltag wird das Thema zwar oft verdrängt – die Popkultur zeigt jedoch, dass es die Menschen beschäftigt.

Der Tod – und nun?

Nun macht uns das bevorstehende Osterfest bewusst, dass der Tod nach christlicher Überzeugung nur die eine Seite der Medaille ist. Christen auf der ganzen Welt gedenken am Karfreitag der Kreuzigung Jesu. Am dritten Tag aber, am Ostersonntag, feiern wir die Auferstehung, die das Neue Testament bezeugt. Sie ist ohne Analogie in der Geschichte, unwiederholbar und damit unüberprüfbar – drei Faktoren, die aus naturwissenschaftlicher Sicht genügen, ein gnadenloses Urteil zu fällen. Die Auferstehung wird damit zu einem Ereignis, das in einer wissenschaftlich-aufgeklärten Gesellschaft kaum realitätsferner sein könnte. Ist die Auferstehung also, anders als der Tod, ein Thema, das die Menschen nicht beschäftigt? Auch hier soll ein kurzer Blick auf die Popkultur gewagt werden.

Nehmen wir als Beispiel einmal den Beginn von „Skyfall“, dem jüngsten James Bond-Film: 007 kämpft um sein Leben. Gewohnt actionlastig gegen einen Bösewicht, mit den Fäusten auf einem Dach eines ratternden Zuges, der über eine Brücke auf einen Tunnel zuschießt. Bonds Kollegin, die die beiden Kontrahenten fest im Visier ihres Gewehres hat, zögert, ihm mit einem gezielten Schuss zu Hilfe zu kommen: zu wirr der Kampf, zu unübersichtlich das Handgemenge. Doch sie drückt  ab. Und trifft den Falschen. Der Geheimagent fällt leblos in die Tiefe, schlägt hart auf dem Wasser auf – ein Sturz, den schon aufgrund der Höhe niemand überleben kann. Bond treibt leblos in den Fluten, wird einen tosenden Wasserfall hinuntergespült, gleitet langsam in die Tiefe. Der Agent ist tot. Erschossen, auf dem Wasser zerschellt und schließlich ertrunken. Der Protagonist stirbt vermeintlich noch im Intro.

Doch natürlich tut er das nicht. Denn es folgen noch 130 Minuten voller Hetzjagden und Explosionen, und die brauchen einen Helden: James Bonds Hobby ist „Auferstehung“, wie er später im Film gegenüber dem Bösewicht des Films sagen wird. Wie er das bewerkstelligt, bleibt sein Geheimnis – es wird nicht aufgeklärt, wie der Körper des Briten die anfängliche Tortur überstanden hat.

Auferstehung bleibt mysteriös

Es ist interessant, wie das Thema hier aufgegriffen wird. Die Auferstehung des James Bond bleibt im Verborgenen. Deutlich wird nur, dass er sie aus eigener Kraft bewältigt. Schließlich ist es ja sein Hobby. Da ist nichts Übersinnliches, nichts Transzendentes. Lediglich der mystische Schleier, der den Vorgang umhüllt. Und der wird auch nicht gelüftet, man will dem Zuschauer schließlich die Faszination nicht nehmen.

Ähnlich läuft es bei dem Zauberer Gandalf in „Herr der Ringe“. Nur dass hier die Bezüge zu einem Jenseits offenbar sind, denn Gandalfs Worte bei seiner Auferstehung sind: „Ich wurde zurückgeschickt, bis meine Aufgabe erledigt ist.“ Hier ist also ganz offensichtlich eine höhere Macht im Spiel, die die Fähigkeit besitzt, Leben zu nehmen und auch zu geben. Natürlich ist das auch dem christlichen Hintergrund des Autors J.R.R. Tolkien zu verdanken. Fakt ist aber, dass hier die Auferstehung Einzug in ein popkulturelles Medium fand. Man könnte die Liste an Beispiele noch ausweiten: Auch in den Filmen „Matrix“ und „Avatar“ findet sich – jeweils in unterschiedlicher Weise – eine Auferstehung, deren genaue Funktionsweise im Dunkeln bleibt. Das Motiv der Auferstehung ist der Popkultur – und damit den Menschen – keineswegs fern. Und es wird auch nicht kritisiert oder hinterfragt. Es ist ein Faszinosum.

(Bild: Bernd Kasper/pixelio.de)
(Bild: Bernd Kasper/pixelio.de)

Nun ist die Auferstehung, die Christen an Ostern feiern, alles andere als von der breiten Gesellschaft unhinterfragt akzeptiert. Denn natürlich gibt es einen bedeutenden Unterschied: Während man sich im Film in einer Scheinwelt bewegt, die niemand ernsthaft für real hält, beansprucht das biblische Zeugnis der Auferstehung einen Platz in unserer geschichtlichen Wirklichkeit. Und mehr noch: Im Kino sind es die Filmfiguren, die die Auferstehung ihres Helden brauchen – seien es „M“ oder Frodo und seine Gefährten. Das Geschehen wird abstrahiert und auf andere, nicht reale Personen bezogen. Das Christentum jedoch betont, dass die Auferstehung kein abstraktes Geschehen ist, sondern für den jeweils einzelnen Gläubigen relevant ist. Ist es vielleicht dieser Perspektivwechsel, der das Zeugnis der Auferstehung so un-glaublich werden lässt?

Dabei gibt es einige Gemeinsamkeiten. Auch im Neuen Testament bleibt das Geschehen der Auferstehung im Dunkeln, der eigentliche Vorgang wird nicht berichtet. Auch hier wird der mystische Schleier nicht gelüftet. Auch die Auferstehung Jesu ist nicht erklär- oder nachweisbar, auch sie will Faszinosum sein. Ist die österliche Auferstehungsbotschaft der Christen bei allen Differenzen am Ende vielleicht doch nicht so weit weg von den Menschen?

Wo die Schwachheit zur Stärke wird

Schon ein kurzer Ausflug in die Popkultur anhand konkreter Beispiele zeigt: Das Verlangen nach Antworten auf existenzielle Fragen, und dazu gehören Tod und Auferstehung, ist allgegenwärtig. Und die Botschaft von Ostern hat Antworten parat, die um ein vielfaches tragfähiger sind als jene der den Scheinwelten von James Bond oder Gandalf. Denn es geht gerade nicht um abstrakte Filmgestalten, sondern um uns ganz persönlich. Kreuz und Auferstehung zeigen uns, ganz im paulinischen Sinne, die Unerhörtheit des biblischen Gottes. Er erniedrigt sich bis zum Äußersten – doch gleichzeitig endet sein Wirken nicht mit Jesu Tod.

Daraus ergibt sich die Paradoxie der Osterbotschaft: Gerade die Schwachheit, in die sich Gott begibt, zeigt uns letztlich seine Stärke. Christen dürfen bekennen: Jesus Christus weiß, wie es ist, schwach und verzweifelt zu sein. Denn er war es selbst, wie Jesu Gebet im Garten Gethsemane zeigt. Zugleich aber endet die Geschichte nicht an dieser Stelle, sondern eröffnet eine machtvolle Perspektive der Hoffnung. Einer Hoffnung, die für uns ganz persönlich wichtig werden kann. Nicht nur an Ostern. Die Geschehnisse von Karfreitag und Ostern werden zum Wegweiser: Aus ihnen kann eine solide Basis entstehen für Antworten auf Fragen, die uns im Innersten umtreiben.

Doch mehr noch. Während populäre Filme mit dem Thema der Auferstehung und der damit einhergehenden Faszination spielen,  stellt uns die Osterbotschaft eine ganz konkrete, persönliche Frage: Worauf vertrauen wir im Leben und vor welchem Horizont gestalten wir es? Es wäre doch ziemlich traurig, wenn dieser Horizont nur ein Platz auf der Couch neben dem Fußballgott wäre.

[Dieser Text erschien zuvor in der Zeitschrift Publik-Forum (6/2013), Postfach 2010, 61410 Oberursel. Hier im Original vollständig lesen.]

TheoPop – nominiert für den Webfish

(Bild: Alexandra Bucurescu  / pixelio.de)
(Bild: Alexandra Bucurescu / pixelio.de)

Was für eine Nachricht: Unser Blog für Religion und Populärkultur wurde, zusammen mit sieben anderen christlichen Web-Angeboten, für den „Webfish 2013“ nominiert. Schon die Nominierung ehrt uns sehr –  vor allem, wenn man beachtet, dass insgesamt 80 Internet-Angebote eingereicht wurden.

Bei der Verleihung des Webfish-Awards bekommt jeder die Möglichkeit, online für seinen Favoriten abzustimmen. Wir laden euch herzlich dazu ein, mitzumachen! Es sind tolle Angebote mit dabei, eine Übersicht über alle Nominierten findet ihr auf der Webfish-Internetpräsenz (gleich verlinkt). Schaut euch die Angebote an und sucht euch euren Favoriten – und natürlich freuen wir uns, wenn am Ende eure Wahl auf uns fällt…

Hier geht’s zur Abstimmung.

In diesem Sinne: Frohes Voten und viel Glück auch unseren Mitbewerbern!

 

 

Scientology – ein Selbstversuch

Hier findet ihr eine Reportage, die ich vor einiger Zeit einmal in unserem „Journal für Religion und Kultur“, ein kleines Magazin einiger Studierender in Berlin, veröffentlicht habe. Dossier-Thema des Heftes war: „InSekten: Legitime Vielfalt oder giftiger Stachel der Gesellschaft?“, den Rest des Heftes gibt es hier online abrufbar als pdf. Da gerade die Zeit für neue Beiträge knapp ist, will ich diese kurze Reportage den TheoPop-Lesern nicht vorenthalten. Die Namen habe ich selbstverständlich alle geändert.

Scientology-Zentrum in Berlin
Das Scientology-Zentrum am Ernst-Reuter Platz in Berlin. (Bild: mjaniec/flickr.com unter cc-by-sa)

Mein klappriges DDR-Fahrrad ächzt unter jedem Tritt, mit dem ich es die Straße des 17. Juni hinunterjage. Ich bin etwas nervös. Mein Ziel: Deutschlands größtes Scientology-Zentrum am Ernst-Reuter Platz in Berlin. Ich habe viel gehört und gelesen über die Organisation. Es sei gefährlich, man werde dort psychisch zerstört und finanziell ausgenommen. Ich will mir mein eigenes Bild machen. Nur zwei Dinge habe ich mir vorgenommen. Erstens: Ich schlüpfe – soweit möglich – in keine Rolle. Ich werde mich nicht als ahnungsloser Passant zeigen, sondern als der Kritiker, der ich bin. Ich will wissen, wie Scientology mich ködern will. Zweitens: Ich mache mit, so lange es kostenlos ist. Ich ahne noch nicht, dass ich letzteres nicht schaffen werde.

Seit 2007 steht das große gläserne Haus in der Otto-Suhr-Allee. Der Schriftzug „Scientology Kirche Berlin“ lädt selbstbewusst interessierte Passanten ein. Das Gebäude passt so gar nicht zu dem Bild der dunklen Psychosekte, das einem zuweilen von Medien, Aussteigern und Scientology-Kritikern vermittelt wird. Durch die Glasfront hat man freien Blick in die Büros, aus dem Erdgeschoss strahlt ein hell beleuchteter Inforaum in der Abenddämmerung nach draußen auf den Gehweg.

Eine junge Dame sitzt an der futuristischen Rezeption. Ich sage ihr, dass ich vor einigen Tagen einen Persönlichkeitstest eingeschickt und einen Termin zur Auswertung hätte. Sie bittet mich, auf einem der orangenen Kunstledersofas im Info-Raum Platz zu nehmen; ich setze mich und blicke auf einen LCD-Fernseher, auf dem ein Video das Leben des Scientology-Gründers Lafayette Ron Hubbard verherrlicht.

„Alles in Ordnung!“

Daniel ist Ende zwanzig. Er führt mich an einen Tisch im Nebenraum. Innerlich bereite ich mich auf die erschütternde Diagnose vor, von der ich so oft gelesen habe: Meine Persönlichkeit ist hinüber, nur Scientology kann mir helfen. Doch diese Diagnose kommt nicht. „Nun“, sagt Daniel, „dein Test ist sehr gut ausgefallen.“ Alle Werte seien in Ordnung – nur einer sinke minimal unter die Linie, die den „unakzeptablen Zustand“ vom Rest trennt. Er illustriert seine Worte mit einem Diagramm, das meine Persönlichkeitslinie abbildet. „Das ist aber kein allzu großes Problem.“ Ich müsse selbst entscheiden, ob ich damit zurechtkomme, sagt der Scientologe. Falls nicht, könne er etwas für mich tun. Ich schaue ihn erstaunt an. Ich bin doch hier richtig – bei Scientology, der „Psycho-Sekte“? Der Kurs, den er mir nun anbietet, kostet 45€ – für vier Tage. Das ist nicht viel. Doch ich erinnere mich an meinen Vorsatz: Kein Geld für Scientology.

Also gebe ich mich betont kritisch. Ich konfrontiere Daniel mit dem, was ich gelesen und gehört habe: Scientology wolle nur mein Geld, Aussteiger berichten von Psycho-Methoden, die Menschen kaputt machen. Und nicht zuletzt schreibt L. Ron Hubbard, dass er mit der Dianetik den „perfekten Menschen“  schaffen kann. Ein Menschenbild, das mir gehörig gegen den Strich geht. Daniel sitzt ruhig da, schaut mir die ganze Zeit in die Augen und nickt. Immer wieder fragt er nach, was genau ich kritisch fände und woher meine Kritik käme. Ruhig erklärt er mir, dass es nicht um den perfekten Menschen ginge, sondern darum, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Und Stimmen wie „die wollen nur dein Geld“ oder der „Schwachsinn“ von den „Psycho-Methoden“ kämen von Aussteigern, die von Scientology enttäuscht wurden, weil sie andere Vorstellungen hatten. Oder sie kämen von Schulmedizinern oder Menschen, die von diesen unterstützt werden. „Denn Scientology funktioniert. Und würden alle Scientology anwenden, wäre das ein Milliardenverlust für die Schulmedizin. Deswegen wurde Scientology seit seiner Gründung bekämpft“, belehrt er mich. „Der einzige Weg, herauszufinden, ob es funktioniert, ist, es auszuprobieren.“ Er legt mir einen weiteren Flyer auf den Tisch. Einladung für eine beitragsfreie einführende Dianetik-Sitzung. Ein Schnupper-Auditing. „Wenn du Interesse hast, melde dich einfach.“  Er notiert mir seine Handynummer auf der Rückseite, bevor wir  uns verabschieden. Nun ja, denke ich. Es ist ja kostenlos.

Augen zu – und durch?

„Konferenzraum“ steht über der Tür, durch die ich bei meinem nächsten Besuch den Raum betrete. Bevor ich meine Probesitzung absolviere, bekomme ich eine kurze Video-Einführung in das System, mit dem Scientology arbeitet.

Scientology lehrt, dass alle Wahrnehmungen zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Lebens im Gedächtnis abgespeichert werden. Ist der Mensch bei vollem Bewusstsein, übernimmt diese Aufgabe der „analytische“, also der „vernünftige“ Verstand. Steht jemand unter Drogen oder liegt etwa nach einem Fahrradunfall verletzt am Boden, ist der „reaktive“ Verstand dafür zuständig. Unbewusst werden dann Daten abgespeichert, die unser späteres Handeln negativ beeinflussen. So genannte „Engramme“. Umgangssprachlich würde man sagen: Unser Unterbewusstsein  verleitet uns dazu, in  bestimmten Situationen falsch zu handeln. Diese Engramme gilt es zu finden, um den Zustand »Clear« zu erreichen: Der tritt ein, wenn alle unbewussten Augenblicke aus dem reaktiven Verstand in den analytischen Verstand überführt sind, und uns somit nicht mehr unterbewusst beeinflussen können. Im Auditing begibt man sich zusammen mit einem geschulten Scientologen – dem Auditor – auf die Suche danach.

Silke, meine Auditorin, führt mich in den fünften Stock. Dort enden wir in einem kleinen, weißen Raum. Ein Tisch, dahinter ein Stuhl, davor ein bequemer Sessel. Ich nehme auf dem Sessel Platz. Links von mir hängt ein Zitat, rechts von mir eine Schwarzweiß-Aufnahme des Autors: L. Ron Hubbard. „Schließe die Augen“, befiehlt Silke. Ich schließe sie. „Gehe zurück zum ersten Moment in deinem Leben, an dem du Schmerz oder Trauer empfunden hast“, fährt sie fort. Ich befolge ihre Anweisung und erzähle. Ich war vielleicht sechs, meine Oma war gestorben – meine Erinnerung ist kaum mehr als ein vager Schatten. Als ich fertig bin, sagt Silke: „Gehe zum Anfang des Geschehnisses zurück und hole alle Informationen, die du kontaktieren kannst.“ Bei der vierten Wiederholung glaube ich mich zu erinnern, wie meine Mutter ins Zimmer kommt, um mir die schlechte Nachricht zu überbringen. Bei der siebten spüre ich die Hand meiner Mutter auf meinem Rücken, rieche ihr Parfum. Scheinbar endlos muss ich das „Geschehnis“ immer und immer wieder erzählen, jedes Mal ausgeschmückt mit neuen Details, die ich irgendwann selbst glaube.

Irgendwann wird mir übel. „Ich glaube ich schaff‘ das nicht“, sage ich zu Silke. „Du schaffst das“, ist ihr einziger Kommentar. Nach einem weiteren Durchgang fordert sie mich auf: „Erzähl mir das Geschehnis, von dem deine Übelkeit kommt.“ Mir fällt nichts ein. Also erzähle ich ihr von jenem Abend auf der Orchesterfreizeit vor etlichen Jahren, an dem der Wodka es zu gut mit mir meinte. Als ich fertig bin, höre ich aus einer anderen Welt die Worte: „Gehe zum Anfang des Geschehnisses zurück und hole alle Informationen, die du kontaktieren kannst.“  Ich beginne von vorn – wieder und wieder. Und es tut sich etwas: Sobald ich anfange, das „Geschehnis“ zu erzählen, meldet sich die Übelkeit in meinem Bauch. Wenn ich vom Ende erzähle, ist die Übelkeit verschwunden.

Das wiederholt sich einige Male. Als ich schließlich zum gefühlten hundertfünfzigsten Mal von vorn beginne, ist mir nichtmehr übel. Am Ende angelangt, höre ich, wie Silke sagt: „Komme jetzt in die Gegenwart.“ Ich öffne meine Augen – zweieinhalb Stunden, nachdem ich sie geschlossen habe.

Die Gegenwart trifft mich wie ein Vorschlaghammer. Es ist unglaublich hell, die weißen Wände blenden mich wie Scheinwerfer. Die Stille dröhnt in meinen Ohren. Ich brauche einige Sekunden, um das Gesicht der Scientologin scharf zu stellen. Sie starrt mich lange an. Dann fragt sie: „Und, wie geht es dir?“ „Gut“, sage ich wahrheitsgemäß – froh, die Tortur überstanden zu haben. Und ich frage mich, ob ich vor ihren Augen zusammengebrochen wäre, hätte ich ein wirklich traumatisches Erlebnis vorzuweisen gehabt.

Das Engramm ist noch da!

Im Erdgeschoss fängt mich Uwe ab, ein Scientologe in den Fünfzigern. Wir setzen uns an einen Tisch und er erkundigt sich nach meinen Erfahrungen. Als Silke ihm noch ein Dianetik-Buch, eine DVD und ein „Starter Kit“ auf den Tisch legt, spüre ich, dass der Augenblick gekommen ist, an dem ich hart bleiben muss. Sie haben den Köder ausgeworfen und ich habe angebissen. Nun wird die Angel eingeholt. Doch so einfach mache ich es ihnen nicht. „Mir ist noch ein wenig übel von der Sitzung“ meine ich. Da horcht Uwe auf: Wahrscheinlich, so sagt er, seien wir auf ein Engramm gestoßen, dass nun vollständig geklärt werden müsse. In einer zweiten Sitzung, die er mir noch kostenlos anbieten könne. Er werde mich morgen anrufen, dann könnten wir alles Weitere besprechen.

Mein klappriges DDR-Fahrrad ächzt nur leise, als ich auf dem Rückweg bin. Langsam fahre ich die Straße des 17. Juni hinunter, das Scientology-Zentrum im Rücken. Ich weiß, dass ich nicht wiederkehren werde, auch wenn die zweite Sitzung immer noch nichts kostet. Meinen zweiten Vorsatz habe ich damit gebrochen. Psychopathen sind mir nicht begegnet. Ich habe nur freundliche Scientologen getroffen, die scheinbar ernsthaft glauben, mir helfen zu können. Doch vielleicht besteht genau darin die größte Gefahr. In meiner Auditing-Sitzung habe ich nur die Oberfläche dessen abgeschabt, was die Gruppe im Verborgenen zur „Psycho-Sekte“ macht. Und ich bin froh darum. „Nein“, sage ich zu mir selbst. „Ich behalte meine Engramme.“

„Man darf mit dem Evangelium spielen!“

Martia Lersner und Florian Barth beim Predigt-Battle in Neukölln.
Martia Lersner und Florian Barth beim Predigt-Battle in Neukölln. (Bild: E. Zimmermann)

„Heidelberg gegen Berlin, Pfarrerin gegen Pfarrer, Wort gegen Wort: Der Heidelberger Pfarrer Florian Barth und seine Neuköllner Kollegin Marita Lersner treten zum Rededuell an.“  So wurde der 1. Neuköllner Predigt-Battle angekündigt. In drei Runden, jeweils vier Minuten pro Prediger, traten die beiden Kontrahenten gegeneinander an: Zuerst gaben beide eine vorbereitete Kurzpredigt zur Jahreslosung zum Besten. In Runde zwei galt es, spontan zu einem Stichwort des Moderators zu predigen, im dritten Satz wurden schließlich drei Stichworte per Zuruf aus dem Publikum gewählt, zu denen die Gegenspieler jeweils möglichst kreativ zu einer Predigt verknüpfen mussten. Am Ende jeder Runde entscheidet das Publikum – wer hat besser gepredigt?

Das Zusammentreffen in Neukölln war bereits die Rückrunde des Predigt-Battles. Im Herbst 2012 verlor die Neuköllner Pfarrerin die Hinrunde gegen ihren Kollegen in Heidelberg. Die Revanche in der heimischen Kirche gelang: Der badische Pfarrer zog am Ende in der Hauptstadt den Kürzeren. Am Ende also ein Patt. „Eine gute Situation, aufzuhören“, meint Marita Lersner. Im Interview mit TheoPop spricht sie über die Hintergründe der Aktion, ihre Motivationen und darüber, was Kirche von popkulturellen Formaten lernen kann.

TheoPop: Frau Lersner, welche der drei Runden war für Sie die größte Herausforderung?

Marita Lersner: Es ist natürlich aufregend, eine Spontanpredigt zu halten. Man weiß vorher nicht, ob man in dem Moment vielleicht einen Blackout hat. Ähnlich wie in einer Prüfungssituation: Man ist einfach sehr aufgeregt. Wir konnten uns zwar beide darauf verlassen, dass wir theologisch zu allen möglichen Themen etwas zu sagen haben. Aber das war schon eine große Herausforderung.

Mit welchem popkulturellen Format könnte man den Predigt-Battle am ehesten vergleichen?

Das Format ist eigentlich eins zu eins abgekupfert vom „Beatbattle“ im HipHop. Poetry-Slam geht auch in eine ähnliche Richtung, in Marburg an der Uni gibt es ja auch Predigt-Slams. Was wir vielleicht noch stärker integriert haben als der Poetry-Slam, ist der Wettbewerbs-Charakter, der ja in dem Stichwort „Battle“ sehr kämpferisch wiedergegeben ist. Und das bringt natürlich auch eine gewisse Spannung mit hinein. Wenn man das Publikum fragt: „Wer war besser?“ – dann müssen die auch besser zuhören, um das zu beurteilen.

Wie ist denn die Idee überhaupt entstanden?

Mir ist die Idee gekommen, als ich bei einem Piano-Battle war. Ich hatte wahnsinnig Spaß an dem Abend, vor allem, weil ich mit einbezogen war. Ich sollte entscheiden, wer besser spielt! Und ich habe auch mit demjenigen mitgezittert, den ich besser fand. Und da dachte ich: Das können wir doch genauso. Das Interaktive daran gefällt mir sehr gut. Die Gemeinde wird gefragt: Was hat dir gefallen? Was hat dich angesprochen? Und das ist letzen Endes der Predigt auch gemäß. Denn jede Predigt will ja ansprechen. Und die Gemeinde ist eigentlich immer gefragt, mit dem, was wir als PredigerInnen sagen, etwas anzufangen. 

Man könnte an dieser Stelle aber auch kritisch zurückfragen: Ist die Predigt wirklich ein Instrument, sich zu messen? Geht es wirklich darum, wer das Evangelium „besser“ verkündigt?

Wenn ich meinen persönlichen Selbstwert als Predigerin daraus ziehen würde, dann wäre das ein Missverständnis. Ich kann mich nicht daran messen, ob ich mehr Applaus kriege oder nicht! Aber ich habe natürlich den Ehrgeiz als Predigerin, Menschen zu erreichen. Und zu fragen, ob mir das gelungen ist, finde ich nicht falsch. Dieser Wettkampf-Charakter ist ja vor allem ein Spiel gewesen. Wir haben beide voneinander gewusst, dass wir gute Predigten gehalten haben. Das eine spricht den einen an, das andere den anderen. Ich finde schon, dass man mit dem Evangelium spielen darf. Jesus ist auch sehr kreativ gewesen, wenn es darum ging, etwas vom Reich Gottes weiterzuerzählen. Er hat vor den Kopf gestoßen, hat irritiert, hat bestimmt auch Leute zum Lachen gebracht.

Man hört sehr deutlich heraus, dass es vor allem um Spaß an der Sache ging. Gab es dennoch ein tieferes Ziel hinter der Aktion?

Ehrlich gesagt: Nein. Man kann natürlich immer sagen, dass das Ziel sei, Menschen anzusprechen, die von unseren üblichen Formaten nicht angesprochen werden. Aber es hat uns eher überrascht, dass das so war. Das Ziel war, dass wir Spaß an der Sache hatten. Der Rest war eine angenehme Nebenerscheinung.

Was für ein Publikum war denn bei dem Predigt-Battle anwesend – viele Kirchenfremde und Neugierige, oder hauptsächlich bekannte Gesichter aus der Gemeinde?

Beides. Es gab zur Hälfte bekannte Gesichter aus der Gemeinde und dem Kirchenkreis, zur Hälfte Neugierige. Es wurde in der Öffentlichkeit mit wahnsinniger, sehr überraschender Aufmerksamkeit wahrgenommen. Es stand wirklich in jeder Zeitung. Die Medien haben das wirklich für eine Nachricht gehalten.

Was glauben Sie: Warum wurde das Format so gut angenommen – aus reiner Neugier?

Auf jeden Fall anziehend ist die Einbeziehung des Publikums, die Partizipation von Gemeindemitgliedern. Du wirst eher ernst genommen, wenn du gefragt wirst: Was gefällt dir? Vielleicht ist es aber auch das Anstößige daran, was neugierig macht: die Entthronung des Heiligen. Als Pfarrerin hat man ja doch irgendwie vielleicht die Aura einer Unantastbaren – selbst wenn es nicht meine Theologie ist! Und nun stelle ich mich da hin und ihr dürft mir sagen: „Das war schlecht.“

Kann Kirche von solch populären Formaten – wie sie zum Beispiel vom Poetry-Slam – lernen?

Auf jeden Fall! Wir können gut zum Beispiel gut von Formaten im Radio lernen. Da macht man keine Beiträge, die länger sind als vier Minuten, weil die Aufmerksamkeitsspanne nicht so lang ist. Wir können darüber nachdenken, wie das, was wir zu sagen haben, auch gut ankommt. Da gibt es im Medienbereich Einiges, was wir noch lernen und uns abgucken könnten. Aber man muss auch pragmatisch bleiben. Man kann nicht jeden Sonntag mit so viel Aufmerksamkeit Gottesdienst vorbereiten, wie das bei einem Fernsehbeitrag der Fall ist, an dem 20 Leute eine ganze Woche dran arbeiten. Bei normalen Sonntagspredigten muss auch das gut genug sein, was wir in unserer begrenzten Zeit schaffen.

Also: Man sollte den Messstab nicht immer allzu hoch hängen.

 Ja. Und ich muss auch sagen, wir haben bei unserem Predigt-Battle keine besonders brillanten Predigten gehalten. Da gibt es sicher größere Prediger, die mit weniger Aufmerksamkeit zurecht kommen müssen. Wir haben eigentlich nur gesagt, was wir dachten.

Wird es Wiederholungen geben?

Das war jetzt erstmal eine einmalige Aktion. Bisher ist keine Wiederholung geplant. Ich freue mich aber natürlich, wenn es Nachahmer und Weiterentwickler gibt!

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Lersner!

 

Wer mag, kann hier die letzte Runde des Neuköllner Predigt-Battles nachhören. Es galt, eine spontane Kurzpredigt um die Begriffe „Zukunft“, „Hass“ und „Dreifaltigkeit“ zu halten:

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