Wenn ein HSV-Fan stirbt, kann er seinen Sarg mit bespielter Bundesliga-Erde beschaufeln lassen. Und das sogar in einem Grab auf dem Fanfriedhof des Hamburger Sportvereins, der im Jahr 2008 direkt neben dem Stadion im Stadtteil Altona eingerichtet wurde. Das Grabfeld gleicht im Aufbau einem Stadion, inklusive der Abstufungen, die die verschiedenen Tribünenränge darstellen. Der verlegte Rasen stammt von dem Platz nebenan, auf dem die Profis ihre Heimspiele absolvieren. Wer sein Leben lang für den HSV geschrien, gejubelt und getrötet hat, kann, wenn der Schlusspfiff ertönt, in die Verlängerung gehen. Wer seine glücklichsten Momente im Stadion verbrachte, bei dem wird weiterhin bei jedem Torjubel der Sarg wackeln.
Der Fanfriedhof des Hamburger Sportvereins ist wohl eine der kuriosesten Erscheinungen, die die Verbindung von Populärkultur und Religion hervorbringen kann. Denn der Abschied aus dem Leben ist seit jeher ein zutiefst religiös geprägtes Geschehen, verbunden mit zahlreichen Fragen, die auf Antworten warten. Und in diesem Fall ist es ausgerechnet der Fußball – eine sonst durch und durch irdische Freizeitbeschäftigung – der in den Bereich der existenziellen Lebensfragen eindringt. Doch Antworten kann er nicht liefern. Was also könnte die Motivation sein, sich dort begraben zu lassen? Ist es vielleicht die Aussicht auf eine Ewigkeit mit dem Fußballgott und seinem himmlischen „sky“-Abonnement, bei Bier und Chips auf der Couch vor der drei-Meter Leinwand? Vielleicht nicht unbedingt. Aber man könnte anders fragen: Warum soll das, was mein Leben bestimmt, nicht auch meinen Tod prägen?
In der uns umgebenden Popkultur, also in kulturellen Massenphänomenen und -medien, ist der Tod allgegenwärtig. Existenzielle Bedürfnisse der Menschen werden dort immer wieder aufgegriffen: Im Krimi wird gemordet, auf der Bühne gestorben, in der Rockballade getrauert. Zunehmend werden Antworten auf Fragen, deren Beantwortungskompetenz man ursprünglich den Kirchen oder Religionsgemeinschaften zusprach, im popkulturellen Rahmen gesucht. Der Religionssoziologe Hubert Knoblauch spricht dabei von einer Entgrenzung des Religiösen – der „populären Religion“. Seien es die beflügelten Engelwesen, die in dutzenden Filmen Menschen im Jenseits begleiten und sich dabei ab und an auf die Erde verirren. Oder sei es der Fanfriedhof, der einem im Tod das Gefühl von Heimat vermitteln soll, wenn der Fußballverein im Leben das Wichtigste war. Und es scheint nicht verwunderlich, dass Menschen die Lösungen für ihre Probleme und Fragen in dem Bereich suchen, der sie alltäglich umgibt. Mehr noch: In der Popkultur „zeigt sich, was die Menschen wirklich glauben, wovon sie träumen, was sie fürchten und woran sie ihr Herz hängen“, so der Theologe Ingo Reuter.
Das Thema Tod ist dabei aufgrund seiner direkten Verbindung mit existenziellen Lebens- und Sterbensfragen besonders interessant. Schaut man einmal, wie der Tod thematisiert wird, lassen sich grob zwei Ebenen trennen. Zum einen begegnet er ganz ohne damit verbundene Fragestellungen: Das Mordopfer im Krimi ist zwar tot, die Handlung des Filmes bewegt sich jedoch ganz im Hier und Jetzt. Das Ziel ist, irdische Gerechtigkeit wiederherzustellen. Die andere Ebene begegnet vor allem in Spielfilmen. Diese setzen sich häufig tiefgreifender mit Tod und Jenseits auseinander oder machen sie gar zum zentralen Element („The Sixth Sense“ oder „Hinter dem Horizont“ zum Beispiel). Im Alltag wird das Thema zwar oft verdrängt – die Popkultur zeigt jedoch, dass es die Menschen beschäftigt.
Der Tod – und nun?
Nun macht uns das bevorstehende Osterfest bewusst, dass der Tod nach christlicher Überzeugung nur die eine Seite der Medaille ist. Christen auf der ganzen Welt gedenken am Karfreitag der Kreuzigung Jesu. Am dritten Tag aber, am Ostersonntag, feiern wir die Auferstehung, die das Neue Testament bezeugt. Sie ist ohne Analogie in der Geschichte, unwiederholbar und damit unüberprüfbar – drei Faktoren, die aus naturwissenschaftlicher Sicht genügen, ein gnadenloses Urteil zu fällen. Die Auferstehung wird damit zu einem Ereignis, das in einer wissenschaftlich-aufgeklärten Gesellschaft kaum realitätsferner sein könnte. Ist die Auferstehung also, anders als der Tod, ein Thema, das die Menschen nicht beschäftigt? Auch hier soll ein kurzer Blick auf die Popkultur gewagt werden.
Nehmen wir als Beispiel einmal den Beginn von „Skyfall“, dem jüngsten James Bond-Film: 007 kämpft um sein Leben. Gewohnt actionlastig gegen einen Bösewicht, mit den Fäusten auf einem Dach eines ratternden Zuges, der über eine Brücke auf einen Tunnel zuschießt. Bonds Kollegin, die die beiden Kontrahenten fest im Visier ihres Gewehres hat, zögert, ihm mit einem gezielten Schuss zu Hilfe zu kommen: zu wirr der Kampf, zu unübersichtlich das Handgemenge. Doch sie drückt ab. Und trifft den Falschen. Der Geheimagent fällt leblos in die Tiefe, schlägt hart auf dem Wasser auf – ein Sturz, den schon aufgrund der Höhe niemand überleben kann. Bond treibt leblos in den Fluten, wird einen tosenden Wasserfall hinuntergespült, gleitet langsam in die Tiefe. Der Agent ist tot. Erschossen, auf dem Wasser zerschellt und schließlich ertrunken. Der Protagonist stirbt vermeintlich noch im Intro.
Doch natürlich tut er das nicht. Denn es folgen noch 130 Minuten voller Hetzjagden und Explosionen, und die brauchen einen Helden: James Bonds Hobby ist „Auferstehung“, wie er später im Film gegenüber dem Bösewicht des Films sagen wird. Wie er das bewerkstelligt, bleibt sein Geheimnis – es wird nicht aufgeklärt, wie der Körper des Briten die anfängliche Tortur überstanden hat.
Auferstehung bleibt mysteriös
Es ist interessant, wie das Thema hier aufgegriffen wird. Die Auferstehung des James Bond bleibt im Verborgenen. Deutlich wird nur, dass er sie aus eigener Kraft bewältigt. Schließlich ist es ja sein Hobby. Da ist nichts Übersinnliches, nichts Transzendentes. Lediglich der mystische Schleier, der den Vorgang umhüllt. Und der wird auch nicht gelüftet, man will dem Zuschauer schließlich die Faszination nicht nehmen.
Ähnlich läuft es bei dem Zauberer Gandalf in „Herr der Ringe“. Nur dass hier die Bezüge zu einem Jenseits offenbar sind, denn Gandalfs Worte bei seiner Auferstehung sind: „Ich wurde zurückgeschickt, bis meine Aufgabe erledigt ist.“ Hier ist also ganz offensichtlich eine höhere Macht im Spiel, die die Fähigkeit besitzt, Leben zu nehmen und auch zu geben. Natürlich ist das auch dem christlichen Hintergrund des Autors J.R.R. Tolkien zu verdanken. Fakt ist aber, dass hier die Auferstehung Einzug in ein popkulturelles Medium fand. Man könnte die Liste an Beispiele noch ausweiten: Auch in den Filmen „Matrix“ und „Avatar“ findet sich – jeweils in unterschiedlicher Weise – eine Auferstehung, deren genaue Funktionsweise im Dunkeln bleibt. Das Motiv der Auferstehung ist der Popkultur – und damit den Menschen – keineswegs fern. Und es wird auch nicht kritisiert oder hinterfragt. Es ist ein Faszinosum.
Nun ist die Auferstehung, die Christen an Ostern feiern, alles andere als von der breiten Gesellschaft unhinterfragt akzeptiert. Denn natürlich gibt es einen bedeutenden Unterschied: Während man sich im Film in einer Scheinwelt bewegt, die niemand ernsthaft für real hält, beansprucht das biblische Zeugnis der Auferstehung einen Platz in unserer geschichtlichen Wirklichkeit. Und mehr noch: Im Kino sind es die Filmfiguren, die die Auferstehung ihres Helden brauchen – seien es „M“ oder Frodo und seine Gefährten. Das Geschehen wird abstrahiert und auf andere, nicht reale Personen bezogen. Das Christentum jedoch betont, dass die Auferstehung kein abstraktes Geschehen ist, sondern für den jeweils einzelnen Gläubigen relevant ist. Ist es vielleicht dieser Perspektivwechsel, der das Zeugnis der Auferstehung so un-glaublich werden lässt?
Dabei gibt es einige Gemeinsamkeiten. Auch im Neuen Testament bleibt das Geschehen der Auferstehung im Dunkeln, der eigentliche Vorgang wird nicht berichtet. Auch hier wird der mystische Schleier nicht gelüftet. Auch die Auferstehung Jesu ist nicht erklär- oder nachweisbar, auch sie will Faszinosum sein. Ist die österliche Auferstehungsbotschaft der Christen bei allen Differenzen am Ende vielleicht doch nicht so weit weg von den Menschen?
Wo die Schwachheit zur Stärke wird
Schon ein kurzer Ausflug in die Popkultur anhand konkreter Beispiele zeigt: Das Verlangen nach Antworten auf existenzielle Fragen, und dazu gehören Tod und Auferstehung, ist allgegenwärtig. Und die Botschaft von Ostern hat Antworten parat, die um ein vielfaches tragfähiger sind als jene der den Scheinwelten von James Bond oder Gandalf. Denn es geht gerade nicht um abstrakte Filmgestalten, sondern um uns ganz persönlich. Kreuz und Auferstehung zeigen uns, ganz im paulinischen Sinne, die Unerhörtheit des biblischen Gottes. Er erniedrigt sich bis zum Äußersten – doch gleichzeitig endet sein Wirken nicht mit Jesu Tod.
Daraus ergibt sich die Paradoxie der Osterbotschaft: Gerade die Schwachheit, in die sich Gott begibt, zeigt uns letztlich seine Stärke. Christen dürfen bekennen: Jesus Christus weiß, wie es ist, schwach und verzweifelt zu sein. Denn er war es selbst, wie Jesu Gebet im Garten Gethsemane zeigt. Zugleich aber endet die Geschichte nicht an dieser Stelle, sondern eröffnet eine machtvolle Perspektive der Hoffnung. Einer Hoffnung, die für uns ganz persönlich wichtig werden kann. Nicht nur an Ostern. Die Geschehnisse von Karfreitag und Ostern werden zum Wegweiser: Aus ihnen kann eine solide Basis entstehen für Antworten auf Fragen, die uns im Innersten umtreiben.
Doch mehr noch. Während populäre Filme mit dem Thema der Auferstehung und der damit einhergehenden Faszination spielen, stellt uns die Osterbotschaft eine ganz konkrete, persönliche Frage: Worauf vertrauen wir im Leben und vor welchem Horizont gestalten wir es? Es wäre doch ziemlich traurig, wenn dieser Horizont nur ein Platz auf der Couch neben dem Fußballgott wäre.
[Dieser Text erschien zuvor in der Zeitschrift Publik-Forum (6/2013), Postfach 2010, 61410 Oberursel. Hier im Original vollständig lesen.]
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