Murmeltiertagmultiplikation

Am 2.2.22 ist es wieder soweit. Murmeltiertag. Und immer noch Pandemie. Seitdem ich das letzte Mal oder das vorletzte Mal zu diesem Zivilritual geschrieben habe sind, keine Ahnung, wieviele Jahre vergangen und es entwickelt sich so etwas wie ein Meta-Gesamt-Murmeltier-Zustand. Tagesabläufe, die so gleich sind, dass sie sich anfühlen wie fettige Fingerabdrücke auf den doppelten Fast-Forward-Pfeilen auf dem Keyboard.

Ein wesentlicher Unterschied ist, dass ich gerade, vielleicht unbewusst, jedenfalls zufällig, hintereinander mindestens vier (!) Neuumsetzungen des Klassikers von 1993 gesehen, bzw. passenderweise als Wiederholung angeschaut habe: Edge of Tomorrow (2014), Boss Level (2021) und Palms Springs (2020) – beide vom selben Sender übrigens (Hulu). Bei näherer Überlegung war Free Guy (2021) auch ein Reboot von Groundhog-Day mit mehr Emphase auf Leben als Videospiel. Tomorrow War (2021) war entgegen meiner Erwartung ohne Zeitschleife, aber sonst eine gute Neuauflage von Edge of Tomorrow, verwirrend, aber der Titel klingt wirklich wie ein zweiter Teil und in gewisser Weise ist er das.

https://www.youtube.com/watch?v=9mkiY-37OG4

Mindesten viermal der selbe Film eigentlich, unzählige Male dieselbe Aufwachszene wie ursprünglich mit Bill Murray und dem Radiowecker und den Atom, äh Autobomben. Überall liegt dasselbe narrative Grundschema vor: Jeder Tag beginnt mit Augenöffnen, liegend, meistens endet der Tag davor mit dem Tod. In Edge of Tomorrow lebt Tom Cruise solange in der Schleife bis er erst ein trainierter Soldat und dann auch ein trainierter guter Mensch wird.

Dasselbe in Boss Level mit einem immer besser werdenden Frank Grillo und dem eigentlich verbotenen Mel Gibson in Nebenrolle. Hier wird die Computerspiele-Logik hinter dem Sterben und Neustarten mit dem Aspekt von Gewalt verbunden. Der scheint die Filme zu verbinden, die Eleos-und-Phobos-Funktion (also das wohliche Gaffen, Erschauern und Fürchten von) entschärfter Gewalt, die nicht tötet und nichts zerstört, weil alles wiederkommt. Ein erstes theologisches Moment, bei Slapstick-Gewalt und Videospielen, gleichermaßen.

Palms Springs betont stärker die Beziehungsebene, ist aber nicht gerade zimperlich, was die (angenehmerweise dank Zeitloop) sinnlose Gewalt angeht. Hier dominiert der Moment, dass der, übrigens immer und immer wieder nur männliche, Protagonist erst dann aus der Zeitschleife rauskommt, wenn er sich verletzlich macht und etwas riskiert und sich klassisch wertekonservative Familienwerte aneignet.

Kein Wunder das zu der Erfahrungswelt der Pandemie die Wiederholungsfilme wiederholt neugestartet werden: Wir suchen alle immer noch nach einem Weg raus. Nur ist das in der christlichen Perspektive nicht unsere hochindividuelle Selbstoptimierungs-Challenge, sondern liegt außerhalb unserer Kraft, diesmal offenbar wirklich mal, historisch einzigartig. Die Kohelet-Besessenheit mit Kausalität und eigener Schuld, das Grundparadigma der Depression als Corona-Grundgefühl, wird irgendwann überfahren vom Ausweg und Bruch wie im 22. Psalm und im 23. Psalm und das macht Gott, der bezeichnenderweise in den Murmeltier-Reiterationen nicht vorkommt.

Ezechiels Ufo? – Die Außerirdischen sind zurück

Uuund: Akte X-Melodie im Kopf abspielen

[Pfeifgeräusche mit Hall] Es liegt nicht (nur, denke ich) daran, dass die Akte-X-affine retro-Neunziger Generation Baerbock jetzt die Macht übernimmt, sondern an einem diskursiven Ruckelrutsch in der Aktenlandschaft der USA, dass  – Trommelwirbel – UFOs wieder da sind und es dann doch offenbar Außerirdische gibt.

Nein, ganz ernsthaft und vernünftig. Nicht die Illuminati, nicht die Majestic 12 oder AREA 51-Verschwörungen, sondern investigativer Journalismus bringen das jetzt zum Vorschein. 75 Jahre nachdem Roswell entweder passiert ist oder nicht, warten alle auf den AATIP-Report des Pentagon. Also die Bestätigung, dass es überhaupt ein richtiges staatliches Programm gab, dieses Advanced Aerospace Threat Identification Program.

Wer nach Corona gerne mal eine Pause gehabt hätte, ich fürchte: Pausen sind vorbei so wie die Welt jetzt weiterläuft.

Ufologie 4.0

Die Ufologen haben sich ausdifferenziert und es sieht so aus, als hätten sich die aufklärerisch-vernünftigen langsam durchgesetzt. Viele Akteur*innen sind im Spiel, der ehemalige Pentagon-Beschäftigte Luis Elizondo, der empirische Fakten für unerklärbares Objektflugverhalten angesammelt hat und für AATIP Zuständige, gehört dazu, genauso wie Leslie Kean, die mit einem Times-Artikel vom 16.12.2017 den sogenannten agnostischen Ausgangspunkt für die Bewertung von unidentifizierbaren Flugobjekten ins Zentrum des Diskurses brachte – also die nüchterne Überlegung, dass es außerirdisches Leben geben könnte – und dass das Pentagon schon seit 10 Jahren ein Programm hat, dass das genauso sieht.

Der nüchtern-vernünftige Guardian berichtet unlängst, dass die nationale Sicherheit durch unvorstellbare Technologien, die u.a. Nuklearanlagen beeinflussen und abschalten konnten.

Ufo-Theologie(n)?

Wenn das kein Predigtaufhänger ist. Ist aber auch nichts für Theologie ganz Neues, Erich von Däneken und Prä-Astronautik jetzt mal weggelassen – deswegen nur die Literaturempfehlung: The Spaceships of Ezekiel von 1974 mit der Vision der Räder innerhalb weiterer Räder als Begegnung der Dritten Art. SciFi nicht nur in der Bibel, sondern Sci-Fi-Bibel ganz ohne Ron Hubbard.

Die relgiöse Dimension des UFO-Craze liegt auf der Hand. Fabian Maysenhölder ist dafür mehr Experte als ich. Das Schema seit den 1940ern ist offen millenaristisch: Jeden Moment kommt das Ende und die Begegnung und die Erlösung und dann verschieben die Propheten wie Steven M. Greer dann doch nochmal Ihre Prophezeiungen.

Und dann folgt auch gleich die systematisch-theologische Frage, was macht das mit dem biblischen Befund und der Kirchengeschichte, wenn es nicht nur zwei, sonder x mal x Schöpfungsgeschichten geben müsste?

Und es folgt die Frage: Bist Du bereit wirklich nochmal ernsthaft zu glauben, dass jetzt dann doch Außerirdische existieren – wie alle Astrobiologen uns versichern?

Theoradar und die Zukunft

Seit 2016 existiert Theoradar – eine „Topliste“ christlicher Blogs, die die Beiträge der christlichen Blogosphäre auf Interaktionen in den Social Media (Facebook und Twitter) hin überprüft und ein Ranking erstellt. Nun ist seit einigen Wochen „Schicht im Schacht“ – Theoradar ist im Wartungsmodus. Grund dafür ist ein Änderung in der Facebook-Schnittstelle, die es fortan nur noch erlaubt, Beiträge mit Interaktionen >100 auszulesen. Das trifft nicht nur Theoradar und wird seitens Facebook mit Datenschutzrechtlichen Bedenken begründet.

Fakt ist: 100 Interaktionen sind eine Schwelle, die in der christlichen Blogosphäre nur wenige Beiträge erreichen. Eine Topliste wie in der bislang existierenden Form macht so keinen Sinn mehr, man könnte dann auch gleich die zwei oder drei „Big Player“ abonnieren, die ohnehin die Topliste mindestens in den vergangenen 2 Jahren dominiert haben.

Also: Was nun?

Was wie ein Toddesstoß klingt, wollen wir als Herausforderung betrachten. Von Anfang an war das Anliegen von Theoradar, Themen sichtbar zu machen, die in der #digitalenKirche diskutiert werden. Bislang haben wir das über Social-Media-Interaktionen gemacht. Den (riesigen) Stein, den Facebook uns nun mitten auf den Weg gelegt hat, nehmen wir zum Anlass, einen Relaunch anzugehen: Wir lassen Theoradar nicht sterben, sondern machen es besser. Wir planen, die Themen mehr in den Fokus zu stellen.

Die Kernkompetenz nutzen

Theoradar zeichnet sich – ganz ohne Facebook! – nach wie vor dadurch aus, dass wir die größte öffentlich zugängliche Datenbank christlicher Blogs bieten (Stand heute knapp 550 Blogs und Podcasts). Wir erfassen jeden Beitrag, der auf diesen Blogs veröffentlicht wird. In den vergangenen Jahren waren das fast 90.000 Stück (mit über 1.000.000 Interaktionen in den Social Media).

Künftig wollen wir erstens diese Artikel auf die Themen hin auswerten, die dort aktuell diskutiert werden. Anstatt einer Chart-Liste, die nach Interaktionen sortiert, wollen wir die meistdiskutierten Themen aufzeigen, um dann die Beiträge zu verlinken, die sich mit dem jeweiligen Thema beschäftigen. Zweitens prüfen wir Möglichkeiten, Diskussionen in der #digitalenkirche zum Beispiel auf Instagram ebenfalls mit einzubinden und sichtbar zu machen.

Diese Planungen heißen aber auch: Theoradar muss (in großen Teilen) von Grund auf neu programmiert werden. Mindestens sind starke Anpassungen nötig. Da sowohl Tobias als auch ich beruflich eingebunden sind, muss das „nebenher“ passieren. Kurz: Es dauert. Mindestens über den Sommer hinweg, möglicherweise bis Ende des Jahres.

Theoradar legt also eine Pause ein, um Schwung zu holen und als neue Web-App durchzustarten. Wir glauben: Als eine Web-App, die besser sein wird als die alte, weil sie dem Grundanliegen von Theoradar gerechter wird und auch kleinere Blogs sichtbarer werden als bisher.

Was bis zum Relaunch bleibt, ist die Datenbank: Die ist durchsuchbar nach Blogs und aktuellen Artikeln. Dort wird (chronologisch) jeder Beitrag verlinkt, der in der christlichen Blogosphäre erscheint – auf diese Datenbank wird die Domain theoradar.de bis zum Relaunch verweisen.

Religiöse Trailerisierung

Bam! Sünde weg. Gottessohn unter uns. Gemartert, gestorben, wieder da. Sonnenaufgang. Schwarzer Bildschirm. Ich mag Trailer und Teaser. Und wer diesen Blog ab und zu liest hat das gemerkt oder kann das hier vertiefen. Ich schaue oft und gerne Trailer und Teaser. Sie gehören zu meinem YouTube-Algorithmus-Footprint wie die DNA meines Sehverhaltens.

Traileraufmerksamkeit in Coronazeiten

Trailer und Teaser entscheiden nun auch in der Corona/Post-Corona-Wendezeit offenbar noch stärker als zuvor über Gedeih und Verderb von Clickrates und Watchtime und überhaupt über die Quantifizierung von Digitalem-Kirch-Erfolg. Ich will sofort – instantaneous und wiederholbar – den Content überschauen, bevor ich wertvolle Sekunden investiere und mir das ganze Ding reinziehe. EIN gutes Bild, WENIGE wichtige Worte, KURZE Sequenzen. In der Regel sind das die besten Witze von einem ganzen langen Film, Explosionen, immer extremere Stunts, schwere Krankheiten und aber auch gleich schon der Transformations-Ausblick mit der entsprechenden hoffnungsvollen Gitarrenmusik. Der Trailer ist in der Masse an Netflix- und Amazon-refinanzierten Massenangeboten wirklich immer öfter besser als der Film. Bessere Dramaturgie. Bessere Bilder. Mehr Emotionen. Spannung. Genauso wie das beim Beginn von Religionen war und bleibt. Wenige, kompakte, intensive und emotionale Bilder und Worte reizen und kitzeln, versprechen, aber liefern noch nicht; die ganze Story ist noch nicht erzählt.

Jesustrailer Bibel

Und ich bin überzeugt, dass Trailer und Teaser eine religiöse Komponente haben. Bzw. das Religion teased und trailered, offen lässt, schnell zusammenfasst, provoziert und dann abbricht. Das Ende der Welt, der Messias ist noch nicht fertig, das letzte Kapitel noch nicht erzählt. Christlich: Das Evangelium funktioniert doch auch nicht anders als eine Vorschau. Ursprünglich wenige radikal eingedämpfte Logien-Sprüche vom Nazarener, die schlaglichtartig und explosionsartig eine neue Welt erzählen. Dann der Long Read, die Bibel, die Spin-Offs, die Filme, die Kirche, Dein und mein Leben. Wir sind der Film, das Buch, das Leben zum Jesustrailer. Oder interreligiöser, wir sind die, die den Trailer für die bessere Welt und ihr Ende gesehen haben und das jetzt ausfüllen – gespannt auf die Auflösung.

Trailerisierung praktisch

Was heißt dann Trailerisierung – praktisch? Zuerst mal lernen wir das möglichst schnell und gut für unsere Videoproduktionen, weil wir es müssen, weil der Algorithmus uns dazu zwingt – genauer aber eigentlich das aktuelle Sehverhalten. Es bedeutet auch, die Herausforderung von TikTok, noch kürzer als die Vorgängerversion Vine, produktiv einzubeziehen: Wenige Sekunden sind momentan transformativ, erfreulich, bringen positive Emotionen. Und sie werden eben gerade wiederholt angeguckt. Nicht das Viewverhalten, sondern das Re-View-Verhalten und die Snackability entscheiden.

Das heißt dann noch viel mehr und mich interessiert, was das sein wird. Die Botschaft in wenig Zeit, Bild und Ton. Schnell und on demand, völlig offen und vor allem: Mit dem Aufbau von Spannung und Unaufgelöstheit. Dann denke ich auch: Schluss mit Paraphrasieren – auch visuell und akustisch. Wenn ich schon den Trailertext in der Lesung hatte, muss ich eine Bibelgeschichte nicht nochmal genauso vertonen oder visualisieren und ihren Text 1:1 wiedergeben und parallelisieren, ohne dass ich in dem Medium, in dem ich mich bewege etwas hinzufüge, neue Szenen mache und nicht denselben Content ausbreite und erkläre. Und dann heißt es, die Dynamik des Kitzelns, des Aufschiebens, der delayed gratification als Grundpfeiler von Zivilisation auch kreativ-homiletisch und kirchenkommunikativ neu umzusetzen. Dann weiß jeder sofort bei unseren religiösen Reden: wo kribbelts, wo explodiert es, und vor allem, was hab ich davon, wenn ich tiefer einsteige?

Und das Problem ist, dieser Beitrag ist noch Fließtext und nicht Video, lang und nicht stakkato, aber es wird.

Murmeltiertheologie – und täglich grüßt der Lockdown

Es ist wieder so schlimm. Ich brauche Bill Murray. Und ein Murmeltier. Ich wusste das nicht, bis mich meine GKR-Vorsitzende am Tag nach dem Hin und Her der Bund-Länder-Runde mit den episch gewordenen popkulturell verweigten Worten begrüßte: Und täglich grüßt das Murmeltier. Wie der Film von 1993.

Pop-Religion mit Nagern

Punxsutawney, Pennsylvania. Wenn das Murmeltier am 2. Februar rauskommt und seinen Schatten sieht, gibt es noch 6 Wochen Winter. 2021 war das der Fall. 15.000 Menschen haben sich das live angeschaut, über Video-Stream, nicht vor Ort. Das war seit 1887 das erste Mal der Fall. Wegen Covid-19. Eigentlich ist das ein vorgezogenes Auferstehungsfest. Aus der Höhle raus, ans Licht, der Winter ist zu Ende. Weg mit dem Schatten des Todes.

Technisch gesehen Mariae Lichtmess, Tag der Darstellung des Herrn. Tag, an dem Licht Dunkelheit überwindet. Sonnt sich der Dachs in der Lichtmesswoche, geht auf vier Wochen er wieder zu Loche. Ein deutscher Brauch, ein religiös-folkloristischer Hybrid, exportiert und popularisiert, verfilmte Winter- und Leidenserfahrung. Es ist nicht mehr Februar, aber im zähflüssigen Alltag habe ich das nicht richtig mitbekommen. Ich weiß oft nicht, welcher Tag ist

Livestream Murmeltier mit Botschaft

Dieses Jahr hatten die Menschen in Pennsylvania eine Trostbotschaft: „Die Menschen zitieren die ganze Zeit „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Es fühlt sich so an, als ob wir alle denselben Tag wieder und wieder erleben“, sagt ein Mann mit Zylinder im Live-Stream, Teil des sogenannten inner circle um das Murmeltier mit dem zeremoniellen Namen Phil, „der Murmeltiertag zeigt uns aber, dass die Monotonie gebrochen werden wird. Der Endlos-Kreislauf wird gebrochen“. Trotz noch 6 Wochen. Immer noch 6 Wochen, überall auf der Welt. Nochmal 6 Wochen einigeln und einmurmeln.

An „Und täglich grüßt das Murmeltier“ bzw. „Groundhog Day“ tröstet mich vieles, gerade jetzt an Ostern, wo wir im selben Lockdown seit Weihnachten sitzen und die Feste und Rituale wie die Tage ineinander übergehen und verschwimmen und Netflix und 90er-Nostalsgie mich bei Laune halten.

Murmeltrost

Mich tröstet Bill Murray, schon sein Gesicht, ob nun hier oder in Ghostbusters oder bei Wes Anderson oder sonstwo. Mich tröstet, was meine Gemeindekirchenratsvorsitzende dazu gesagt hat: In dem Film geht es ja darum, dass Bill Murray (bzw. auch Phil im Film) lernt und ein anderer wird. Mich tröstet der perfekte Tag, den Bill Murray über wer-weiß-wie-lange zusammenbaut. Nach Phasen der totalen Verzweiflung und des totalen Exzesses, nutzt er die Zwangsschleife, muss er sie nutzen, gibt sich da rein – in die purgatoriale TV-Wiederholung – öffnet sich für andere, lernt Klavier, zitiert Tschechov, macht Eisskulpturen und vor allem hilft er ganz vielen spontan. Mit einer ganz leichten Neunzigerjahreschmierigkeit transformiert sich der genervte, narzistische Wettermann wie die verfressene Raupe nimmersatt und kommt am Ende ganz anders aus dem Endlos-Zyklus heraus ( – hier sind keine Verweise auf lineare Heilsgeschichte versus zyklische Wiedergeburtsvorstellung notwendig – wir alle sitzen gerade eher im Zwangsrad des Schicksals, jedenfalls mehr als je zuvor).  Dann bricht es auf und das Leben geht wieder los, viel besser und Bill Murray ist glücklich. Und ich auch.

Rituelle Verschiebungen aus der Dauerschleife

Groundhog Day zeigt eine Funktion von Ritualen. Also auch vom Gottesdienst, vom Beten, vom Lesen und Meditieren und gemeinsamen Essen etc. Sie wiederholen nicht immer blind das gleiche. Sie verändern uns und sich selbst langsam, bis aus dem Zirkel etwas neues hervorbricht, mal schneller und mal langsamer. Über lange Zeit. Also: laaaange.

Jeder Versuch, billig und schnell an eine gute Beziehung zu kommen, das erwünschte Normal zu erreichen, endet damit, dass Rita ihm ins Gesicht schlägt. Wie das Schicksal. Immer und immer wieder. Bis er nicht mehr kann. Dann kommt die Selbstmordphase. Auch keine Antwort, Gott sei Dank. Dann kommt die Wahnsinnsphase „Ich bin Gott“ sagt Phil – und Rita, die Ersehnte sagt: „Glaub mir, Du bist nicht Gott, da sprechen zwölf Jahre katholische Schule aus mir.“  Zwölf Jahre Schule. Das ist Murmeltiertag. Vierzig Tage. Wüste. Garten. Höhle. Grab. Wiederholung bis es popreligiös klickt.

Tröstend ist, dass Bill Murray physikalisch mit der Situation, einer letztendlich spirituellen Anfechtunsgssituation, kämpft. Er lässt sich immer wieder schlagen, um zu sehen, ob er noch lebt. Er kriegt Fäuste und Schaufeln ab, seine eiskalte Dusche quält ihn. Exerzitien.

Murmeltiertugend

Aus dem Groundhog Day, aus der Wiederholung, der körperlichen Einschränkung, dem rituellen Lernen Tugenden entstehen, neue Covid-Tugenden, wie sie als Praxis-Theoriegebilde in der Theologie seit geraumer Zeit nicht nur katholischerseits Renaissance feiern. Der Anspruch rollt mit dem Abspann auf uns zu, der wird vielleicht auch langsam selbst ein eigenes tägliches Murmeltier ist: Dass Wiederholung und Eingrenzung Tugend fördern kann, Freundlichkeit und Geduld und Demut aus der Unfreiwilligkeit und der Selbst- und Fremdbegrenzung, aus der Zwangsritualisierung des Lebens. Auch wenn das erstmal nur heißt, Ruhe suchen und einen schon fast 40 Jahre alten (autsch) Film

Digital und distanziert Trösten, wie (besser als) Zalando

In Runden von theologischen Praktiker*innen kommt die Rede in meiner Wahrnehmung gerade schnell auf eine homiletische Krise verbunden mit einer medienstrategischen Krise, verbunden mit einer basisseelorgerlichen Krise – mit einer Trostkrise. Was vorher schon angeknackst oder beschädigt war in der Praxis und Reflexion bricht jetzt durch die Pandemie nochmal störker so auf, dass neues Licht durchscheint. Oder mit den Worten von Rev. Cameron Trimble (https://convergenceus.org/): Theologisch ist Corona das Geschenk, dass wir jetzt nicht mehr alles so weiter machen, wie wir das immer gemacht haben, sondern unser Job ist jetzt „rebuilding und reshaping“. Ich schaue dafür auf homiletische, seelsorgerliche und mediale Herausforderungen der letzten Wochen, die Scharnierstelle des Tröstens in der Bibel, Sprechakttheorie und ihre Grenzen.

Trösten in der Seelsorge

Wo sich gerade so viel verschiebt, von der Gottesdienst- und Abendmahlspraxis bis zur Machtverteilung, ist auch die praktische theologische Aufgabe des Tröstens in einem Umbruchgeschehen. Wenn Seelsorger*innen, Pfarrer*innen und Predigeri*innen zusammen kommen, dann ringen sie mit dem Trösten. Trost scheint in der Erwartungshaltung etwas zu sein, was die Kirchenperson ‚hat‘ und anderen Menschen dann ‚gibt‘ oder ‚spendet‘ oder ‚schenkt‘. Und ich entdecke auch bei mir selbst: Ich erwarte persönlich von einer Kolleg*in, dass sie mich im Idealfall ein bisschen trösten kann. Aber wie Segen stellt sich Trost aus der Souveränität Gottes, aus der Selbstheilung und systemischen Perspektiveränderung nicht aus der Kraft oder Macht der Kirchenpersonen ein, oder?

Vielleicht muss man aufhören davon zu sprechen, dass unsere Aufgabe das Trösten ist, in dem Sinne, dass wir das irgendwie ‚leisten‘. Trotzdem wird auch die gemeinsame Trostarbeit schwerer, je weniger Nähe wir haben, je weniger wir den Prozess des Trosterlebens und Trosterlangens durch das schiere Da-Sein und Zuhören fördern können. Aber beim Trösten auf Distanz kann man neu und verbessernd lernen.

Nicht im Tal lassen – homiletisch Trösten

Wenn es bei der Predigt hart auf hart kommt, hat meine Superintendentin im Vikariat immer gesagt, dann „immer Trösten, immer Trösten“. In meiner Seelsorgeausbildung habe ich sehr von einer Rückmeldung zu einer meiner offenen Kunstwerk-Predigt gelernt, bei der mir eine Kolleg*in mitteilte: Du hast mich da im dunklen Tal gelassen und nicht wieder rausgeholt. In Reflexionsrunden über Zoom-Gottesdienste höre ich vermehrt auch von anderen Prediger*innen , dass sie mit dieser Erwartung konfrontiert werden und sie nicht immer schematisch erfüllen wollen. Wie ich mit ihr umgehe, dass treibt mich gerade.

Ich schmeißen gerade ungern mit Heils-Indikativen um mich, wenn ichpredigen. Ich zweifele, zögere und denke, kaue an den Worten und hadere – grenzen mich ab, gegen allzu entschlossene Untergangs- und Optimismuspredigende anderer Kirchensubkulturen. Ist da was kaputt dran?

Bildertrösten und Trostbilder

Zurück zur Kolleg*innenrunde: Viele Kolleg*innen und auch ich haben sich getröstet gefühlt von der die „Holidaykampage“ von Zalando „Wir werden und wieder umarmen“ oder „we will hug again“.

https://www.youtube.com/watch?v=hYLsVwlXj4g&ab_channel=Zalando

 Das Unternehmen schreibt selbst:

Dieses Bild, diese Bilder sind genau der Indikativ, das „Versprechen für die Zukunft“, die erstaunlich auch für kirchliche Praktiker*innen ganz persönlich funktionierte, eine Sehnsucht, eine Emotion bediente, erfolgreich elementarisierte. Trost im Bild mitten in der Pandemie. Fokus auf das, was fehlt und das klare, indikative Statement: Das kommt wieder. Dazu niedliche Menschen.

„Diese einfache, aber wirkungsvolle Kampagne ist ein Versprechen für unsere Zukunft. Ziel war es, all die Äußerlichkeiten, die mit den Feiertagen in Verbindung gebracht werden, wegzulassen und den Fokus auf das innere und wichtige Symbol von Nähe zu legen: die Umarmung. Während einer globalen Pandemie eine weltweit produzierte Kampagne ‘remote’ aus der Ferne zu drehen, war eine spannende Herausforderung und wir freuen uns darauf, die Botschaft von Zalando in die Welt zu tragen“, so Veit Moeller, Executive Creative Director von Anomaly Berlin.

Der Jesaja-Sprechakt – Startpunkt vom Bibeltrösten

Der Elementartheologische Sprechakt aus Jes 40,1 „Tröstet, Tröstet mein Volk“(Imperfekt Pi’el mask. Pl.) ist der Bruchpunkt unserer Bibelbücher, wo plötzlich ein Neueinsatz geschieht, der sich weit in die hebräische und christliche Bibel ausbuchstabiert und weiterentwickelt. Die Trostarbeit ist in dieser Anrede zugleich die Aufgabe von vielen, von Gottes Volk. Sie sollen es tun, an sich und an anderen und sie sollen davon profitieren. Sie sind zugleich Empfänger und Sender von Trost.

Ich reiße das mal sprechakttheoretisch an, weil ich so besser sortieren kann, wieso Trostarbeit auch medial anders ist, als die Erwartung eines direkten Trostzusprechens.

Sprechakttheoretisch ist Trösten ein von John Langshaw Austin so genannter perlokutinärer Akt. Darin liegt eine wichtige Unterscheidung für die Praxis, finde ich. Illokutionäre Sprechakte bewirken mit ihrer Äußerung sofort das, was sie sagen. Ich erkläre dich hiermit als verurteilt, etc. Anders bei der Perlokution. Da wird unterschieden zwischen dem Akt der Perlokution – dem tröstend Sprechen – und dem Effekt der Perlokution – Trost stellt sich wirklich spürbar und kognitiv bei den Hörenden ein.

Das ganze funktioniert dann so: Indem ich mit der Intention zu trösten sage „Du wirst deine Großmutter wieder umarmen“ (Lokution) und damit eine Behauptung vollziehe (das wird so sein, Illokution) bin ich fertig mit dem, was ich machen kann. Ob und wie – dadurch – Trost einsetzt, sich einstellt, ist nicht in meiner Macht. Austin spricht von der Kraft der Illokution, die dafür sorgt, dass das gesagte auch etwas in der Welt verändert. Dass das passiert, dass Trost sich dadurch einstellt, dass wir reden, dass das verstanden wird, dass man uns glaubt, uns akzeptiert etc. Aber ob es ankommt, ob die Kraft der Illokution reicht, liegt – das wäre mein Vorschlag – bei den Hörenden und bei Gott.

Mit dem Ur-Trostakt der Bibel und John L. Austin kann ich also biblisch- und sprachtheoretisch Trost und Trösten nicht alleine ‚leisten‘ oder garantieren: Viele machen es als zugleich Gebende und Empfangende, Adressat*innen und Sprecher*innen (und wenn ich andere tröste, spüre ich diesen Trost ja auch selbst noch mit und profitiere davon, gebe ihn also nicht ab) und die Kraft dessen, was ich machen will, indem ich etwas sage, damit etwas passiert… die können wir homiletisch und seelsorgerlich Gottes Wirken zuordnen.

Bildakte und Stimmakte – Mediale Nachhalle

Und das eben auch medial und anders und auf Distanz. Mit Vertrauen in die Macht neuer und guter Bilder in einer visuellen Kultur, die eben auch visuelle Seelsorge und Predigt brauch; dann mit der Erkenntnis, dass der Zalando-Indikativ funktioniert, weil diese bildgewordene Behauptung den Empfänger*innen die Letztmacht der Perlokution zuspricht, weil sie zeigen und nicht reden, weil sie behaupten und versprechen und es über die Augen in die Seele kommt und nicht durch die Ohren – weil die Zalando-Bild die Wiederherstellung von Emotionen in actu zeigen.

Warum aber funktioniert das Zalando-Bild als Trost?

Genauso wie wir, früher revolutionär, den wiederhergestellen Körper Jesu zeigen – mit genau derselben perlokutionären Bildakt-Wirkung als Intention. Zalandos Trost funktioniert als Bildakt, nicht als Sprechakt. Für mich kann ich subtrahieren, dass das jemand ist, der mit Kleidung verkaufen will. Und gerade bei vielen Kirchenleuten auf der Suche wirkt das Bild als Trost. Und an dieser Stelle würde ich gerne weiterfragen und forschen – gerne auch in den Kommentaren oder Mails: Warum funktioniert das Zalando-Bild als Trost? Denn ich glaube, hier lohnt es sich zu lernen.

Zum Schluss noch ein praktischer Nachhall aus den Praktiker*innenrunden: Wo wir auch ohne Worte und eben auch über Zoom und Teams und Webex und Telefon über Akte des Sprechens hinaus trösten, geschieht das mit Stimmakten. So war ein Kollege zutiefst getröstet davon, die mein neuer Superintendent einen Psalm einfach nur las und sich seine Stimme bewegte und die Kraft der Stimme sich ohne und dann dazu nochmal mit den Worten der Bibel übertrug. Akte der Übertragung unserer bewegten Stimmen scheinen ein guter Zwischenhalt und medialer Pluspunkt für unser Tun mitten in homiletischen und poimenischen Trostarbeitskrisen.

Und: Die Übertragung der Stimme überwindet physikalisch Distanz. Sie kommt von einem Körper, wird technisch übertragen und erneut erzeugt und nachgeahmt, aber bleibt doch ein bisschen die gleiche, erkennbare Stimme, jedenfalls zusammen mit einem Gesicht oder einem Text, der sie, den sie trägt. Also berühren wir uns tröstend mit unseren Stimmen. Akustische Seelsorge und nonverbale Predigt.

Schwacher Gott, schwache Medienstrategien

Pandemisches Erfahren und Deuten

Deuten kann ich diese Pandemie noch nicht. Will ich auch gar nicht. In diesem Ring hat mein Hut nichts verloren, bevor ich weiß, welche Größe und Sorte er hat. Im Moment erfahre ich die Dauerkrise sehr und das wird noch intensiver werden und körperlich näher. Ich bin noch lange nicht beim Verstehen und ich schwanke zwischen Handhaben und ohnmächtigem Ausgesetztsein auch im sogenannten pastoralen Alltag – was auch immer das mittlerweile sein soll. Zwischen Angst und ein bisschen Bewegungsraum für etwas Kreatives, für irgendwas in Richtung „Verkündigung“, mehr noch aber eigentlich Seelsorge im Kleinen und Kleinsten. Aber weil Handeln/Handhaben und Deuten sich so ineinander schichten wie Tortenböden, Creme und Obst, kommt vielleicht doch ein bisschen Deutung dabei rum noch einmal über kirchliches Medienagieren in der Pandemie zu reflektieren.

Allmachtstrigger

Mich hat gerade getriggert (so sagen das meine Konfirmand*innen gerne), mit welchen theologischen Kalibern und welcher Lautstärke jetzt viele öffentlich aktive Theolog*innen, allen voran die Systematiker*innen, theologische Deutungen der Pandemie in bestehendn Systeme einordnen und so verbuchen, dass nichts ins Wanken kommt. Mich triggert, dass Praktiker*innen von Kirchen- und Glaubensleben vorgeworfen wird, die Krise hätte das Vertrauen in den allmächtigen Gott gegen alle Vernunft und Gebotenheit erschüttert. Kirche und Glaube hätten ihren Anspruch auf öffentliche Relevanz aufgegeben, ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft, ihre Aufgabe und Verantwortung. Das Beschränken oder gar Aussetzen von Gottesdiensten verrät jedes Gottvertrauen. Niemand würde uns mehr so oft wie früher in die Talk-Shows einladen, Stimmung und Richtung machen andere, die Bischöfe hätten geschwiegen, die Kirchenmenschen seien abgetaucht, die Kirche vor Ort hätte nicht qua status confessionis Stand gehalten, ein Gegenüber zu profangesellschaftlichen Mächten zu sein.

In meiner Wahrnehmung höre ich den Vorwurf: Ihr habt eure Macht verspielt! Ihr seid freiwillig und mit offenen Augen in die Ohnmacht gegangen und da geblieben! Das wäre zu verhindern gewesen.

Schwache Theologie – schwache Kommunikation

Ist es zu platt sofort zu reagieren: Auf der Seite der Ohnmacht sind wir goldrichtig? Diese Debatte um Macht und Ohnmacht spielt sich auch auf der Ebene medialer Kommunikation ab. Hier bemerke ich dieselben Argumentationsmuster: Wir erreichen mit social media nicht die Älteren Generationen; Hausandachten liest aber sowieso auch keiner mehr, wir sind ja nicht mehr im 19. Jahrhundert; zu den offenen Kirchen kommt keiner; eure massenhaft und in endloser Vielfalt mittelprächtig produzierten Videos stehen in keinem Verhältnis zwischen Aufwand und Klick-Zahlen; euren Content habt ihr auf dem Weg auch irgendwie verloren, function followed form too far; schweigen dürft ihr aber auch nicht.

Homiletik und Medientheorie treffen sich hier theologisch an einem Punkt: Was wir kirchlich in den Äther sprechen, muss messbar wirksam sein. Oder theologisch gesprochen, dass Gepredige und Verkündigen muss aus sich (nicht aus den Aktanten heraus) heraus vollmächtig sein. Also durchaus mit Anspruch auf all das, was Kirche angeblich in der Pandemie aufgegeben habe: Mitgestalten, Verantwortung für alle, Deutungshoheit, Wirksamkeit, nachweisbare Rezeption – es muss auf fruchhtbaren Boden fallen , Feedback erzeugen oder Resonanz, sodass es sich lohnt und sodass es Sinn macht.

Gegenüber der Vorstellung einer in diesem Sinne (voll-)mächtigen Kommunikation von Evangelium hinter und unter der auch die Vorstellung eines all-mächtig/voll-mächtigen Gottesbildes pulsiert, will ich kursorisch die postmoderne Theologierichtung der „schwachen Theologie“ setzen – und das ganze ein zwei Takte in Richtung digitale Homiletik und Kommunikation weiterschubsen.

John D. Caputo – Weak Theology

John D. Caputo, eigentlich Philosoph, irgendwie aber auch Theologe (sagt Catherine Keller), steht für eine radikale schwache Theologie. Der allmächtige, metaphysische Kraft- und Machtgott, der eingreift und schafft und zerstört ist dahin. Er ist sogar unbiblisch. Der biblische Gott, Gottes Prophet*innen, Gottes Messias und Gottes Nachfolgenden haben konkretes Interesse am Retten, Heilen und an Gerechtigkeit und nicht an Macht. Gott ist Ruf in die Nachfolge, mehr will Gott nicht, keine Deutungshoheit, keine massive Anbetung, keine Alleinhoheit. Gottes Akte und Glaubenstaten sind schwach, vielfach, oft unsichtbar, aber wirklich tragfähig, ausdauernd und transformativ – ganz ohne Mono, ohne Monolatrie, ohne Monomedialismus, ohne Ausschließlichkeit – konkret, schwer sichtbar und fein und gerade so wirksam.

Wenn mich also irgendwas in dieser Pandemiesituation positiv triggert, dann ist das progressiv schwache Theologie zu treiben. Und aus einer schwachen Theologie kommen auch intentionale und progressive schwache Kommunikationsstrategien. Statt großer Shows das Zirkulieren von kleinen Kontakt- und Grußvideos über Messenger. Statt einer zentralen Kommunikationsfigur, die es richtig drauf hat, lieber viele, leisere Stimmen. Statt eindeutiger Deutungen, lieber Selbstzweifel aussprechen, lieber zu wenig als zu viel sagen, lieber kritisch bleiben und grübelnd. Statt gegen die Ohnmacht rudern, Kreativität aus dem Nichtmächtigseinmüssen ziehen.

Schwache Verkündigung – starke Verkündigung

Ohnmächtige und schwache Verkündigung, mit Absicht und sehenden Auges. Ohne Anspruch auf Kontrolle, jenseits von Nachfragen nach Wirksamkeit und Feedback. Unterschieden in zentrale Kommunikationsakten für viele, von einem/r ausgehend und in individueller, kleiner und schwacher interaktiv-dialogischer Kommunikation zwischen einem/r und einem/r.

Wenn man in (ohnmächtig-)dilettantischer Anlehnung an Elektrik und Niklas Luhmann so auf die vielen ohnmächtigen Schwach- und Kriechströme von Glaubenshandeln schaut – auf Telefonate, auf Solidaritätsakte, auf Grüße und Wünsche und Gebete – dann fließt da nicht weniger Energie durchs System, sondern Energie fließt anders. Ich merke z.B., dass ich selbst bei gelungenen und positiven Telefonaten selbst spirituell-körperlich mehr Wirkung für mich einstreichen kann, als im lange produzierten und dann mittelmäßig rezipierten Video – oder Videoschauen.

Mit dem Soziologen Randall Collins könnte man das Strömen von emotionaler Energie gerade bei kleiner, interaktiver und schwacher Kommunikation kartographieren – es käme sicherlich zu mehr Austausch und Ertrag positiver Energie für die Beteiligten als bei Masse-Macht-Messages.

Also viele kleine Interaktionen, schwache Kommunikation und schwacher Medieneinsatz – kreativ-fröhliche und ohnmächtige Verkündigung – nicht nur sieht John D. Caputo in ihnen Gott substantiell zu verorten, ich finde, auf sie zu vertrauen, ist doch gutes und festes Vertrauen auf Gott, den schwachen Heiler, Retter und Gerechtmacher.

Zu weiße Weihnachten – Einfach mal X-Mas dekolonisieren

Weiße-Weihnachts-DNA

Wenn Du Dir die kulturelle DNA von irgendwas angucken willst, dann schau Dir die Kinderbücher an. Wenn man es als kritisch postkoloniale Kulturwissenschaftler*in mal knallen lassen will, dann analysiert und kritisiert man traditionellerweise Kinder- und Jugendbücher. Dieses Jahr kann ich nicht anders, als das nochmal zu machen, das nochmal zu unterstreichen, nochmal zu fordern.

Die kulturelle DNA von Weihnachtsdarstellungen ist einfach zu nordeuropäisch-weiß. Das schlägt mir nochmal ins Gesicht, als ich verzweifelt versuche, einen christlichen Adventskalender zu finden. Also was mit Türchen, hinter denen christliche Bilder vom Advent zu sehen sind. Nicht Schokolade, nicht Deo, nicht skandinavisch-diffuse Wichtelchen, nicht Lego, nicht Playmobil – einfach nur Bilder von Lukas und Matthäus. Totale Fehlanzeige. Und zwar anders als ich gedacht habe. In einer Missionsbuchhandlung werde ich dann doch fündig, aber: Baby Jesus ist blond. Joseph und Maria sind ätherisch-weiß, die Hirten noch am ehesten ‚anders‘, und die Engel sehen aus wie Wasserfarbenzeichnungen, die das Süddeutsche Christkindl mit Germanys Next Topmodel crossovern. Groß, blond, unversehrt, gesund, rosige Bäckchen.

Schon klar, jetzt wird es moralisch. Brauch ich das jetzt gerade, bei Corona und Wirtschaftskrise, noch so ein Gemecker, das Weihnachten nicht mehr gut genug ist?  Wie von diesen Gender-Leuten, die zuviel Wut und zuviel Zeit haben? Ich finde Ja. Denn auch hier, wenn wir es nicht machen, wenn wir Weihnachten nicht dekolonisieren, dann machen das andere für uns. Z.B. die Edeka Kampagne „Lasst uns froh und bunter sein“, die Multikulturalismus als lecker konsumierbar reinszeniert. Da finde ich es völlig okay, mal inhaltlich ein bisschen in unserer Weiße-Weihnachten-Ikonographie rumzustochern.

Weihnachten dekolonisieren?

Was heißt denn hier Weihnachten dekolonisieren? Für mich heißt es, koloniale Muster zu entlarven und zu entfernen oder zumindest mit Alternativen zu versehen. In groben Strichen: Die Verwebung von eurozentrischen Narrativen auseinanderzunehmen, die davon ausgehen, dass Nordwesteuropa und die weiße Gesellschaft des Neunzehnten Jahrhunderts das Nonplusultra sind und alles andere, eben DAS ANDERE, das böse Dunkle gegenüber, dass das Licht (Achtung erste Weihnachtsmetapher) der Aufklärung, Zivilisation, kurz Christentum in einer bestimmten kulturellen Ausprägung braucht. Hallo? Master-Narrativ des Neunzehnten Jahrhunderts? Was kann da heftiger weiter wüten und hat sich kulturimperialistisch mehr durchgesetzt als Weihnachten? Mit dem absurden Leidensdruck, dass es kalt sein muss und schein, sonst ist es nicht mehr Weihnachten. Da hat uns das Klima schon zwangsdekolonisiert. Mit Liedern, über die ich jedes Jahr wieder stolpere, wie „Stern auf den ich schaue“ mit dem „Führer“, dem man da folgt oder die wackelige Situation von „Wisst ihr noch, wie es geschehen“ von dem auf einem Kolonialanwesen aufgewachsenen Nazi-Sympatisanten Christian Lahusen. Mit einem weißen Nikolaus von Myra, aus der heutigen Türkei. Mit dem festgefrorenen Time-Frame des dickensianischen Viktorianismus als Kulisse für Weihnachten bis zu Netflix neuem, erstmals vornehmlich mit People of Colour besetztem „Jinge Jangle“-Weichnachsmusical. Mit weißen Krippendarstellungen von Menschen, die sowas von People of Colour waren.

Auch die Vermarktung von ‚Ethno‘-Weihnachten als konsumierbar und anders, mit ‚lustigen‘ indigenen Krippen haut gerne mal in die: „Guck mal wie komisch und exotisch“-Kerbe. Oder eben die Krippen, wo People of Colour die weiße Kernfamilie besuchen und Geschenke bringen. Schon komisch, dieses Bildprogramm, oder?

Angels of Colour

Ich will gar nicht viel. Nur mal drüber nachdenken und vielleicht mal Diversität repräsentieren oder überlegen, wie seltsam die Übertragungen von Deutschen Winterromantikfantasien vor einem Plastikweihnachtsbaum in Australien wirken (vgl. als Atmo hier: https://www.youtube.com/watch?v=084PJr7iFQg).

Ich will gerne verstärken und zeigen, was @Metablabla auf Instagram geschrieben hat und von den sich stärker und lauter sprechenden People of Colour in den Reihen der Kirchenamtlichen repostet wurde: @Metablabla stellt das großartige Weihnachtsbilderbuch Silent Night von Lara Hawthorne vor. Da sind alle Menschen repräsentiert mit allen möglichen Selbstzuschreibungen. Die Engel, so schreibt sie, sind BIAC, „Black, Indigenous, and Angels of Colour“! Das einfach zum Bücherschrank dazustellen oder sich damit mal auseinanderzusetzen.

Black Face at the most wonderful time of the year

Und ich will mich nicht erklären müssen, wenn ich Caspar in Black-Face am Gemeindehaus vorbeiziehen sehe und überlege, wie sich das anfühlen muss für die Geflüchteten aus dem Nachbarort, falls sie sich in unsere Gottesdienste verirren. Nein, dass ist nicht unter „Oma findet’s okay“ abrechenbar, genausowenig wie die Schaumkussdebatte. Sprache baut Welt. Bilder bauen Menschen. Da kann es nicht bunt genug sein, aber bitte ohne kulturelle Dominanz von Weißsein und Reinszenierung von Schwarzsein als ‚anders‘. Klingt ein bisschen wie „War on Christmas“, ist aber das Gegenteil.

Black Friday – Fest-Anlass zur Online-Kasualie

Alle Feeds und Spots sind schon seit einer Woche voll mit Content zum „Black Friday“. Dem Höhepunkt der „Black Week“ und dem Auftakt zum darauffolgenden, von Amazon glaube ich urherberrechtlich geschützten Cyber Monday. Auf Instagram beobachte ich – mehr unfreiwillig als freiwillig – dieses Jahr einen Konflikt-Diskurs zwischen neuen und neueren Nachhaltigkeits-Start-Ups und den etablierten Kommerzmagnaten. Ein Hipster sagt mir, was er von „Black Friday“ hält und kickt einen Boxsack, um mir dann bessere, nachhaltigere Produktangebote zu unterbreiten. Ich versuche das immer zu ignorieren.

Es führt kein Weg vorbei

Aber die Tatsache dass die Medien- und Bewerbelandschaft dermaßen von der günstigen Einkaufsvorbereitung auf die Advents- und Vorweihnachtszeit dominiert ist, hält mich auch dieses Jahr gefangen. [Ich habe mich hier letztes Jahr schon mit Black Friday beschäftigt, jährlich grüßt der Kommerz-Nerz…]. Also gibt es nach wie vor auch für mich und vielleicht auch für andere Kirchenmenschen immer noch Gesprächs- und vielleicht auch Nachholbedarf.

Kurzum, müsste nicht eigentlich Black Friday der nächste Valentinstag werden? In der Kasualtheorie werden unter der Rubrik ‚neue‘ oder ‚kleine Kasualien‘ neben der Feier der Liebe, der herzförmigen Schokoladenbox mit Blumenbouquet und dem romantischen Dinner mit Violine, auch Einschulungen, Gebäude- und Gerätesegnung.

Angesichts der Dominanz eines offensichtlich gesellschaftlichen Themas, könnte man ja mal versuchsweise durchexerzieren, ob Black Friday eine Kasualie ist. Ich mache das hier schnell und kursorisch und fragend und gehe nicht die klassischen Merkmale des Examenswissens und darüber hinaus durch. Das würde mich aber als Kommentar, Replique oder Widerlegung sehr freuen. Ich merke schon, dass ich ins Schlingern kommen werde, aber ich glaube, dass kann ein aufschlussreiches Schlingern werden.

Kasualien-Checkliste

Gottesdienstlich-liturgische Begehung: In der Zeit der Online- und Digital-Formate sehe ich gerade Black Friday als etwas, dass auf Theolog*innen und Pädagog*innen auf der Cyber-Seite wartet und das schon längst digitale Ritualisierung und Liturgie bis zum Klicken auf kaufen und Empfang des Postboten und auf YouTube gestelltem Unboxing. Check.

Festcharakter: Verschwendung und Luxus als Indikator von Zivilisation werden m.E. intensiv im Fest des Kaufens und Schenkens gezeigt und wirken bis zur Gänsehaut und kleinen ekstatischen Euphorie. Civil Religion at its finest Check.

Anlass und allgemeine Relevanz: Es gibt auf jeden Fall einen Anlass und einen Anhalt im Erleben der Menschen mit einer eigenen rituell-religiös geprägten Erfahrungssphäre: Shopping als Life-Style, Studieren und Genießen von Werbung als Lebensentwurfsangeboten, Denken an die Geliebten Menschen und an wunderbare Interaktionen des Schenkens, Auswählen und Einkaufen (mit Maske), Buyers‘ Remorse, Einpacken und Inszenierungsüberlegungen und dann ritueller Höhepunkt des  Austauschs. Ritualtheoretisch als Passageritus zu fassen, dauert keine zwei Minuten. Also: Check.

Scharnierfunktion zwischen Kirche, Gesellschaft und Individuum: Kirche hat zur Kultur des Schenkens etwas zu sagen und eine integrierende Funktion. Wie allerdings der private, lebensgeschichtlich bedeutsame Umstand Black Friday – auch dieses Jahr Weihnachten über die Runde bringen und mit unveränderlichen Kindheitserinnerungen vielleicht ein Stück Ewigkeit aufzuführen und auch zu spüren – kirchlich gedeutet, integriert und begleitet werden kann – das ist eine von mehreren Preisfragen. Es gäbe die Möglichkeit über die Social-Media-Verkündigungskanäle a) moralisch über Kaufen zu reden (das finde ich mittlerweile eigentlich schon wieder attraktiv), mit der GEPA zusammen über Globalisierung und Klimawandel, Demut, Downsizing etc. sprechen b) in biblischen und theologischen Tiefenbohrungen (mein Lieblingswort von Olaf Trenn) die göttliche und von mir aus auch die dogmatische Dimension von Kaufen, Tragen, Schmücken, Auspacken etc. als religiöse Alltagspraktiken aufwerten und mitgestalten. Jean-Luc Marion nochmal lesen. Aber: Halber-Check

Amtshandlung: Wenn das ex-cathedra von Kichen-Repräsentierenden passiert, dann sind das Talarträger*innen und Ordinierte, aber es sind auch die neuen Online-Geistlichen, die ein neues Publikum anziehen. Es wäre eine neue Amtshandlung, kontaktlos und digital. Über Technologie. Es bedeutet aber auch: Black Friday segnen. Einkaufen segnen. Werbung segnen. Check?

Es wäre eine kontaktlose, digitale Amtshandlung.

Allgemeine Nachfrage: Daran scheitert dann glaube ich das Gedankenexperiment. Will das irgendwer? Irgendwas von Kirche zum Black Friday. Springen die schon wieder auf einen Trend auf? Ist das nicht die vorgezogene Weihnachtspredigt, die meinen Schenkakt theologisch überstülpend deuten will? Möglicherweise gibt es aber tatsächlich liturgische Online-Akte, die eine Nachfrage erzeugen können und wie Valentinstag funktionieren. Ich muss an einen Geistlichen denken, der am Einkaufszentrum steht und die Leute beim Einkaufen segnet. Ein bisschen wie ein Militärseelsorger, ein bisschen wie der Bischof, der die Lichter in der Einkaufststraße anknippst. Gar nicht so abwegig. Wir geben unseren Segen vielleicht sowieso schon, wir haben kein Argument, ihn zurückzuhalten.

Taufbezug: Ähm. Also Kaufen, Verkaufen, Handeln, Tauschen, Planen, Inszenieren und Schenken können wir als Annähern an Gotteserfahrung im Beschenktwerden mit Jesus rahmen. Aber die Reziprozität des Schenkens steht einer schlechthinnigen Abhängigkeitserfahrung entgegen. Und denken Menschen wirklich an Jesus als Geschenk wenn sie einander beschenken? Vielleicht müsste das zumindest auseinander dividiert und getrennt betrachtet werden.

Resümee:  Viele grüne Haken. Kaufen kann man segnen, Nachfrage kann man sich suchen, Taufbezug könnte man sich konstruieren, den gibt es aber auch bei anderen Kasualien nicht. Also: Black Friday 2021 – diesmal auch kirchlich und online und bunt?

Pop-Ewigkeiten

Eins der Probleme gelebter und praktizierter Theologie ist, finde ich, dass es eigentlich unlauter und unaufklärerisch ist, irgendwas über Ewigkeit zeigen oder sagen zu können. Anikonismus. Bilderverbot. An dieser Stelle ist das ein gewichtiges Argument. Wie es auf der anderen Seite aussieht: Keine Ahnung. Wir haben die Zusagen von Paulus, dass es einen verwandelten Leib geben wird (1Kor 15, 35-49, Phil 3,21 u.a.), Himmelskörper, geistlicher Leib sowas wie einen Sternenkörper. Ich stelle mir da immer Energiekugeln vor.

Offenbar war es schon für die ersten Gemeinden zentral wichtig, sich eine möglichst genaue Vorstellung, um nicht zu sagen, ein Bild zu machen von dem, was nach dem Tod kommt. Das ist die antike und moderne Preisfrage: Was kommt?

Als Theologe kann ich das nicht sagen. Darf ich auch nicht.

Das Problem ist, andere machen das die ganze Zeit. Es gibt ein allgemeines Grundwissen über Ewigkeit, das wir aus der Popkultur erben. Bei mir kommt es aus den 90er-Jahren. Diese Bilder spuken in meinem Kopf, wenn ich mir versuche zu verkneifen über Ewigkeit in Bildern zu denken, zu predigen, zu seelsorgen.

Eternal Florida – Dino-Ewigkeit

Ethyl trifft auf ihren verstorbenen Mann Louie

Licht am Ende von Tunneln, gerne in der neuropsychologisch-empirischen Deutung als Motiv mit Ursache im Phänomen von Nahtoderlebnissen erklärt. Ich muss dabei immer an die 90er Jahre Serie „Die Dinos“ denken. Als Großmutter Ethyl starb (Episode 218). Da gab es einen langen Tunnel und am Ende wartete ihr verstorbener Mann und dann gab es eine große Stadt voll mit Leuten in weißen Roben, All-you-can-Eat-Buffet. Um es kurz zu machen, der Himmel war Florida. Aber eigentlich biblische Motive: Die Stadt Gottes (Apk 21), die vielen Wohnungen (Joh 14,2), die weiße Kleidung. Irgendwie hoffnungsvoll, die Dinos. Jedenfalls in meiner Fernsehbiographie.

Hinter den  Horizont mit Robin Williams

Ich hoffe sehr, er ist selbst da. Also in so einem Himmel, wie in dem hyper-kitschigen 90er-Ewigkeits-Film Hinter dem Horizont. Robin Williams spielt Chris, einen Arzt, der nach seinem Tod in einem Himmel erwacht, den er selbst kreiert. Seine Frau begeht Selbstmord und sowohl die Hölle als auch die Ewigkeit sind zusammengesetzt aus den Bildern und Erfahrungen, die die beiden im Leben gesammelt hatten. Die Hölle ist nicht Strafe von außen, sondern Resultat des Schmerzes aus dem eigenen Erleben. Die Hölle ist also ein Alptraum und der Himmel ein angenehmer Tagtraum. Ihre Substanz sind Erinnerungen aus dem Leben. Nur das richtige Ordnen und Erhalten von Erinnerungen rettet aus der Hölle – die dann wohl sowas wie Amnesie oder Demenz ist.

Quelle: seeingthemagic.com

Coco – Die Stadt der Toten

In Disneys Coco (schockierend, wie stark ein einzelner Konzern mein Denken und Sehen geprägt hat!) sieht es genauso aus. In großzügiger Aneignung an die Día de los Muertos, selbst schon eine Aneignung von indigener und katholischer Ewigkeitstradition und Bildermacherei, ist es auch hier die Erinnerung, die der Kraftstoff für die Ewigkeit ist. Auch hier gibt es eine brummende Ewigkeitsstadt ohne Gott, aber voller geistlicher Körper. Wird jemandes nicht mehr erinnert, stirbt der Geistkörper einen zweiten, ewigen Tod – und ist dann weg. Also eigentlich nur eine Verschiebung und die echte Ewigkeit ist auch in Coco dieselbe wie die unsere. Keiner weiß, wie es dort aussieht. Im Prinzip ist Coco also eine Synekdoche christlich-indigener Ewigkeitsmythologie ohne richtige Antwort. Theologisch also in dieser Hinsicht adäquat. Im Einflussnehmen auf die Verstorbenen aus protestantischer Sicht eher nicht so. Aber ehrlich gesagt, stört mich das überhaupt nicht beim Anschauen des Films. Denn er konstruiert eine folklore-populärkulturelle Ewigkeitslehre, die extrem einflussreich war. Geistergegenwart im Diesseits – kein Problem. Unterschied zwischen Magie und Religion – nicht so deutlich. Ich führe aber auch diese Ewigkeitsbildwelt auf, 1. Weil ich so ohne langes Reden sofort mit Jugendlichen über Ewigkeit reden kann, 2. Weil ich mittlerweile nicht mehr anders kann als selber synkretistisch zu denken. Ich vermische ständig die Vorstellungen von Apk 21, von der Sci-Fi-Stadt Gottes mit eigener autonomer Energieversorgung. Ich vermische das auch ständig mit den Bildern von ewigen Städten in den Ideen von Le Corbussier und den Massen-Stadt-Architekten des frühen 20. Jahrhunderts und mit den Städten im Marvel Universum und anderswo bis zu Captain Marvel. In dieser Bildwelt hänge ich einfach geistig. Sie hängt natürlich in sich zusammen, in der Motivgeschichte geht sie zumindest teilweise auf die Bibel zurück.

Trotzdem Ewigkeits-Ikonoklasmus?

Im Endeffekt ist also nach wie vor das beste Ewigkeitsbild-Konglomerat die Offenbarung des Johannes und ihre Wirkungsgeschichte. Vermischt mit Ideen von Paulus, über Jahrhunderte und Myriaden visueller Effekte und architektonischer Grundsatzschriften hinweg weitergetragen und angereichert.

Es hilft, sich mit der eigenen kulturellen Prägung und ihren Implikationen offen auseinanderzusetzen und sie mal aufzuschreiben, was ich für mich hier mal gemacht habe. Aber vielleicht ist das wirklich die eine Angelegenheit, bei der ich lernen muss, mich aus der Popkultur heraus freizudenken, weil theologisch bleibt es dabei: Über die Ewigkeit können wir vernünftigerweise nur schweigen. Auch wenn dann die anderen die Lücke für uns füllen. Oder?