In Runden von theologischen Praktiker*innen kommt die Rede in meiner Wahrnehmung gerade schnell auf eine homiletische Krise verbunden mit einer medienstrategischen Krise, verbunden mit einer basisseelorgerlichen Krise – mit einer Trostkrise. Was vorher schon angeknackst oder beschädigt war in der Praxis und Reflexion bricht jetzt durch die Pandemie nochmal störker so auf, dass neues Licht durchscheint. Oder mit den Worten von Rev. Cameron Trimble (https://convergenceus.org/): Theologisch ist Corona das Geschenk, dass wir jetzt nicht mehr alles so weiter machen, wie wir das immer gemacht haben, sondern unser Job ist jetzt „rebuilding und reshaping“. Ich schaue dafür auf homiletische, seelsorgerliche und mediale Herausforderungen der letzten Wochen, die Scharnierstelle des Tröstens in der Bibel, Sprechakttheorie und ihre Grenzen.

Trösten in der Seelsorge

Wo sich gerade so viel verschiebt, von der Gottesdienst- und Abendmahlspraxis bis zur Machtverteilung, ist auch die praktische theologische Aufgabe des Tröstens in einem Umbruchgeschehen. Wenn Seelsorger*innen, Pfarrer*innen und Predigeri*innen zusammen kommen, dann ringen sie mit dem Trösten. Trost scheint in der Erwartungshaltung etwas zu sein, was die Kirchenperson ‚hat‘ und anderen Menschen dann ‚gibt‘ oder ‚spendet‘ oder ‚schenkt‘. Und ich entdecke auch bei mir selbst: Ich erwarte persönlich von einer Kolleg*in, dass sie mich im Idealfall ein bisschen trösten kann. Aber wie Segen stellt sich Trost aus der Souveränität Gottes, aus der Selbstheilung und systemischen Perspektiveränderung nicht aus der Kraft oder Macht der Kirchenpersonen ein, oder?

Vielleicht muss man aufhören davon zu sprechen, dass unsere Aufgabe das Trösten ist, in dem Sinne, dass wir das irgendwie ‚leisten‘. Trotzdem wird auch die gemeinsame Trostarbeit schwerer, je weniger Nähe wir haben, je weniger wir den Prozess des Trosterlebens und Trosterlangens durch das schiere Da-Sein und Zuhören fördern können. Aber beim Trösten auf Distanz kann man neu und verbessernd lernen.

Nicht im Tal lassen – homiletisch Trösten

Wenn es bei der Predigt hart auf hart kommt, hat meine Superintendentin im Vikariat immer gesagt, dann „immer Trösten, immer Trösten“. In meiner Seelsorgeausbildung habe ich sehr von einer Rückmeldung zu einer meiner offenen Kunstwerk-Predigt gelernt, bei der mir eine Kolleg*in mitteilte: Du hast mich da im dunklen Tal gelassen und nicht wieder rausgeholt. In Reflexionsrunden über Zoom-Gottesdienste höre ich vermehrt auch von anderen Prediger*innen , dass sie mit dieser Erwartung konfrontiert werden und sie nicht immer schematisch erfüllen wollen. Wie ich mit ihr umgehe, dass treibt mich gerade.

Ich schmeißen gerade ungern mit Heils-Indikativen um mich, wenn ichpredigen. Ich zweifele, zögere und denke, kaue an den Worten und hadere – grenzen mich ab, gegen allzu entschlossene Untergangs- und Optimismuspredigende anderer Kirchensubkulturen. Ist da was kaputt dran?

Bildertrösten und Trostbilder

Zurück zur Kolleg*innenrunde: Viele Kolleg*innen und auch ich haben sich getröstet gefühlt von der die „Holidaykampage“ von Zalando „Wir werden und wieder umarmen“ oder „we will hug again“.

https://www.youtube.com/watch?v=hYLsVwlXj4g&ab_channel=Zalando

 Das Unternehmen schreibt selbst:

Dieses Bild, diese Bilder sind genau der Indikativ, das „Versprechen für die Zukunft“, die erstaunlich auch für kirchliche Praktiker*innen ganz persönlich funktionierte, eine Sehnsucht, eine Emotion bediente, erfolgreich elementarisierte. Trost im Bild mitten in der Pandemie. Fokus auf das, was fehlt und das klare, indikative Statement: Das kommt wieder. Dazu niedliche Menschen.

„Diese einfache, aber wirkungsvolle Kampagne ist ein Versprechen für unsere Zukunft. Ziel war es, all die Äußerlichkeiten, die mit den Feiertagen in Verbindung gebracht werden, wegzulassen und den Fokus auf das innere und wichtige Symbol von Nähe zu legen: die Umarmung. Während einer globalen Pandemie eine weltweit produzierte Kampagne ‘remote’ aus der Ferne zu drehen, war eine spannende Herausforderung und wir freuen uns darauf, die Botschaft von Zalando in die Welt zu tragen“, so Veit Moeller, Executive Creative Director von Anomaly Berlin.

Der Jesaja-Sprechakt – Startpunkt vom Bibeltrösten

Der Elementartheologische Sprechakt aus Jes 40,1 „Tröstet, Tröstet mein Volk“(Imperfekt Pi’el mask. Pl.) ist der Bruchpunkt unserer Bibelbücher, wo plötzlich ein Neueinsatz geschieht, der sich weit in die hebräische und christliche Bibel ausbuchstabiert und weiterentwickelt. Die Trostarbeit ist in dieser Anrede zugleich die Aufgabe von vielen, von Gottes Volk. Sie sollen es tun, an sich und an anderen und sie sollen davon profitieren. Sie sind zugleich Empfänger und Sender von Trost.

Ich reiße das mal sprechakttheoretisch an, weil ich so besser sortieren kann, wieso Trostarbeit auch medial anders ist, als die Erwartung eines direkten Trostzusprechens.

Sprechakttheoretisch ist Trösten ein von John Langshaw Austin so genannter perlokutinärer Akt. Darin liegt eine wichtige Unterscheidung für die Praxis, finde ich. Illokutionäre Sprechakte bewirken mit ihrer Äußerung sofort das, was sie sagen. Ich erkläre dich hiermit als verurteilt, etc. Anders bei der Perlokution. Da wird unterschieden zwischen dem Akt der Perlokution – dem tröstend Sprechen – und dem Effekt der Perlokution – Trost stellt sich wirklich spürbar und kognitiv bei den Hörenden ein.

Das ganze funktioniert dann so: Indem ich mit der Intention zu trösten sage „Du wirst deine Großmutter wieder umarmen“ (Lokution) und damit eine Behauptung vollziehe (das wird so sein, Illokution) bin ich fertig mit dem, was ich machen kann. Ob und wie – dadurch – Trost einsetzt, sich einstellt, ist nicht in meiner Macht. Austin spricht von der Kraft der Illokution, die dafür sorgt, dass das gesagte auch etwas in der Welt verändert. Dass das passiert, dass Trost sich dadurch einstellt, dass wir reden, dass das verstanden wird, dass man uns glaubt, uns akzeptiert etc. Aber ob es ankommt, ob die Kraft der Illokution reicht, liegt – das wäre mein Vorschlag – bei den Hörenden und bei Gott.

Mit dem Ur-Trostakt der Bibel und John L. Austin kann ich also biblisch- und sprachtheoretisch Trost und Trösten nicht alleine ‚leisten‘ oder garantieren: Viele machen es als zugleich Gebende und Empfangende, Adressat*innen und Sprecher*innen (und wenn ich andere tröste, spüre ich diesen Trost ja auch selbst noch mit und profitiere davon, gebe ihn also nicht ab) und die Kraft dessen, was ich machen will, indem ich etwas sage, damit etwas passiert… die können wir homiletisch und seelsorgerlich Gottes Wirken zuordnen.

Bildakte und Stimmakte – Mediale Nachhalle

Und das eben auch medial und anders und auf Distanz. Mit Vertrauen in die Macht neuer und guter Bilder in einer visuellen Kultur, die eben auch visuelle Seelsorge und Predigt brauch; dann mit der Erkenntnis, dass der Zalando-Indikativ funktioniert, weil diese bildgewordene Behauptung den Empfänger*innen die Letztmacht der Perlokution zuspricht, weil sie zeigen und nicht reden, weil sie behaupten und versprechen und es über die Augen in die Seele kommt und nicht durch die Ohren – weil die Zalando-Bild die Wiederherstellung von Emotionen in actu zeigen.

Warum aber funktioniert das Zalando-Bild als Trost?

Genauso wie wir, früher revolutionär, den wiederhergestellen Körper Jesu zeigen – mit genau derselben perlokutionären Bildakt-Wirkung als Intention. Zalandos Trost funktioniert als Bildakt, nicht als Sprechakt. Für mich kann ich subtrahieren, dass das jemand ist, der mit Kleidung verkaufen will. Und gerade bei vielen Kirchenleuten auf der Suche wirkt das Bild als Trost. Und an dieser Stelle würde ich gerne weiterfragen und forschen – gerne auch in den Kommentaren oder Mails: Warum funktioniert das Zalando-Bild als Trost? Denn ich glaube, hier lohnt es sich zu lernen.

Zum Schluss noch ein praktischer Nachhall aus den Praktiker*innenrunden: Wo wir auch ohne Worte und eben auch über Zoom und Teams und Webex und Telefon über Akte des Sprechens hinaus trösten, geschieht das mit Stimmakten. So war ein Kollege zutiefst getröstet davon, die mein neuer Superintendent einen Psalm einfach nur las und sich seine Stimme bewegte und die Kraft der Stimme sich ohne und dann dazu nochmal mit den Worten der Bibel übertrug. Akte der Übertragung unserer bewegten Stimmen scheinen ein guter Zwischenhalt und medialer Pluspunkt für unser Tun mitten in homiletischen und poimenischen Trostarbeitskrisen.

Und: Die Übertragung der Stimme überwindet physikalisch Distanz. Sie kommt von einem Körper, wird technisch übertragen und erneut erzeugt und nachgeahmt, aber bleibt doch ein bisschen die gleiche, erkennbare Stimme, jedenfalls zusammen mit einem Gesicht oder einem Text, der sie, den sie trägt. Also berühren wir uns tröstend mit unseren Stimmen. Akustische Seelsorge und nonverbale Predigt.