Zwei Jahre vor dem Lutherjubiläum kehrt Joseph Fiennes (für viele immer noch das aktuelle Luthergesicht) wieder in Sachen Evangelium auf die große Leinwand zurück. Im Trailer zum neuen Kino-Event fixiert Fiennes’ Zweiflermiene die Kameralinse: „Ich diente dem römischen Imperium und führte Krieg gegen die, die nicht an unsere Götter glaubten, aber nichts konnte mich auf die Wahrheit vorbereiten, die nun auferstanden ist“. So beginnt der 1:39 min lange Trailer für den Film Risen. Darin jagt Joseph Fiennes als Militärtribun Clavius während der ersten 40 Tage nach der Kreuzigung nach dem Leichnam Jesu durch Jerusalem. Er soll die Gerüchte von einem auferstandenen Messias widerlegen.

In der finalen Szene des schnell geschnittenen Trailers zieht er sein Schwert aus der Scheide und schiebt mit ausgestreckter Waffe eine der breiten Türen auf, die man aus Bibelfilmen kennt. Die Kameraeinstellung wechselt. Wir sehen aus dem Raum hinter der Tür Clavius mit dem Schwert der Hand hineinspähen. Das Bild wird schwarz. BRAAAAAAAAAAAAM.  Statt der Person, der Hände, des Gesichts, der Haare des Gesuchten, schlägt dem Tribun dieses seltsam wohlbekannte, lang gezogen dröhnende Geräusch entgegen, wobei langsam das Wort RISEN auf der Bildfläche erscheint. Fiennes rutscht mit dem Rücken an die Felswand des Raums gelehnt auf den Boden. „Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll“ – entwaffnet von diesem ohrenbetäubenden Geräusch der Abwesenheit. Überwältigt, von den Füßen gefegt. Und ähnlich geht es mich und die anderen an, die den Trailer im Kino sehen und deren Stühle anfangen zu vibrieren. Das Geräusch, das hier die Abwesenheit des Heilands verklanglicht, ist ein nicht nur mir sehr bekanntes Geräusch, nicht aus der Welt der Kirchengeräusche, sondern aus der Populärkultur.

– Moment, nicht ein Geräusch der Kirche? Oder vielleicht nicht doch gerade das Geräusch der Kirche. Das Donnern des Wettergottes, aus dem JHWH wird. Die unsichtbare, mächtige Stimme Gottes, die aus der Wolkensäule das Wüstenvolk immer wieder zusammenruft. Die Macht des Geräuschs der Widderhörner, die die Mauern von Jericho einbrechen lassen. Das körperlos-wortlose Rufen aus der Wüste, mit dem die Evangelien einsetzen. Und das Geräusch vom Himmel, wie ein heftiger Sturm, mit dem der heilige Geist zu den Jüngern Jesu kommt und das gerade an Pfingsten wieder vorbeigerauscht ist (Apg 2,2). Schließlich das Geräusch des kommenden neuen Königreichs Gottes in der Offenbarung mit Posaunen, Weherufen und das Geräusch vom Himmel der endzeitlichen Gemeinde, das sich nicht einordnen lässt zwischen Donner, Stimme, Harfenklang und Gesang (Apk 14,2). Das Geräusch der Kirche, das ganz anders ist, von ganz woanders her ruft und Menschen zusammen bringt? Das Hörende angeht, ohne das sie sehen könnten, woher es kommt.

Externes „stand-in“ für Gottes Präsenz

Oder doch nicht Geräusch der Kirche? Denn Geräusche, die das Unvorstellbare sinnlich wahrnehmbar machen, sind für die Kirche schwierig geworden. Anders als das Wort oder die vielen Worte, ist das BRAAAM-Geräusch anrüchig und gefährlich.  Es geht ja erstmal den Körper an. In der Klangtradition des ‚christlichen Westens’ hat die Kirche körperliche Klänge nach und nach gegenüber linguistischen Zeichen abgewertet, so erklärt das auch der Musiktheoretiker und Philosoph Dolar Mladen. Er spricht dabei von einer Transsubstantiation der materiellen Klangträger, der Luftbewegungen und Vibrationen zum abstrakten Phonem, zu Worten und Sprache, die vom Körperlichen abgelöst werden (Mladen Dolar 2006:17). Die so „soundlosen“ Worte werden auf die Logik der Sprache reduziert, ohne ihre Prosodie, Intonation, Akzent, Melodie, Redundanzen, Variationen etc. Sie allein tragen das Heil und bringen göttliche Gegenwart zu den Menschen.

Dieses theologische, „phonozentrische“ Vorurteil gegen die Körperlichkeit von Klang geht zurück auf das platonische Urteil über die Gefahr der Musik und des Rhythmus, die dem Wort gehorchen müssen, damit sich Klang nicht vom Wort loslöst und zu einem gesetzlosen wilden Ding wird (Platon Politeia III, 398d, 400d; Cf. Dolar 1996:18). Auch Augustinus beschreibt, an sich selbst, die Angst vor der „Sünde des Ohrs“ in Confessiones X, 33. Sie beschäftigt ihn immer dann, wenn er sich mehr von den Klängen und ihrer Melodie bewegen lässt als von den heiligen Worten selbst. Augustinus schwankt zwischen der Gefahr und dem Begehren der Ohren, die vom Klang und nicht von den Worten bewegt werden, eine Sünde, bei der er wünschte, er hätte lieber gar nichts gehört.

Dolar schließt seine kurze Geschichte der Metaphysik der Klänge mit den exegetischen Betrachtungen von Theodor Reik zum Shofar. Das Shofar-Horn trägt die nicht-sprachliche und bedrohliche Stimme Gottes in alle Situationen des Bundesschlusses hinein und ermöglichte Gottes Volk die Identifizierung mit gerade dieser Nicht-Stimme, die einen Tierschrei nachahmt. Im Prinzip könnte man das den ersten Synthesizer-Effekt nennen, der die Stimme Gottes durch unterschiedliche Klangmedien verzerrt und verändert. Gerade dadurch aber, durch ihre Veränderung, wird sie wirksam Gottes Stimme – indem sie zugleich ein bekanntes Klangmuster aufnimmt und verzerrt. Das Geräusch, die imitierte Tier-Stimme des Shofar, ist die Voraussetzung der Gabe des Wortes des Gesetzes und steht an der Stelle der unmittelbaren Präsenz Gottes. Gott ist in seiner eigenen Stimme mehrdeutig anwesend und abwesend – ein Erfahren der Stimme die Dolar in Anlehnung an Lacan „extimacy“ nennt (Dolar 1996:26). Die Stimme ist ein externes „stand-in“ für Gottes Präsenz.

Spüren, nicht hören

Vom Mittelalter über die Reformation, die puritanische Ausmerzung der Musik, und die Französische Revolution (seit der sowohl Kirche als auch Revolution sich gegenseitig die Gefahr der sinn- und sprachfreien Klänge zuschoben) bis zur Gegenwart steht nackter körperlicher, zumal technischer Klang, ungebunden an Worte in Generalverdacht, Feind der Vernunft zu sein und fällt hinter die wortgesteuerten Klänge zurück.

Woher aber kommt diese Vertrautheit mit diesem zugleich verlockenden und unheimlichen Geräusch des abwesenden Messias im Risen-Trailer? Woher kehrt es zu mir zurück? Ich glaube, es ist ein neuer ausgeklügelter Kunstgriff, eine Methode des Populärkulturellen, um Gott in einer anderen Form sinnlich fassbar zu machen. Als ganz anders und konzeptionell nicht fassbar, sondern diffus, groß, heftig, auch gruselig. Gottesstimme als Sound-Device, Sonus Dei in Machina. Der New Yorker beschreibt dieses Trailer-Klangphänomen als „sehr tiefes und lautes Synthesizer-Brummen – ominös und hirnzersetzend.“ Es handelt sich um einen etablierten Klang aus einer Reihe von Trailern, im Moment eigentlich aus fast allen. Alle Trailer haben dieses Gottesgeräusch und setzen diesen Kunstgriff unterschiedlich ein.  (hier im Zusammenschnitt)

Und anscheinend begann alles mit Christopher Nolan’s Inception (und dann natürlich in der Dark-Knight-Trilogie) und Interstellar. Um die Geburt des Gottes-Dröhn-Geräusch ranken sich Sagen. Seine Erschaffung wurde zuerst auf Zack Hemsey zurückgeführt, der die Trailer-Musik zu Inception komponiert hat. Aber eigentlich soll es Hans Zimmer komponiert haben, der die Geräuschelandschaft unserer Filme seit Dekaden bestimmt. Zimmer selbst sagt dazu:

Der Sound entstand, ohne Witz, so, dass ich ein Klavier in die Mitte einer Kirche gestellt hab und ein Buch auf das Pedal gelegt hab, sodass diese Blechbläser in den Resonanzbereich des Klaviers spielen mussten. Und dann habe ich ein wenig elektronischen Nonsens hinzugefügt. (Quelle)

Dieses Geräusch-Device bezeichnen viele als Sub-Sonic-Sound, der nicht gehört, sondern, weil er so tief ist, eher gespürt wird. (Hier gibt es dazu einen Selbstversuch.) Andere wie der New Yorker nennen das Geräusch „drone“: „mittlerweile fühlt es sich an, als wäre dieses verfluchte Dröhnen (drone) schon immer Teil unseres Kino-Lebens gewesen. Aber die Herrschaft dieses akustischen Terrors hält noch nicht lange an, und ist auf eine Reihe von Trailern für Christopher Nolans Inception von 2010 zurückzuführen.“ . Dazu gibt es eine ganze Musikbewegung, drone-music, die das Dröhnen auch als religiöses Mittel, als heilige Musik oder z.B. zur Meditation einsetzt. (Ein befreundeter Forscher hat das ausführlicher beschrieben.)

Mindf**k, Klang als Waffe, Überforderung

Vielleicht kann man an der überpräsenten Verwendung dieses Kunstgriffs in Trailern, die uns jede Woche in neuer Wandlung angehen und immer neue, vielleicht auch religionsanaloge Erfahrungsspektakel versprechen, hören, wie Transzendenz heute –Deus Sonus ex Machina – in die Filmwelt kommt. Ohne die Quelle des Klangs erkennen zu können, direkt in die Eingeweide, aufrüttelnd und verunsichernd: Was wird von Gott gezeigt in diesem Klang, der fasziniert und erzittern lässt?

Der Trailer für Inception (Vgl. den Honest Trailer) wird durch diese ohrenbetäubenden verzerrten Bläser-Geräusche strukturiert. Es kommt zum Titel (Inception kann Anfang, Geburt, Einpflanzung bedeuten) und begleitet die Worte „menschlicher Geist“. Wie ungeduldiges Atmen eines Riesen wird es immer schneller. Zum Schluss sieht man die Stadt, aus dem Unterbewussten gebaut, die den Filmtitel neu ausbildet zusammen mit einem vierfachen Synthesizer-Horn-Stoß der Neo-Shofarim. In Inception vergegenwärtigt der Klang die neue Stadt, das Unterbewusste, die Bedrohung des Mindf**k im eigenen Hirn.

Im Trailer des neuen MadMax-Reboots ist es eine Feuersäule, ein Sandsturm in der Wüste und die rollende Wagenburg der Postapokalypse (auf einem lautsprecherübersäten LKW spielt ein Maskierter auf einer Orgel stehend eine Feuer-E-Gitarre – Klang als Waffe), die die Protagonist_innen verfolgt (eine mobile Wagenburg ist u-unser Gott…). In den Transformers-Filmen zeitigt der Klang das Auftreten der riesigen Halbgott-Maschinen-Wesen, die für die Menschen kämpfen und unterstützt die Erfahrung totaler visueller Überforderung durch akustische Maschinengötter, Dei Machinae. Godzilla ist im Trailer des 2014-Reboots bis zum Schluss nicht zu sehen, aber Gottesgeräusche begleiten seine Spuren der Zerstörung, reihen Einstellung an Einstellung. Die Geräusche etablieren die Unkontrollbarkeit der Natur und das Riesenmonster, das sich im Endeffekt als Deus in Monstrum entpuppt. Und natürlich trägt der Trailer von God-Zilla sein Klang-Programm schon im Namen.

Zurück zum leeren Grab

Die Trailer zum 2014 Superman-Reboot Man of Steel und dem kommenden Superman vs. Batman: Dawn of Justice zeigen den Übermenschen zum heftigen Dröhnen (mit FALSE GOD auf der Brust von Superman). Superman als die die personifizierte und säkularisierte puritanische Arbeitsethik und der fleischgewordene Amerikanische Traum (Mills 2014:26), der jetzt mit der Charakterreinheit des Protagonisten kippt, wird herausgefordert durch die dunkle Ausgeburt des Unterbewusstseins Batman (Der risen Dark Knight, Wer könnte ihn menschlicher machen als Ben Affleck?) der Supermann in einem Maschinenanzug und mit Synthesizer-Stimme gegenübertritt. Im Trailer zu Ex Machina markieren die Gottesgeräusche den Übergang von der Herrschaft der Menschen zur Herrschaft Künstlicher Intelligenzen in den Kunstgriffen von Ava gegen ihren Schöpfer Nathan. Auch in Avengers: Age of Ultron macht das Dröhnen klar: Die AI übernimmt die Welt  – und die Hörkanäle – und bringt sie zu einem Ende.

Die Liste ließe sich weiterführen, aber mit dem Trailer zu Risen schließt sich der Kreis und das Geräusch kehrt zurück, das Hans Zimmer in einer Kirche aufgenommen hat, kehrt zurück zum leeren Grab. Keine Stimme, sondern ein Klang ohne Sprache, technisch, verfremdet, synthetisch. Gott wird Klang, nicht nur in menschlichen Stimmen, Worten oder im Singen, nicht nur in der Stimme der Pastorinnen und Pastoren.

Es bleibt spannend, wie die neuen Gottesgeräusche in Trailern, Filmen, Videospielen und der Musikindustrie sich weiter verändern werden und wie dieses populärkulturelle Phänomen die Kirchen, die vom Schweigen vor dem leeren Grab schnell zu Worten finden, und ihre Geräuschlandschaft angehen könnte. Schon setzt sich eine neue Modifikation des Geräuschs durch (siehe Video) , verändert zu einem Klang, der verfremdet, indem er verlangsamt, Zeit und Raum und Hirn dehnt und anhält und Hörenden auf diese Weise akustisch den Boden unter den Füßen wegzieht.  Augustinus hätte dieses Geräusch bestimmt gemocht. Und sicherheitshalber schnell weggehört.

Weiterführende Literatur:

  • Mladen Dolar (1996). ‘The Object Voice’ in Salecl R. & Žižek S. (Hrsg.), Gaze and Voice as Love Objects. Duke University Press.
  • Mladen Dolar (2006). A Voice and Nothing More. MIT Press.
  • Anthony Mills (2014). American Theology, Superhero Comics and Cinema. Routledge.