Pandemisches Erfahren und Deuten
Deuten kann ich diese Pandemie noch nicht. Will ich auch gar nicht. In diesem Ring hat mein Hut nichts verloren, bevor ich weiß, welche Größe und Sorte er hat. Im Moment erfahre ich die Dauerkrise sehr und das wird noch intensiver werden und körperlich näher. Ich bin noch lange nicht beim Verstehen und ich schwanke zwischen Handhaben und ohnmächtigem Ausgesetztsein auch im sogenannten pastoralen Alltag – was auch immer das mittlerweile sein soll. Zwischen Angst und ein bisschen Bewegungsraum für etwas Kreatives, für irgendwas in Richtung „Verkündigung“, mehr noch aber eigentlich Seelsorge im Kleinen und Kleinsten. Aber weil Handeln/Handhaben und Deuten sich so ineinander schichten wie Tortenböden, Creme und Obst, kommt vielleicht doch ein bisschen Deutung dabei rum noch einmal über kirchliches Medienagieren in der Pandemie zu reflektieren.
Allmachtstrigger
Mich hat gerade getriggert (so sagen das meine Konfirmand*innen gerne), mit welchen theologischen Kalibern und welcher Lautstärke jetzt viele öffentlich aktive Theolog*innen, allen voran die Systematiker*innen, theologische Deutungen der Pandemie in bestehendn Systeme einordnen und so verbuchen, dass nichts ins Wanken kommt. Mich triggert, dass Praktiker*innen von Kirchen- und Glaubensleben vorgeworfen wird, die Krise hätte das Vertrauen in den allmächtigen Gott gegen alle Vernunft und Gebotenheit erschüttert. Kirche und Glaube hätten ihren Anspruch auf öffentliche Relevanz aufgegeben, ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft, ihre Aufgabe und Verantwortung. Das Beschränken oder gar Aussetzen von Gottesdiensten verrät jedes Gottvertrauen. Niemand würde uns mehr so oft wie früher in die Talk-Shows einladen, Stimmung und Richtung machen andere, die Bischöfe hätten geschwiegen, die Kirchenmenschen seien abgetaucht, die Kirche vor Ort hätte nicht qua status confessionis Stand gehalten, ein Gegenüber zu profangesellschaftlichen Mächten zu sein.
In meiner Wahrnehmung höre ich den Vorwurf: Ihr habt eure Macht verspielt! Ihr seid freiwillig und mit offenen Augen in die Ohnmacht gegangen und da geblieben! Das wäre zu verhindern gewesen.
Schwache Theologie – schwache Kommunikation
Ist es zu platt sofort zu reagieren: Auf der Seite der Ohnmacht sind wir goldrichtig? Diese Debatte um Macht und Ohnmacht spielt sich auch auf der Ebene medialer Kommunikation ab. Hier bemerke ich dieselben Argumentationsmuster: Wir erreichen mit social media nicht die Älteren Generationen; Hausandachten liest aber sowieso auch keiner mehr, wir sind ja nicht mehr im 19. Jahrhundert; zu den offenen Kirchen kommt keiner; eure massenhaft und in endloser Vielfalt mittelprächtig produzierten Videos stehen in keinem Verhältnis zwischen Aufwand und Klick-Zahlen; euren Content habt ihr auf dem Weg auch irgendwie verloren, function followed form too far; schweigen dürft ihr aber auch nicht.
Homiletik und Medientheorie treffen sich hier theologisch an einem Punkt: Was wir kirchlich in den Äther sprechen, muss messbar wirksam sein. Oder theologisch gesprochen, dass Gepredige und Verkündigen muss aus sich (nicht aus den Aktanten heraus) heraus vollmächtig sein. Also durchaus mit Anspruch auf all das, was Kirche angeblich in der Pandemie aufgegeben habe: Mitgestalten, Verantwortung für alle, Deutungshoheit, Wirksamkeit, nachweisbare Rezeption – es muss auf fruchhtbaren Boden fallen , Feedback erzeugen oder Resonanz, sodass es sich lohnt und sodass es Sinn macht.
Gegenüber der Vorstellung einer in diesem Sinne (voll-)mächtigen Kommunikation von Evangelium hinter und unter der auch die Vorstellung eines all-mächtig/voll-mächtigen Gottesbildes pulsiert, will ich kursorisch die postmoderne Theologierichtung der „schwachen Theologie“ setzen – und das ganze ein zwei Takte in Richtung digitale Homiletik und Kommunikation weiterschubsen.
John D. Caputo – Weak Theology
John D. Caputo, eigentlich Philosoph, irgendwie aber auch Theologe (sagt Catherine Keller), steht für eine radikale schwache Theologie. Der allmächtige, metaphysische Kraft- und Machtgott, der eingreift und schafft und zerstört ist dahin. Er ist sogar unbiblisch. Der biblische Gott, Gottes Prophet*innen, Gottes Messias und Gottes Nachfolgenden haben konkretes Interesse am Retten, Heilen und an Gerechtigkeit und nicht an Macht. Gott ist Ruf in die Nachfolge, mehr will Gott nicht, keine Deutungshoheit, keine massive Anbetung, keine Alleinhoheit. Gottes Akte und Glaubenstaten sind schwach, vielfach, oft unsichtbar, aber wirklich tragfähig, ausdauernd und transformativ – ganz ohne Mono, ohne Monolatrie, ohne Monomedialismus, ohne Ausschließlichkeit – konkret, schwer sichtbar und fein und gerade so wirksam.
Wenn mich also irgendwas in dieser Pandemiesituation positiv triggert, dann ist das progressiv schwache Theologie zu treiben. Und aus einer schwachen Theologie kommen auch intentionale und progressive schwache Kommunikationsstrategien. Statt großer Shows das Zirkulieren von kleinen Kontakt- und Grußvideos über Messenger. Statt einer zentralen Kommunikationsfigur, die es richtig drauf hat, lieber viele, leisere Stimmen. Statt eindeutiger Deutungen, lieber Selbstzweifel aussprechen, lieber zu wenig als zu viel sagen, lieber kritisch bleiben und grübelnd. Statt gegen die Ohnmacht rudern, Kreativität aus dem Nichtmächtigseinmüssen ziehen.
Schwache Verkündigung – starke Verkündigung
Ohnmächtige und schwache Verkündigung, mit Absicht und sehenden Auges. Ohne Anspruch auf Kontrolle, jenseits von Nachfragen nach Wirksamkeit und Feedback. Unterschieden in zentrale Kommunikationsakten für viele, von einem/r ausgehend und in individueller, kleiner und schwacher interaktiv-dialogischer Kommunikation zwischen einem/r und einem/r.
Wenn man in (ohnmächtig-)dilettantischer Anlehnung an Elektrik und Niklas Luhmann so auf die vielen ohnmächtigen Schwach- und Kriechströme von Glaubenshandeln schaut – auf Telefonate, auf Solidaritätsakte, auf Grüße und Wünsche und Gebete – dann fließt da nicht weniger Energie durchs System, sondern Energie fließt anders. Ich merke z.B., dass ich selbst bei gelungenen und positiven Telefonaten selbst spirituell-körperlich mehr Wirkung für mich einstreichen kann, als im lange produzierten und dann mittelmäßig rezipierten Video – oder Videoschauen.
Mit dem Soziologen Randall Collins könnte man das Strömen von emotionaler Energie gerade bei kleiner, interaktiver und schwacher Kommunikation kartographieren – es käme sicherlich zu mehr Austausch und Ertrag positiver Energie für die Beteiligten als bei Masse-Macht-Messages.
Also viele kleine Interaktionen, schwache Kommunikation und schwacher Medieneinsatz – kreativ-fröhliche und ohnmächtige Verkündigung – nicht nur sieht John D. Caputo in ihnen Gott substantiell zu verorten, ich finde, auf sie zu vertrauen, ist doch gutes und festes Vertrauen auf Gott, den schwachen Heiler, Retter und Gerechtmacher.