Viele Dinge auf der Welt,
kann man kaufen für Geld
doch auch du, du wirst seh‘n:
Diese Dinge vergeh’n.
Sonntagmorgen, 10 Uhr. Gottesdienst. Die Gemeinde singt Lieder, um Gott zu loben – es ist ein fester Bestandteil in jeder Liturgie. Doch obige Zeilen stammen nicht aus einem Lied aus dem Gottesdienst, auch wenn sie inhaltlich stark an Aussagen erinnern, die uns aus dem Bereich des Religiösen bekannt sind. Da singt jemand über die Endlichkeit. Darüber, dass alles vergeht und der wahre Lebensinhalt nicht käuflich ist. Doch die Sänger sitzen nicht auf hölzernen Kirchenbänken und singen ehrfurchtsvoll dem Gott, an den sie glauben. Nein. Sie stehen in der Nordkurve des Wildpark-Stadions in Karlsruhe, ausgerüstet mit Tröten, Schals und Trikots, und grölen voller Inbrunst den Refrain der Vereinshymne „Für immer KSC“:
So lange die Sterne noch steh’n
so lange wird ein Traum nicht vergehn,
so lange das Feuer in uns brennt
und Blau-Weiß jeder kennt, ja so lange
für immer KSC!
Es ist ein Lobpreis der anderen Art: der Verein wird zur Instanz der Ewigkeit. Alles wird vergehen, nur eines bleibt – und zwar „so lange die Sterne noch steh’n“. Ohne Bruch könnte man die Zeilen um ein „Für immer gehst du mit uns. Unendlich und ewig, für immer“ erweitern. Doch diese Worte wiederum stammen aus einem christlichen Lobpreislied („Für immer“, Feiert Jesus 3, Nr. 56). Beide Lieder eint die Sehnsucht nach dem Unendlichen, ausgedrückt in Textzeilen, die sich zum Verwechseln ähneln. Dabei gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied; während die einen ihr Lied an ein transzendentes Wesen adressieren, huldigen die anderen einem Fußballclub. „Wenn auch die Zeit vergeht, unser Club der bleibt besteh’n […] Unser Club wird niemals untergeh’n“ – da sind sich die Fans des 1. FC Nürnberg sicher.
Vielfältige Motive und Bezugspunkte
Nicht nur die Hymnen dieser beiden Fussballvereine sind durchsetzt von Sehnsüchten, Wünschen und Metaphern, die zweifelsohne religiöse Züge aufweisen. Und die „Ewigkeit“ ist auch nicht der einzige Bezugspunkt zu religiösen Liedern. Nachdem die Sänger der VfB-Hymne „VfB i steh‘ zu dir“ mit Blick auf die Unverfügbarkeit der Zukunft fragen „Wer weiß schon, was morgen kommt?“ stellen sie daraufhin ernüchternd fest: „So viel vergeht, so wenig bleibt.“ Doch dann verrutscht der Fokus des Liedes auf ein anderes Element:
I weiß genau uns wirft nix um
hand mir uns zwei
wird alles andere klein
mir haltet zamme ganz egal was au kommt.
VfB i steh zu dir
VfB was auch passiert
mir halted zueinander
nix und niemand tut uns weh
so sind wir – so isch der VfB
Unverkennbar das Motiv: Treue, Zusammenhalt und die Betonung einer intensiven Beziehung zwischen Sänger und Adressat. Das Lied gleicht einem Treueschwur: Was auch kommt, nichts kann uns trennen. Wenn wir zusammen sind, wird „alles andre klein“, Probleme werden nichtig. Was gibt es schon Wichtiges auf der Welt – wir haben doch uns beide!
Schon im Alten Testament sind solche Motive in Liedern tief verankert. Um nur ein bekanntes von zahlreichen weniger bekannten Beispielen zu nennen: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ (Psalm 23,4) In anderen Worten: Was auch passiert, ich fürchte nichts. Wir halten zueinander, nichts und niemand kann mir schaden, wenn Gott auf meiner Seite ist. Oder ich auf der Seite des VfB?
Danke!
Neben dem Bezug zur Ewigkeit, der einem Verein transzendente Merkmale zuschreibt, und dem Betonen der besonderen, fast intimen Beziehung, die zwischen Fan und Verein besungen wird, findet sich zudem der „Dank“ als Motiv. Auch in christlichen Liedern ist er gern gesungenes Thema. In nahezu allen Liederbüchern gibt es eine eigene Kategorie der „Lob und Dank“-Lieder. Die Spieler von Hannover 96 hören von ihren Fans folgende Zeilen, die zunächst wieder die einzigartige und besondere Beziehung zum Verein betonen, um anschließend dafür zu danken:
Niemals allein,
wir gehen Hand in Hand.
Zusammen sind wir groß
und stark wie eine Wand
Wir danken dir,
Du hast uns viel gegeben
Du bist der Mittelpunkt
in unserem Leben.
Gleich im Anschluss an diese Worte des Dankes bezieht sich der Liedtext direkt auf biblische Bilder und lobt den Verein: „Mit dir haben wir nie auf Sand gebaut.“ Ohne Umschweife wird in Anspruch genommen, den Rat befolgt zu haben, den Jesus am Ende der Bergpredigt seinen Zuhörern mit auf den Weg gab: „Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. “ (Mt 7,26f) „Mit dir haben wir nie nur auf Sand gebaut.“ Dieser kurze, unscheinbare Satz birgt, auf den Punkt gebracht, eine verquere Aussage: Hannover 96 – wer dir folgt, tut, was Jesus sagt!
Identische Wirkung?
Fanhymnen können, wie hier kurz aufgezeigt wurde, durchaus zahlreiche religiöse Motive, Texte, Anspielungen oder Melodien aufweisen. Doch im Gegensatz zu (vielen) christlichen Liedern wirken sie auf eine andere Art. Und folgendes darf durchaus als These verstanden werden, die ich hier zur Diskussion stelle: Fanhymnen wirken in der Masse, während religiöse Lieder – in diesem Fall spezifisch christliche – nicht den Anspruch haben, ihre Wirkung (nur) zu entfalten, wenn sie in der Masse gesungen werden. Sie zielen auf eine andere, transzendente Ebene, deren Wirkung auch im einsamen Kämmerlein gespürt werden kann, wenn sie ein Einzelner auf seiner Gitarre klimpert. Sie sind nur bedingt kontextgebunden, häufig haben sie ihren „Sitz im Leben“ nicht nur im Gottesdienst, sondern auch im Alltagsleben der Gläubigen. Diese können durch solche Lieder Vertrauen, Zuspruch und Beruhigung erlangen.
Fanhymnen hingegen brauchen die Masse. Eine Fußballhymne aus dem Kontext eines Spieles herausgerissen, ohne hunderte oder tausende andere Unterstützer der besungenen Mannschaft wird schwerlich ihre volle Wirkkraft entfalten können. Im einsamen Kämmerlein gesungen bleibt die Fanhymne nämlich, was sie ist: ein einfaches Lied.