„Zeig mir deine Welt“ – interreligiös durch Berlin

Interreligiöse Stadtführer bei der Arbeit. (Bild: Cross Roads)
Interreligiöse Stadtführer bei der Arbeit. (Bild: Cross Roads)

Kürzlich wurde ich auf ein Projekt aufmerksam gemacht, das ich euch nicht vorenthalten möchte: In Berlin werden „Interreligiöse Stadtführungen“ angeboten. Das evangelische Stadtführunsgunternehmen „Cross Roads“ vom Kirchenkreis Berlin Stadtmitte hat dies mit seinem Projekt „Zeig mir deine Welt“ angestoßen: Junge BerlinerInnen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft wurden hier ausgebildet, um künftig auf „interreligiösen Pfaden“ durch Berlin zu führen.

Ich finde die Idee, eine Stadtführung interreligiös anzulegen, sehr interessant. Schließlich ist gerade eine Stadt wie Berlin geprägt von religiösem Pluralismus, vielfach sind die Spuren davon (glücklicherweise!) nicht zu übersehen. Und irgendwie passt dieser Gedanke ja auch zum Theopop-Projekt „Was glaubt deine Stadt“, dass wir hier vor einiger Zeit mal gestartet haben.

Bei „Zeig mir deine Welt“ läuft das Ganze so, dass zwei Stadtführer mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund zusammenarbeiten, um eine Stadtführung zu konzipieren. In der Ausbildung, die dem voransteht, werden in verschiedenen Modulen die dafür notwendigen Kompetenzen vermittelt. Und, interessant: Die Ausbildung beginnt mit zwei Modulen rund um interreligiöse Kompetenz, erklärt mir die Geschätfsführerin von „Cross Roads“, Antje Zimmermann. Die Reflexion dessen, was man selbst eigentlich glaubt, der Austausch mit anderen über deren Glauben – das bildet die Grundlage. Auch Konfessionslose interessieren sich dafür, als „interreligiöse Stadtführer“ ausgebildet zu werden; bislang sind Muslime, Juden, Konfessionslose und Christen an dem Projekt beteiligt.

Blick über den Tellerrand – ohne Extremismus

Ich stelle mir so ein Projekt ungemein bereichernd vor, für den Einzelnen ebenso wie später für diejenigen, die an den Stadtführungen teilnehmen. Das bestätigt auch Antje Zimmermann: „Die Auseinandersetzung auf einer persönlich, religiösen Ebene zu führen ist weitaus mehr als horizonterweiternd. Sie hilft sprachfähig zu werden mit sich selbst, den eigenen Vorstellungen und dem eigenen Glauben“, sagt sie. Und nicht nur das, schließlich ist der Austausch über den Glauben ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, extremistischen Positionen vorzubeugen. Der Anspruch von „Cross Roads“ geht aber noch weiter. Zimmermann: „Wir nehmen Deutschland wahr als ein Land, in dem die politische Situation aufgeladen ist, ein Land, in dem Rassismus und Antisemitismus zunehmen. Wir wünschen uns durch dieses Projekt tragfähige Verbindungen zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft zu schaffen.“

„Cross Roads“ hat bislang einen Durchgang gestartet, um solche interreligiösen Stadtführer auszubilden. „Die Erfahrungen aus diesem Projekt waren so inspirierend und bereichernd, dass wir gern einen zweiten Kurs anbieten möchten“, sagt Antje Zimmermann. Dafür sammelt das Projekt gerade – per Crowdfunding – Geld (noch bis zum 6. Dezember – falls ihr noch Weihnachtsgeschenke braucht, da gibt’s als Dankeschöns Gutscheine…). Kommt genug zusammen, soll der Kurs im März 2016 beginnen. Abgesehen davon, dass ich sicher Mal eine solche Stadtführung mitmachen werde, schlicht, weil es mich interessiert, finde ich: Eine unterstützenswerte Aktion! Ich bin gespannt und hoffe, dass es für eine weitere Runde reicht. Und natürlich interessiert mich: Was denkt ihr darüber?

Von der Kathedrale auf die Straße? Die Erfolgsstory des Schweigens

Auf die Frage von englischen Bekannten „Was macht ihr eigentlich in Deutschland am 11. November um 11 Uhr?“, bleibt nur das schnelle und strategische Ausweichen auf den St. Martinstag übrig: Laternen, Gebäck und Gänsebraten und so. Ehrlicher wäre zu sagen, am 11.11. um 11.11 Uhr wird sogar im Norden und Osten Deutschlands in vielen Schulen, Büros, Betrieben oder Unis alles stehen und liegen gelassen – um die Karnevalssaison einzuläuten. Und während also überall in der Bundesrepublik Korken knallen, Prinzenpaare vorgestellt und Musik gespielt wird, machen die Engländer etwas, was gegenläufiger nicht seien könnte: am 11.11. um 11 Uhr schweigen sie für zwei Minuten. In großen Städten und in vielen Einrichtungen gibt es Signale wie Sirenen oder Kanonensalven und für 120 Sekunden steht alles steht. Seit 1919 gibt es diesen kollektiven Akt der Erinnerung  am Remembrance Day oder Armistice Day für das Ende des Ersten Weltkriegs und die Opfer, die er forderte.

Die Erfolgsgeschichte dieses gemeinsamen Schweigens reicht bis zu Raoul Haspel, der  im Sommer mit „Schweigeminute“  für Wochen auf Platz 1 der österreichischen iTunes und Amazon-Musik Charts blieb und mit dem Verkauf von Stille für ein Refugee-Lager sammelt.

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Für die Ursprünge der modernen Schweigeminute gibt es drei verschiedene Theorien . Nach der ersten Theorie geht die Praxis zurück auf den Bürgermeister von Capetown, der vom 14. Mai 1918 bis zum Ende der Kampfhandlungen in Südafrika am 11. November 1918 jeden Tag alle Bürgerinnen und Bürger aufforderte, für zwei Minuten zu schweigen. Ein Nachrichtenkorrespondent von Reuters beschrieb die Szene in Capetown folgendermaßen:

It was a most solemn and inspiring function, the effect was magical. There was always a great crowd in Adderly Street at midday, but the observance seems even more striking in the less frequented streets (Quelle)

Der Korrespondent soll eine umfassende Beschreibung der Ereignisse nach London geschickt haben, wo sie George V. zum Einführen der Schweigeminute am Armistice Day anregte. Von hier aus trat die Schweigeminute einen Siegeszug durch die ganze Welt an. Soweit Theorie Nummer eins.

Die zweite Theorie, die auch die Times vertritt, geht davon aus, dass der australische Journalist Edward George Honey als der Erfinder der modernen nationalen Schweigeminute zu gelten habe.  „Fünf kleine Minuten nur. Fünf Minuten der nationalen Erinnerung“, schrieb er im Mai 1919 an die London Evening News. Honey hatte als Soldat in der Britischen Armee gedient und erlebte die Feierlichkeiten des Kriegsendes als laut und turbulent. Sein Vorschlag war dagegen, die Opfer des Krieges schweigend zu erinnern.  Honeys Leserbrief liest sich folgendermaßen:

Five silent minutes of national remembrance. A very sacred intercession. Communion with the Glorious Dead who won us peace, and from communion new strength, hope, and faith in the morrow. Church services, too, if you will, but in the street, the home, the theatre, anywhere, indeed, where Englishmen and their women chance to be, surely in this five minutes of bitter-sweet silence there will be service enough. (Lichau 2013, S.82)

Folgt man dem Oxforder Geschichtwissenschaftler Adrian Gregory, ist in einer dritten Theorie der Erfinder der modernen nationalen Schweigeminute kein anderer als Sir Percy Fitzpatrick, der an das Kriegskabinett von seiner Erfahrung der Schweigeminute in Capetown berichtet:

Silence, complete and arresting, closed upon the city – the moving, awe-inspiring silence of a great Cathedral where the smallest sound must seem a sacrilege […] Only those who have felt it can understand understand the overmastering effect in action and reaction of a multitude moved suddenly to one though and one purpose. (Gregory 1994, S.9)

Jede Unterbrechung ein Sakrileg

Aber liegt nicht eigentlich eine vierte Erklärung viel näher? Honeys Leserbrief und die Erfahrungsberichte des Reuters-Korrespondenten und von Sir Fitzpatrick sind gespickt mit religiöser und quasi-religiöser Sprache (Vgl. Lichau 2013, S. 84). Ein „feierlicher“, „überwältigender“, „magischer Effekt“, schreibt der Journalist. Von einer „sehr heiligen Fürbitte“, „Gemeinschaft mit den Toten“ und „Glauben an dir Zukunft“  – vor allem aber von einem Gottesdienst, nicht mehr in der Kirche, sondern auf der Straße, zu Hause, im Theater, ist die Rede bei Honey. Fitzpatrick beschreibt das kollektive Schweigen als die Stille einer großen Kathedrale – jede Unterbrechung wird zum Sakrileg. Das Schweigen überwältigt ihn, wenn eine Vielzahl von Menschen plötzlich vereinheitlicht wird. Funktioniert dieses Schweigen, auch wenn es säkularisiert und nationalisiert wird, jeden 11. September, jedes High-School-Shooting, jeden Jom haSho’a, durch ein zutiefst religiöses – aber ‚geborgtes‘ – Gefühl?

(Bild: Ludovic Hirlimann/flickr.com unter CC-BY-SA)
(Bild: Ludovic Hirlimann/flickr.com unter CC-BY-SA)

Es liegt nahe, die Ursprünge gemeinsamen Schweigens bei den Techniken der Mönche oder dem Schweigen im Gottesdienst zu suchen. Die Quäker, früher abwertend wegen des Zitterns religiöser Erregung so genannt, haben ihr zentrales Gottesdienst-Format auf das gemeinsame Schweigen ausgerichtet. Es gibt bei ihnen keinen Plan dafür, wie der Gottesdienst ablaufen soll. Die Religiöse Gesellschaft der Freunde, wie sie auch genannt werden,  glauben, dass Gottes Geist sich durch das gemeinsame Schweigen einstellen wird. Erst dann erheben sich Menschen um zu sprechen, wenn sie spüren, dass etwas durch sie spricht, wenn sie eine innere leise Stimme wahrnehmen. Manchmal bleibt der ganze Gottesdienst still und endet mit einem Händeschütteln. Durch diese Praxis können Quäker mit Menschen zusammen Gottesdienst feiern, ohne dass eine gemeinsame Sprache notwendig wäre, ohne dass man sich auf eine Gottesvorstellung geeinigt hätte, ohne dass es Parteinahmen oder Kontroversen käme. In ihrem stillen Gottesdienst feierten die Quäker in Pennsylvania mit Native Americans, ohne dass eine Gruppe das Gefühl hätte, sich auf das religiöse System der anderen einlassen zu müssen. Und bis heute wird ihre Praxis vielfach adaptiert.

In vielen Gesellschaften hat sich das Quäker-Schweigen so weit durchgesetzt, dass sie in Schulen, Fußballstadien wie bei politischen Großveranstaltungen eingesetzt wird. Allerdings formiert sich in den U.S.A. Widerstand gegen diese Schweigeminuten, die seit der Regierungszeit Bill Clintons fester Bestandteil des Schulalltags wurden. Die Begründung ist: Die Schweigeminuten sind nichts anderes als getarnte christliche Gebete. Bleibt es dann dabei? Auch im Fußballstadium und in der Schule? Ist gemeinsames Schweigen eine unabänderlich religiöse Angelegenheit?

„Wir sind noch da und wir machen weiter“

Vielleicht liegt das religiöse Erbe gemeinsamen Schweigens nicht nur im religiösen Gefühl von Ergriffenheit – das sich vielleicht gar nicht einstellen will – sondern auch darin, dass es Menschen von sich weg und auf andere ausrichtet. Es ist möglicherweise auch darin religiös, dass alle vorübergehend einander gleich werden, wie in einem Ritual, wenn sie gemeinsam stillhalten und sich auch so erleben können. Mit anderen Menschen zu schweigen fordert eine neue Orientierung, die die Aufmerksamkeit aus dem Alltag reißt und sie auf die Menschen um einen herum  richtet, die sich als im Schweigen aufeinander angewiesen finden. Gerade weil sich alle bemühen, still zu sein, hört man im Schweigen überhaupt wieder, wie sich die anderen bewegen, wie sich Menschen weiter bewegen, wie Schuhe auf dem Boden scharren, Hosenbeine rascheln oder geatmet wird – Schweigen: Verordnete Re-Orientierung auf die Mitmenschen.

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Man könnte argumentieren, dass Schweigen die Laufbänder anhält und die Leistungsgesellschaft, von der Herbert Marcuse unterbricht und dafür Raum schafft für nichtalltägliche – auch religiöse – Erfahrung. Schweigen stellt nichts her, setzt nichts um, produziert nichts. Es gibt keine Akteure oder Akteurinnen. Aber produziert Schweigen wirklich nichts? Wird nicht in der säkularen Schweigeminute die siegreiche Nation gemeinsam wie ein Alltags-Theaterstück aufgeführt und neu hervorgebracht? Wird nicht in der Schule und im Fußballstadium gezeigt, dass die Gesellschaft auch bei Krisen noch intakt ist, so dass sich jeder auch davon überzeugen kann? Erschöpfen sich die Schweigeminuten im Gedenken an Opfer und Verstorbene oder geht es nicht immer auch um die Stabilisierung der Gegenwart? Um eine Bestätigung „wir sind noch da und machen weiter“?

Vielleicht ist alles dabei in der Schweigeminute: Das religiöse Gefühl, die Unterbrechung, die neue Wahrnehmung der Menschen neben und um einen herum, genauso wie die Produktion von Erinnerungen und Perspektiven für die Zukunft.  In jedem Fall stellt sie ein Format dar, dass eine Autorität aufruft, wie das religiöse Rituale auch einmal konnten und Menschen in eine gemeinsame Handlung bindet, vielleicht auch ein bisschen zwingt. Selbst Günter Jauchs Verbalzentrismus lässt sich durch einen einzelnen Aktivisten und den Aufruf des Formats Schweigeminute unterbrechen. Ein Bericht der Süddeutschen Zeitung „Unerträgliche Stille bei Jauch“, veranschaulicht abschließend, was alles zusammen kommt, wenn Schweigen in den gewohnten Ablauf einbricht:

Höppner [Initiator der Seerettungsmission für Geflüchtete Seawatch] war als Konterpart zu den Wortschwingern im Stuhlrund geladen, doch mit der Rolle des lächelnden und brav Fragen beantwortenden Gastes gab er sich nicht zufrieden. Höppner stand auf, lief aufs Podium zu und forderte mitten in der Live-Aufzeichnung eine Schweigeminute für die umgekommenen Flüchtlinge. Als der sichtlich überrumpelte Moderator ihn bremsen wollte, wurde er im eigenen Studio zurechtgewiesen: „Herr Jauch, Deutschland sollte eine Minute Zeit haben, um dieser Menschen zu gedenken.“ Danach wollte sich keiner mehr der verordneten Gedenkmaßnahme entziehen, und so herrschte Stille. 60 Sekunden lang. […] die Kamera [hält] erst auf das ungeordnet stehende Grüppchen auf dem Podium mit einem belustigt wirkenden Ex-Innenminister Friedrich und einem verlegen-freundlichen Jauch, dann auf die ordentlich aufgereihten Studiozuschauer, dann fuhr sie ganz nah heran an die ernste Miene von SZ-Journalist Heribert Prantl. Der Kameramann – und mancher Gast – wusste offenkundig nicht so recht, was er anstellen sollte mit diesen 60 Sekunden, in denen nichts passierten. So moralisch aufgeladen eine Schweigeminute ist, am Ende geht es weniger ums Nachdenken, als vielmehr ums Fühlen. Und es sind nicht mal vermeintlich edle Gefühle, die einen ergreifen können, während man schweigend dasteht. Sondern Unbehagen. Wie soll man schauen, wohin mit den Händen? Neugier. Wie verhalten sich die anderen? Wer hat feuchte Augen? Belustigung. Ist das Ganze nicht einfach nur lächerlich, all diese bedröppelt dreinschauenden Menschen um einen herum? Scham. Warum ist man nicht ergriffen, genau in diesem Moment? Hilflosigkeit. Warum kommen einem plötzlich die Tränen, genau in diesem Moment?

Ob diese gemeinsame Handlung, die aussieht als würden Menschen in einem Studio gemeinsam beten, religiös ist, sich auf Gott bezieht? Reicht es nicht, dass sie die Menschen neu aufeinander richtet? Oder gibt es da vielleicht gar keinen so großen Unterschied?

Zum Weiterlesen:

  • Aidan Gregory, The Silence of Memory. Armistice Day 1919-1946, Oxford: Oxford University Press 1994.
  • Karsten Lichau, „The moving, awe-inspiring silence“. Zum „emotionalen Potential“ der Schweigeminute, in Claudia Jarzebowski, Anne Kwaschik (Hg.), Performing Emotions, Göttingen: V&R Unipress, 69-92.

Asterix und der Glaube an das Wort

(Bild: LexnGer/flickr.com unter cc-by-sa)
(Bild: LexnGer/flickr.com unter cc-by-sa)

Am 22. Oktober 2015 war es so weit: Der neue Asterix-Band „Der Papyrus des Cäsar“ ist erschienen. Natürlich, wie könnte es anders sein, muss der auch gelesen werden. Die Geschichte spielt zwar – wie üblich – im Jahre 50 v. Chr., die Themen sind aber brandaktuell. Es geht um Whistleblower, Propaganda seitens Herrschender und das Vertrauen in Medien. Genauer: Um das Vertrauen in Geschriebenes, denn damit ist es bei den Galliern nicht allzu weit her.

Kurz zur Geschichte: Cäsar hat ein Buch geschrieben („Der gallische Krieg“). Doch auf Anraten seines PR-Beraters lässt er das für ihn unrühmliche Kapitel über die Widerstände des kleinen gallischen Dorfs, das wir alle kennen, aus dem Buch streichen. Merkt ja keiner. Oder doch? Richtig: Doch. Ein „Whistleblower“ spielt das geheime Kapitel dem Kolporteur Polemix zu, der aus Rom fliehen muss und schließlich bei den Galliern landet. Dort ist man wenig amüsiert über den Versuch Cäsars, ihren Widerstand unter den Teppich zu kehren. So setzt man nun alles daran, den Inhalt des Buchkapitels zu bewahren. Das Problem dabei ist nur: Gallier glauben schriftlichen Überlieferungen nicht, sondern vertrauen ausschließlich auf „Mund-zu-Ohr“-Weitergabe.

Am Deutlichsten formuliert die Kritik an schriftlicher Überlieferung durchweg der Druide Miraculix.  „Viele Leute neigen dazu, zu glauben, was geschrieben steht. Ein seltsames Phänomen!“ ruft er zum Beispiel aus. Unübersehbar verbirgt sich dahinter eine Referenz der Autoren (oder der deutschen Übersetzer? Ich kenne leider das Original nicht…) auf die biblische Formulierung „Denn es steht geschrieben, …“, die wir im Neuen Testament vor allem bei den Evangelisten (als Jesusworte) und bei Paulus finden.

Die Gallier müssen das Buchkapitel schließlich zu einem Druiden bringen, der dafür verantwortlich ist, die „Mund-zu-Ohr“-Tradition zu bewahren. Denn, wie gesagt, Schrift – das ist so gar nichts für die Gallier. (Miraculix, S.18: „[Er] wird sich den Inhalt der Papyrusrolle einprägen, damit er gemäß unserer Tradition von Mund zu Mund überliefert wird.“) Auch Asterix drückt dieses Misstrauen aus – und wirft es Cäsar höchstpersönlich an den Kopf (S.46): „Nach deinen Schriften kräht kein Hahn. Wir vertrauen nur dem gesprochenen Wort!“

Eine (unverfügbare) Ebene tiefer

Dieser Aspekt, im Prinzip der Hauptaspekt dieser Geschichte, ist ganz interessant. Schließlich vereinen wir Christen ja irgendwie beides: Viele reden vom „Wort Gottes“, das aber eigentlich eine „Heiligen Schrift“ ist. Auch das reformatorische „Sola Scriptura“ ist ganz „ungallisch“!

Doch schaut man in die Entstehungsgeschichte der Bibel, könnte man das etwas relativieren. Denn die Bibel ist ja nicht als Buch vom Himmel gefallen. Gerade mit Blick auf das Alte Testament, über dessen Entstehung- und Überlieferungsgeschichte es Dutzende Theorien gibt, lässt sich sagen: Da wurde ohne Ende mündlich überliefert! Die wenigsten der Geschichten, die wir dort lesen, wurden am Schreibtisch entworfen oder kamen den Schreibern als Geistesblitz in den Sinn. Vielmehr stammen sie aus unterschiedlichen Traditionen, Erzählkreisen, wurden vielleicht über Generationen weitergegeben. Und dabei, ja: verändert. Geprägt. Erweitert. Sie sind gewachsen mit denen, die sie weitergegeben haben. Was für manche Ohren ketzerisch klingen mag, ist in Wahrheit aber eine Bereicherung. Denn nur dadurch werden biblische Erzählungen zu dem, als das wir sie heute verstehen können: Zu Geschichten Gottes mit seinen Menschen.

Nur: Wir können heute nicht mehr hinter den Text zurück, den wir haben. Bleibt uns also etwas anderes übrig, als – anders als die Gallier – alleine auf die Schrift zu vertrauen? Vielleicht das: Sich immer wieder bewusst machen, dass es noch (mindestens) eine Ebene mehr gibt. Denn der, der’s aufgeschrieben hat, muss es ja von irgendjemandem erzählt bekommen haben. Wort und Schrift sind also nicht so einfach zu trennen.

Liebe Pegida – lasst das Kreuz zuhause!

(Bild: flick.com/strassenstriche.net unter CC-BY-SA)
Absurd! (Bild: flick.com/strassenstriche.net unter CC-BY-SA)

Da war es wieder. Gestern, in Dresden: Das Kreuz. Zu Tausenden wehrt ihr euch gegen das Hirngespinst einer angeblichen „Islamisierung des Abendlandes“. Und um zu zeigen, wofür ihr einsteht, tragt ihr ein Kreuz mit euch. Beruft euch auf christliche Werte – und damit auf den, für den das Kreuz steht: Jesus. Wie absurd, wie unfassbar absurd, liebe patriotische Europäer! Ihr wollt das „christliche Abendland“ verteidigen?  Auf welche Werte beruft ihr euch denn?

Vielleicht kann der, dessen Zeichen ihr vor euch hertragt, ein wenig auf die Sprünge helfen. Von Nächstenliebe habt ihr sicher schon mal etwas gehört. Falls nicht: Mk 12,29 ff, Lk 10, 25-28, Mt 22, 34-40, uvm. Und nein, liebe Pegida-Anhänger – dein Nächster ist nicht deine Frau, dein Mann, deine Kinder oder deine Eltern. Das wäre viel zu einfach. Die gern zu haben, das kann doch jeder. Um dem gerecht zu werden, den ihr so mutig für euch im Kampf gegen die Islamisierung reklamiert, braucht es schon etwas mehr Anstrengung, als allmontaglich den Theaterplatz zu stürmen.

Beispiel? Ich habe da eine Geschichte für euch, ihr kennt sie vielleicht. Sie kommt von dem Jesus, der eurer Ansicht nach auf eurer Seite steht. Sie handelt von einem hilfsbedürftigen Mann in größter Not, dem schließlich geholfen wird. Und zwar nicht von jemandem aus der eigenen Religionsgemeinschaft, sondern vom barmherzigen Samariter, dem solche Grenzen egal waren, weil es um den Menschen geht. Ihr könnt sie im Lukasevangelium, Kapitel 10, nachlesen. Nein liebe Pegida – die christlichen Werte, auf die ihr euch beruft, machen es euch nicht so leicht. Denn ob ihr es gerne hört oder nicht: Eure Nächsten sind die Flüchtlinge, die gerade in Scharen hier ankommen. Ja, auch die Muslime. Sich um die zu kümmern – so verteidigt man christliche Werte. Nicht, indem man Weihnachtslieder trällert oder ein Kreuz durch die Gegend trägt.

Also, bitte. Marschiert von mir aus weiter, grölt eure dämlichen Parolen. Das halten wir schon aus. Aber bitte lasst das Kreuz zuhause! Jesus, das Flüchtlingskind, stünde heute nicht auf dem Dresdner Theaterplatz. Jesus stünde an den Bahnhöfen und würde die Menschen willkommen heißen. Alle. Wenn es sein müsste, würde er sein letztes Hemd mit ihnen teilen. Da gehört das Kreuz hin.

Baba yetu – unsere Zivilisation gib‘ uns heute

„Civilization“ gehört wohl zu den bekanntesten und erfolgreichsten PC-Spielen, die es gibt. Auch ich habe es seinerzeit ganz gerne mal gespielt und mich daran versucht, mein Volk zur Weltherrschaft zu führen. Hat nicht immer geklappt. Aber egal, darum geht es nicht.

Es geht vielmehr darum: Die vierte Version des Spiels, Civilization IV, hat einen sehr interessanten Titelsong – danke an dieser Stelle an das Blog „Dreifachglauben“, durch das ich darauf aufmerksam geworden bin. Ja – das Lied ist, wie das Spiel, bereits einige Jahre alt. Dennoch möchte ich auch an dieser Stelle ein paar Worte dazu verlieren. Zunächst: Hört es euch an, es lohnt sich!

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Beachtenswert ist vor allem der Text und die Text-Bild Kombination. Das Lied heißt „Baba yetu“ – Swahili für „Vater unser“. Der Songtext basiert auf dem allseits bekannten Vaterunser – jedoch nicht komplett. So fehlt etwa die Doxologie „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ vollständig, stattdessen endet das Lied mit den Worten „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ (Wer sich selbst ein Bild machen möchte: Hier eine Variante des Vaterunsers auf Swahili, hier der Text des Liedes auf Swahili inkl. Deutscher Übersetzung.)

Ich habe mir mal die Mühe gemacht, mir das Video genauer anzuschauen – vor allem mit Blick darauf, welcher Text bei welchen Bildern unterlegt ist. Der Kurzabriss der Menschheitsgeschichte beginnt, als käme Gott höchstpersönlich mit einer Kamera in der Hand auf die Erde, um zu schauen, was seine Menschlein denn dort gerade so treiben. Dort wird er fündig: Sie leisten Großes! Die Pyramiden werden gebaut, das „Vater unser“ setzt ein. Während wir im Zeitraffer sehen, wie Pyramiden, Tempel und die Chinesische Mauer entstehen oder Kaiser gekrönt werden, ertönt:

Vater unser, der du bist im Himmel. Amen!
Vater unser, geheiligt werde dein Name.

Unser tägliches Brot gib uns heute,
Vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen!

Bis zu Minute 1:02 dauert der Schnelldurchlauf der großen Bauwerke und Errungenschaften. Das letzte Wort läutet eine Wende ein: Das „Erlöse uns von dem Bösen“ findet seine Entsprechung in den Bildern, denn plötzlich sehen wir die nicht mehr so glanzvollen Epochen von Krieg und Zerstörung. Doch während wir diese Szenen sehen, beginnt das „Vaterunser“ wieder von vorne: „Vater unser, der du bist im Himmel. Amen! Vater unser, geheiligt werde dein Name.“ Der Ruf nach Gott – er ist in diesem Musikvideo allgegenwärtig, in guten und in schlechten Zeiten.

Dein Reich komme – und  es kommt: Amerika

Dann, plötzlich: Aus der tosenden See heraus sehen wir die Schiffe von Christoph Kolumbus und seiner Flotte. Der Text endet, ein Instrumentalteil setzt ein. Die Entdeckung Amerikas, Seefahrer, die mit der Flagge von Kastilien-Leon das amerikanische Festland betreten und den Ureinwohnern begegnen. Kriegerisch wird es dann erst zu der Zeit wieder, als Amerika um seine Unabhängigkeit kämpft (1:44 min), hier nun unterlegt mit dem Text:

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden. Amen.

Eine ganz interessante Implikation, diese Worte zu hören (auch wenn man sie im Lied nicht versteht), während die erste Flagge der USA gehisst wird. Dann folgt wieder ein Instrumentalteil, der endet, als die Freiheitsstatue eröffnet wird. Nun gibt es Parallelen zum Anfang: Der Liedtext beginnt von vorne, und wieder sehen wir die großen Errungenschaften der Menschheit, während „Vater unser, der du bist im Himmel. Amen! Vater unser, geheiligt werde dein Name.“ gesungen wird. Nur, dass die Bauwerke diesmal (teilweise) einige Jahrtausende jünger sind.

Astronaut grüßt Höhlenmensch

Besonders spannend wird es ab Minute 2:47. Denn hier richtet sich der Blick wieder weg von der Erde, ins All – und damit auch in die Zukunft. In eine Epoche, die gerade erst langsam angebrochen ist. Mit dem Blick ins All beginnt wieder der zweite Abschnitt des Gebets: „Unser tägliches Brot ….“. Auch hier endet der Gesang mit „Erlöse uns von dem Bösen“ – anders als zu Beginn, als es als ein Auftakt in die kriegerischen Zeiten visualisiert wird, geht es diesmal fast unter.

Wozu auch laut werden? Das Böse scheint nun, in der Zukunft, verschwunden zu sein. Wir sehen eine utopische Menschheit, eine Raumstation, einen friedliche dahinblickenden Raumfahrer. Von Krieg, Mord und Totschlag ist nichts mehr zu spüren – hat Gott die Gebete erhört? Es wirkt fast so, in dieser zerbrechlichen, lebensfeindlichen Umgebung fernab vom der Erde. Was im übrigen aus ihr geworden ist, erfahren wir nicht.

Der Raumfahrer hebt friedlich schwebend eine Hand zum Gruß. Die Sängerinnen singen aus dem ersten Teil des Gebets: „Baba yetu yetu uliye. M jina lako e litukuzwe.“ Vater unser, geheiligt werde dein Name. Mit dem Gruß des Astronauten löst sich das utopische Bild auf, wird in eine Höhlenmalerei überführt – ein Bogen wird geschlagen zum Ursprung der Menschheit, das Ende mit dem Anfang verbunden. Ein Mensch tritt aus einer Höhle, geht zu der Gruppe am Feuer und gestikuliert zum Aufbruch. Die Menschen erheben sich langsam, machen sich auf. Dazu wieder der Gesang: „Baba yetu yetu uliye. M jina lako e litukuzwe.“ Vater unser, geheiligt werde dein Name.

Ende und Aufbruch

Ich finde es eindrucksvoll zu sehen, wie „Baba yetu“ die Menschheitsgeschichte künstlerisch anhand eines der bekanntesten christlichen Texte aufarbeitet. Man könnte sich nun an – zahlreiche – Interpretationen wagen. Der Ruf zu Gott, das „Vater unser“, das sowohl die glorreichen Epochen der Menschheit begleitet, wie auch den Missbrauch dort erfahren hat, wo Menschen sich in Mord- und Totschlag übertreffen. Auch der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, die Staatsgründung, unterlegt mit den Worten „Dein Reich komme, dein Wille geschehe“ lässt unschwer erkennen, dass Komponist Christopher Tin ein US-Amerikaner ist.

Und schließlich  der Blick in die Zukunft, die hier als eine friedliche, erfolgreiche dargestellt wird. Und auch hier wieder dabei: der Ruf nach Gott. Er durchzieht das ganze Video, und ist auch im neuen Zyklus mit dabei: Am Ende, wenn die Menschen aus ihrer Höhle aufbrechen, um sich auf den Weg zu machen. Gott ist in diesem System nicht wegzudenken – auch wenn das demjenigen, der das Video anschaut und kein Swahili versteht, nicht unmittelbar erkenntlich ist. Interessant, dass der Komponist ein solch religiös aufgeladenen Text gewählt hat, um diesen Durchlauf der Menschheitsgeschichte zu vertonen. Fast, als wollte er sagen: Gott und Menschen – das ist nicht zu trennen.

Was auf die Ohren!

3223086466_07409c8084_zJaja, ich weiß: Derzeit ist die Beitragsdichte auf Theopop nicht gerade berauschend. Das wird sich auch wieder ändern! Damit ihr aber seht, dass hier noch was passiert, spreche ich an dieser Stelle kurz eine Empfehlung aus. Und zwar für all diejenigen, die – wie ich – gerne Podcasts hören. Aus theologischer/christlicher Sicht gibt es da bisher nur wenig Brauchbares. Oder aber ich habe es noch nicht gefunden. Im deutschsprachigen Raum war mir bislang nur der „Sag mal“-Podcast von theologiestudierende.de bekannt.

Vor einigen Tagen bin ich nun auf den „Hossa Talk“ gestoßen, ein erfrischend offener, lockerer Podcast, der sich viel mit Themen beschäftigt, die Christen so umtreiben. Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge. Und, was soll ich sagen: Auch wenn ich nicht alles uneingeschränkt gut finde (das muss man ja auch beileibe nicht): Insgesamt schaffen es „Jay und Gofi“, die beiden Podcast-Macher, eine kurzweilige, interessante und immer zum Nachdenken anregende Sendung zu produzieren. Von mir gibt’s also eine absolute Hörempfehlung. Sehr spannend fand ich zum Beispiel die letzten drei Folgen, in denen es um Homosexualität (#18 und #19) und um „evangelikal“ vs. „liberal“ vs. „charismatisch“ (#20) ging.

Hier findet ihr die Seite von Hossa Talk, dort könnt ihr den Podcast auch abonnieren.

Vielleicht kennt ihr noch mehr gute, theologische Podcasts und könnt mich – z.B. in den Kommentaren – aufklären?

„Crusader“, das Anti-Islamismus-Gewehr

Achtung, aufgepasst – die Welt ist bald wieder in Ordnung. Es gibt jetzt nämlich ein christliches Gewehr. Ja, richtig gelesen – das Modell „Crusader“ der US-Waffenschmiede „Spike’s Tactical“ wurde extra dazu entworfen, nicht in muslimische Hände zu fallen. Die  Idee dazu kam einem Angestellten von „Spike’s Tactical“, als er gerade die Nachrichten sah und erschüttert darüber war, dass die IS-Terroristen unschuldige Menschen töteten. Noch betroffener machte ihn offenbar, dass sie dies oft mit amerikanischen Waffen täten, die zuvor im Besitz der irakischen Streitkräfte waren. Sein Fazit: „Ich will ein Gewehr, das kein muslimischer Terrorist in die Hand nimmt, um unschuldige Menschen zu töten.“

So wurde das „Crusader“ entworfen, das seit dem 2. September für knapp 1.400 Dollar im Handel verfügbar ist. Das besondere daran: Auf dem Gewehr prangt ein Kreuzritter-Wappen und ein Bibelvers, nämlich Psalm 144, Vers 1. „Gelobt sei der Herr, mein Fels, der meine Hände kämpfen lehrt und meine Fäuste, Krieg zu führen.“ Sicherheitseinstellungen gibt es bei dem Gewehr drei: „Peace“, „War“ und „God Wills It“ („Gott will es“) – letzteres war der „Schlachtruf“ des ersten Kreuzzuges. Vielleicht sollte man den Herren von „Spike’s Tactical“ mal ein Geschichtsbuch zukommen lassen, denn die Kreuzzüge gehören nicht unbedingt zu den Epochen, auf die wir Christen besonders stolz sein sollten.

Hier seht ihr das innovative Ballerteil in Aktion:

https://www.youtube.com/watch?v=JqjvgTIoOuQ

Warum braucht die Welt ein solches Gewehr? Für die Entwickler ist klar: Der islamistische Terror bedroht nicht nur die arabische Welt, sondern auch Europa und die USA. Darum sei es längst überfällig, nun endlich ein Gewehr anzubieten, das ein muslimischer Terrorist nicht in die Hand nehmen würde.

Die Wahrheit über die Bedrohung in den USA verdreht die Herstellerfirma dabei etwas: Im „Orlando Sentinel“ weist der Vorsitzende des Rates für amerikanisch-islamische Beziehungen, Hasan Shibly, darauf hin, dass bei den 205 Mehrfach-Morden in den USA im Jahr 2015 nur bei einem ein Muslim beteiligt gewesen sei. „Wurde das Gewehr für christliche Terroristen entworfen?“ fragte er sarkastisch zurück. Und weiter: „Wir müssen über Waffengewalt reden. Bislang schweigen die Waffenbauer dazu. Es ist an der Zeit, dass sie aufhören, Profit daraus zu schlagen.“ Recht hat er: die Lösung liegt doch so nahe. Wer ein Gewehr bauen will, das (islamistische, christlich-fanatische oder wie auch immer verblendete) Terroristen nicht in die Hand nehmen, der sollte es einfach lassen.

Als diese Meldung durch meinen RSS-Feed rauschte, habe ich zuerst gehofft, es handle sich um Satire. Es bestätigt sich wieder einmal: Mitunter toppt die Realität die Satire.

App-Test: Religion Simulator

Wieder einmal habe ich keine Kosten und Mühen gescheut, eine kuriose App für euch unter die Lupe zu nehmen und zu testen. Ja, ich habe 2,99 Euro ausgegeben, nur um euch am Ende zu sagen, dass ihr das nicht tun braucht. Kauft euch lieber ein Eis. Darf ich vorstellen: Der „Religion Simulator“, ein Spiel für Android-Smartphones und iPhones. Gespielt habe ich die Android-Version. Aber nicht lange. Deswegen auch nur ein Kurz-Test.

Worum geht’s?

Screenshot_2015-07-15-16-47-01Um Gott. Genauer: Ihr seid Gott. Und ihr habt eine Religion, die – Achtung, Kreativitätswarnung – „Your Religion“ heißt. (Könnte man selbst den Namen raussuchen – was hätte ich für tolle Ideen!) Und damit es dann auch nicht zu kompliziert wird, heißen die Religionen eurer Computer-Gegner „Religion 2“ und „Religion 3“. Auf einer Weltkugel, deren Layout eigentlich nur ein Fliesenleger auf der Toilette entworfen haben kann, besteht nun die Aufgabe darin, möglichst viele Fliesen für „Your Religion“ zu gewinnen.

Das funktioniert, indem man Gebäude baut, entweder zur Stärkung des Glaubens oder zur Expansion – mehr als diese beiden Möglichkeiten gibt es eigentlich nicht. Ihr könnt den Gegner aber auch mit Waffen zurückdrängen, zum Beispiel mit Bomben, die die Gebäude der anderen Religion zerstören. Bestimmte Faktoren eurer Religion (Glück, Glaubensstärke, Öffentlichkeit, Wissen, …) können durch sogenannte „God Coins“ weiterentwickelt werden. Die poppen einfach auf irgendeiner Fliese auf der Welt auf und müssen dann eingesammelt werden. Gewonnen hat man, wenn man am Ende die ganze Welt bekehrt hat.

Macht’s Spaß?

Nein. Irgendwie nicht. Die Möglichkeiten sind recht schnell ausgereizt, es gibt nur wenige Gebäude, die gebaut werden können – von Allmacht keine Spur. Das ganze läuft ziemlich öde ab, da nur wenig animiert wird und diese fürchterliche Kachel-Optik zum Abgewöhnen ist. Ich jedenfalls hab‘ es nicht lange ausgehalten.

Die Idee, den Spieler vor dem Bildschirm einen Gott spielen zu lassen, ist nicht neu – nur diesmal besonders schlecht umgesetzt. An sich können solche Spiele durchaus amüsant sein. Zum Beispiel das schon ältere „Black & White“ ist durchaus spielenswert, und auch „Dungeon Keeper“, in dem der Spieler den Part des Höllenfürsten übernimmt, habe ich seinerzeit ganz gern mal gespielt. Sicherlich gibt es auch Beispiele aus neuerer Zeit, die ich aber mangels Spiele-Erfahrung in den vergangenen Jahren nicht kenne.

„Religion Simulator“ jedenfalls kann getrost vergessen werden. Schade, denn die Spielidee an sich gibt doch einiges her – und bietet sich gerade dazu an, für Mobilgeräte vernünftig adaptiert zu werden. Beim „Religion Simulator“ jedoch ist das Fazit schnell formuliert: Wenn Gott sein wirklich so langweilig ist, bin ich froh, dass ein anderer den Job übernommen hat.

Der Vollständigkeit halber: Den „Religion Simulator“ gibt’s hier im Playstore (und hier via iTunes) für 2,99 Euro.

So fröhlich singen Christen über die Hölle

Ich bin vor einigen Tagen über diesen jahrzehntealten, fröhlichen Song hier gestolpert (via Christian Nightmares). Ein Gute-Laune-Schunkel-Song. „Volume up“ und los geht’s:

Wenn da nur nicht … der Text wäre. Ich zitiere nur mal den Beginn und ein paar Zeilen aus der Mitte (die vollständigen Lyrics gibt es hier, der Song ist ein Remake des Originals von den „Imperials“, das findet ihr hier):

Well, Old Buddha was a man and I’m sure that he meant well
But I pray for his disciples lest they wind up in hell
And I’m sure that old Mohammed thought he knew the way
But it won’t be Hare Krishna we stand before on The Judgment Day.

(…)

Well, I don’t hate anybody so please don’t take me wrong
But there really is a message to this simple song
You see there’s only one way, Jesus, if eternal life is your goal;
and a life of meditation won’t save your soul.

(…)

Das muss man erst mal schaffen – unter die Botschaft, dass alle außer den (wiedergeborenen) Christen in der Hölle landen, eine solche fröhlich-schunkelnde Melodie legen. Denn im Prinzip dreht sich das ganze Lied darum, zu sagen: Ihr könnt es zwar gut meinen, am Ende guckt Gott aber nur drauf, ob ihr (richtig) an Jesus geglaubt habt. Und wenn nicht, ab in die ewige Verdammnis mit euch. Und die Happy-Clappy-Melodie suggeriert dazu noch: Wir freuen uns drüber!

Das Lied hat mich ins Nachdenken gebracht. Denn es ist zwar schon einige Jahrzehnte alt, trotzdem gibt es heute noch Lieder, deren Inhalte mehr als fragwürdig sind – und die dennoch fröhlich in christlichen Kreisen gesungen werden. Spontan eingefallen ist mir das Lied „Im Himmel ist Einfuhrverbot für die Sünde“, aus dem Liederbuch „Feiert Jesus 3“. Wohlgemerkt gerade einmal 10 Jahre alt.

Refrain: Im Himmel ist Einfuhrverbot für die Sünde. Dafür ist dort kein Platz. Willkommen sind Sünder, doch ohne Gepäck. Wer nicht loslässt, darf nicht hinein.

(…)

Strophe 2: Doch wer lieber seine Schuld behält, sich abmüht und sich damit quält, verpasst sein Leben und verspielt sein Glück, denn einmal gibt es kein Zurück.

Auch hier wird prinzipiell gesungen: Wer nicht an Jesus glaubt (denn nur so wird man seine Schuld los, sagt Strophe 1 des Liedes), landet in der Hölle. Aber, hey, es gibt Grund zur Freude: Wir glauben ja und sind deshalb fein raus. Großartig!

Man könnte nun argumentieren, dass solche Lieder in letzter Konsequenz einfach nur auf den Punkt bringen, was die Bibel lehrt. Und das wird man doch wohl noch sagen dürfen: Nur Jesus rettet, man muss ihm sein Leben hingeben, um ewiges Leben zu erlangen. Doch wer das reflektiert und einmal darüber nachdenkt, was es bedeutet, kommt schnell ins Nachdenken. Einen ausführlichen Beitrag dazu hat Rolf Krüger vor einiger Zeit auf seinem Blog verfasst, deshalb lasse ich das jetzt an dieser Stelle und verweise darauf mit Lese-Empfehlung: „Ist der ’schmale Weg‘ zu schmal„?

Ich habe mich gefragt – und gebe diese Frage an euch weiter: Sind solche Lieder beispielhaft für einen unreflektierten Glauben? Man singt von dem grausamsten Lehrsatz, den man aus der Bibel lesen kann, der ewigen Verdammnis aller Nicht-Christen. Aber man tut es fröhlich und gut gelaunt. Ich finde: Da sind diverse Metal-Bands mit satanistischem Einschlag viel (viel, viel) ehrlicher. Sie besingen zwar das Böse, aber verbreiten auch eine entsprechende Stimmung (zum Beispiel hier).

Das Gottesgeräusch erobert Hollywood

Zwei Jahre vor dem Lutherjubiläum kehrt Joseph Fiennes (für viele immer noch das aktuelle Luthergesicht) wieder in Sachen Evangelium auf die große Leinwand zurück. Im Trailer zum neuen Kino-Event fixiert Fiennes’ Zweiflermiene die Kameralinse: „Ich diente dem römischen Imperium und führte Krieg gegen die, die nicht an unsere Götter glaubten, aber nichts konnte mich auf die Wahrheit vorbereiten, die nun auferstanden ist“. So beginnt der 1:39 min lange Trailer für den Film Risen. Darin jagt Joseph Fiennes als Militärtribun Clavius während der ersten 40 Tage nach der Kreuzigung nach dem Leichnam Jesu durch Jerusalem. Er soll die Gerüchte von einem auferstandenen Messias widerlegen.

In der finalen Szene des schnell geschnittenen Trailers zieht er sein Schwert aus der Scheide und schiebt mit ausgestreckter Waffe eine der breiten Türen auf, die man aus Bibelfilmen kennt. Die Kameraeinstellung wechselt. Wir sehen aus dem Raum hinter der Tür Clavius mit dem Schwert der Hand hineinspähen. Das Bild wird schwarz. BRAAAAAAAAAAAAM.  Statt der Person, der Hände, des Gesichts, der Haare des Gesuchten, schlägt dem Tribun dieses seltsam wohlbekannte, lang gezogen dröhnende Geräusch entgegen, wobei langsam das Wort RISEN auf der Bildfläche erscheint. Fiennes rutscht mit dem Rücken an die Felswand des Raums gelehnt auf den Boden. „Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll“ – entwaffnet von diesem ohrenbetäubenden Geräusch der Abwesenheit. Überwältigt, von den Füßen gefegt. Und ähnlich geht es mich und die anderen an, die den Trailer im Kino sehen und deren Stühle anfangen zu vibrieren. Das Geräusch, das hier die Abwesenheit des Heilands verklanglicht, ist ein nicht nur mir sehr bekanntes Geräusch, nicht aus der Welt der Kirchengeräusche, sondern aus der Populärkultur.

– Moment, nicht ein Geräusch der Kirche? Oder vielleicht nicht doch gerade das Geräusch der Kirche. Das Donnern des Wettergottes, aus dem JHWH wird. Die unsichtbare, mächtige Stimme Gottes, die aus der Wolkensäule das Wüstenvolk immer wieder zusammenruft. Die Macht des Geräuschs der Widderhörner, die die Mauern von Jericho einbrechen lassen. Das körperlos-wortlose Rufen aus der Wüste, mit dem die Evangelien einsetzen. Und das Geräusch vom Himmel, wie ein heftiger Sturm, mit dem der heilige Geist zu den Jüngern Jesu kommt und das gerade an Pfingsten wieder vorbeigerauscht ist (Apg 2,2). Schließlich das Geräusch des kommenden neuen Königreichs Gottes in der Offenbarung mit Posaunen, Weherufen und das Geräusch vom Himmel der endzeitlichen Gemeinde, das sich nicht einordnen lässt zwischen Donner, Stimme, Harfenklang und Gesang (Apk 14,2). Das Geräusch der Kirche, das ganz anders ist, von ganz woanders her ruft und Menschen zusammen bringt? Das Hörende angeht, ohne das sie sehen könnten, woher es kommt.

Externes „stand-in“ für Gottes Präsenz

Oder doch nicht Geräusch der Kirche? Denn Geräusche, die das Unvorstellbare sinnlich wahrnehmbar machen, sind für die Kirche schwierig geworden. Anders als das Wort oder die vielen Worte, ist das BRAAAM-Geräusch anrüchig und gefährlich.  Es geht ja erstmal den Körper an. In der Klangtradition des ‚christlichen Westens’ hat die Kirche körperliche Klänge nach und nach gegenüber linguistischen Zeichen abgewertet, so erklärt das auch der Musiktheoretiker und Philosoph Dolar Mladen. Er spricht dabei von einer Transsubstantiation der materiellen Klangträger, der Luftbewegungen und Vibrationen zum abstrakten Phonem, zu Worten und Sprache, die vom Körperlichen abgelöst werden (Mladen Dolar 2006:17). Die so „soundlosen“ Worte werden auf die Logik der Sprache reduziert, ohne ihre Prosodie, Intonation, Akzent, Melodie, Redundanzen, Variationen etc. Sie allein tragen das Heil und bringen göttliche Gegenwart zu den Menschen.

Dieses theologische, „phonozentrische“ Vorurteil gegen die Körperlichkeit von Klang geht zurück auf das platonische Urteil über die Gefahr der Musik und des Rhythmus, die dem Wort gehorchen müssen, damit sich Klang nicht vom Wort loslöst und zu einem gesetzlosen wilden Ding wird (Platon Politeia III, 398d, 400d; Cf. Dolar 1996:18). Auch Augustinus beschreibt, an sich selbst, die Angst vor der „Sünde des Ohrs“ in Confessiones X, 33. Sie beschäftigt ihn immer dann, wenn er sich mehr von den Klängen und ihrer Melodie bewegen lässt als von den heiligen Worten selbst. Augustinus schwankt zwischen der Gefahr und dem Begehren der Ohren, die vom Klang und nicht von den Worten bewegt werden, eine Sünde, bei der er wünschte, er hätte lieber gar nichts gehört.

Dolar schließt seine kurze Geschichte der Metaphysik der Klänge mit den exegetischen Betrachtungen von Theodor Reik zum Shofar. Das Shofar-Horn trägt die nicht-sprachliche und bedrohliche Stimme Gottes in alle Situationen des Bundesschlusses hinein und ermöglichte Gottes Volk die Identifizierung mit gerade dieser Nicht-Stimme, die einen Tierschrei nachahmt. Im Prinzip könnte man das den ersten Synthesizer-Effekt nennen, der die Stimme Gottes durch unterschiedliche Klangmedien verzerrt und verändert. Gerade dadurch aber, durch ihre Veränderung, wird sie wirksam Gottes Stimme – indem sie zugleich ein bekanntes Klangmuster aufnimmt und verzerrt. Das Geräusch, die imitierte Tier-Stimme des Shofar, ist die Voraussetzung der Gabe des Wortes des Gesetzes und steht an der Stelle der unmittelbaren Präsenz Gottes. Gott ist in seiner eigenen Stimme mehrdeutig anwesend und abwesend – ein Erfahren der Stimme die Dolar in Anlehnung an Lacan „extimacy“ nennt (Dolar 1996:26). Die Stimme ist ein externes „stand-in“ für Gottes Präsenz.

Spüren, nicht hören

Vom Mittelalter über die Reformation, die puritanische Ausmerzung der Musik, und die Französische Revolution (seit der sowohl Kirche als auch Revolution sich gegenseitig die Gefahr der sinn- und sprachfreien Klänge zuschoben) bis zur Gegenwart steht nackter körperlicher, zumal technischer Klang, ungebunden an Worte in Generalverdacht, Feind der Vernunft zu sein und fällt hinter die wortgesteuerten Klänge zurück.

Woher aber kommt diese Vertrautheit mit diesem zugleich verlockenden und unheimlichen Geräusch des abwesenden Messias im Risen-Trailer? Woher kehrt es zu mir zurück? Ich glaube, es ist ein neuer ausgeklügelter Kunstgriff, eine Methode des Populärkulturellen, um Gott in einer anderen Form sinnlich fassbar zu machen. Als ganz anders und konzeptionell nicht fassbar, sondern diffus, groß, heftig, auch gruselig. Gottesstimme als Sound-Device, Sonus Dei in Machina. Der New Yorker beschreibt dieses Trailer-Klangphänomen als „sehr tiefes und lautes Synthesizer-Brummen – ominös und hirnzersetzend.“ Es handelt sich um einen etablierten Klang aus einer Reihe von Trailern, im Moment eigentlich aus fast allen. Alle Trailer haben dieses Gottesgeräusch und setzen diesen Kunstgriff unterschiedlich ein.  (hier im Zusammenschnitt)

Und anscheinend begann alles mit Christopher Nolan’s Inception (und dann natürlich in der Dark-Knight-Trilogie) und Interstellar. Um die Geburt des Gottes-Dröhn-Geräusch ranken sich Sagen. Seine Erschaffung wurde zuerst auf Zack Hemsey zurückgeführt, der die Trailer-Musik zu Inception komponiert hat. Aber eigentlich soll es Hans Zimmer komponiert haben, der die Geräuschelandschaft unserer Filme seit Dekaden bestimmt. Zimmer selbst sagt dazu:

Der Sound entstand, ohne Witz, so, dass ich ein Klavier in die Mitte einer Kirche gestellt hab und ein Buch auf das Pedal gelegt hab, sodass diese Blechbläser in den Resonanzbereich des Klaviers spielen mussten. Und dann habe ich ein wenig elektronischen Nonsens hinzugefügt. (Quelle)

Dieses Geräusch-Device bezeichnen viele als Sub-Sonic-Sound, der nicht gehört, sondern, weil er so tief ist, eher gespürt wird. (Hier gibt es dazu einen Selbstversuch.) Andere wie der New Yorker nennen das Geräusch „drone“: „mittlerweile fühlt es sich an, als wäre dieses verfluchte Dröhnen (drone) schon immer Teil unseres Kino-Lebens gewesen. Aber die Herrschaft dieses akustischen Terrors hält noch nicht lange an, und ist auf eine Reihe von Trailern für Christopher Nolans Inception von 2010 zurückzuführen.“ . Dazu gibt es eine ganze Musikbewegung, drone-music, die das Dröhnen auch als religiöses Mittel, als heilige Musik oder z.B. zur Meditation einsetzt. (Ein befreundeter Forscher hat das ausführlicher beschrieben.)

Mindf**k, Klang als Waffe, Überforderung

Vielleicht kann man an der überpräsenten Verwendung dieses Kunstgriffs in Trailern, die uns jede Woche in neuer Wandlung angehen und immer neue, vielleicht auch religionsanaloge Erfahrungsspektakel versprechen, hören, wie Transzendenz heute –Deus Sonus ex Machina – in die Filmwelt kommt. Ohne die Quelle des Klangs erkennen zu können, direkt in die Eingeweide, aufrüttelnd und verunsichernd: Was wird von Gott gezeigt in diesem Klang, der fasziniert und erzittern lässt?

Der Trailer für Inception (Vgl. den Honest Trailer) wird durch diese ohrenbetäubenden verzerrten Bläser-Geräusche strukturiert. Es kommt zum Titel (Inception kann Anfang, Geburt, Einpflanzung bedeuten) und begleitet die Worte „menschlicher Geist“. Wie ungeduldiges Atmen eines Riesen wird es immer schneller. Zum Schluss sieht man die Stadt, aus dem Unterbewussten gebaut, die den Filmtitel neu ausbildet zusammen mit einem vierfachen Synthesizer-Horn-Stoß der Neo-Shofarim. In Inception vergegenwärtigt der Klang die neue Stadt, das Unterbewusste, die Bedrohung des Mindf**k im eigenen Hirn.

Im Trailer des neuen MadMax-Reboots ist es eine Feuersäule, ein Sandsturm in der Wüste und die rollende Wagenburg der Postapokalypse (auf einem lautsprecherübersäten LKW spielt ein Maskierter auf einer Orgel stehend eine Feuer-E-Gitarre – Klang als Waffe), die die Protagonist_innen verfolgt (eine mobile Wagenburg ist u-unser Gott…). In den Transformers-Filmen zeitigt der Klang das Auftreten der riesigen Halbgott-Maschinen-Wesen, die für die Menschen kämpfen und unterstützt die Erfahrung totaler visueller Überforderung durch akustische Maschinengötter, Dei Machinae. Godzilla ist im Trailer des 2014-Reboots bis zum Schluss nicht zu sehen, aber Gottesgeräusche begleiten seine Spuren der Zerstörung, reihen Einstellung an Einstellung. Die Geräusche etablieren die Unkontrollbarkeit der Natur und das Riesenmonster, das sich im Endeffekt als Deus in Monstrum entpuppt. Und natürlich trägt der Trailer von God-Zilla sein Klang-Programm schon im Namen.

Zurück zum leeren Grab

Die Trailer zum 2014 Superman-Reboot Man of Steel und dem kommenden Superman vs. Batman: Dawn of Justice zeigen den Übermenschen zum heftigen Dröhnen (mit FALSE GOD auf der Brust von Superman). Superman als die die personifizierte und säkularisierte puritanische Arbeitsethik und der fleischgewordene Amerikanische Traum (Mills 2014:26), der jetzt mit der Charakterreinheit des Protagonisten kippt, wird herausgefordert durch die dunkle Ausgeburt des Unterbewusstseins Batman (Der risen Dark Knight, Wer könnte ihn menschlicher machen als Ben Affleck?) der Supermann in einem Maschinenanzug und mit Synthesizer-Stimme gegenübertritt. Im Trailer zu Ex Machina markieren die Gottesgeräusche den Übergang von der Herrschaft der Menschen zur Herrschaft Künstlicher Intelligenzen in den Kunstgriffen von Ava gegen ihren Schöpfer Nathan. Auch in Avengers: Age of Ultron macht das Dröhnen klar: Die AI übernimmt die Welt  – und die Hörkanäle – und bringt sie zu einem Ende.

Die Liste ließe sich weiterführen, aber mit dem Trailer zu Risen schließt sich der Kreis und das Geräusch kehrt zurück, das Hans Zimmer in einer Kirche aufgenommen hat, kehrt zurück zum leeren Grab. Keine Stimme, sondern ein Klang ohne Sprache, technisch, verfremdet, synthetisch. Gott wird Klang, nicht nur in menschlichen Stimmen, Worten oder im Singen, nicht nur in der Stimme der Pastorinnen und Pastoren.

Es bleibt spannend, wie die neuen Gottesgeräusche in Trailern, Filmen, Videospielen und der Musikindustrie sich weiter verändern werden und wie dieses populärkulturelle Phänomen die Kirchen, die vom Schweigen vor dem leeren Grab schnell zu Worten finden, und ihre Geräuschlandschaft angehen könnte. Schon setzt sich eine neue Modifikation des Geräuschs durch (siehe Video) , verändert zu einem Klang, der verfremdet, indem er verlangsamt, Zeit und Raum und Hirn dehnt und anhält und Hörenden auf diese Weise akustisch den Boden unter den Füßen wegzieht.  Augustinus hätte dieses Geräusch bestimmt gemocht. Und sicherheitshalber schnell weggehört.

Weiterführende Literatur:

  • Mladen Dolar (1996). ‘The Object Voice’ in Salecl R. & Žižek S. (Hrsg.), Gaze and Voice as Love Objects. Duke University Press.
  • Mladen Dolar (2006). A Voice and Nothing More. MIT Press.
  • Anthony Mills (2014). American Theology, Superhero Comics and Cinema. Routledge.