Am 22. Oktober 2015 war es so weit: Der neue Asterix-Band „Der Papyrus des Cäsar“ ist erschienen. Natürlich, wie könnte es anders sein, muss der auch gelesen werden. Die Geschichte spielt zwar – wie üblich – im Jahre 50 v. Chr., die Themen sind aber brandaktuell. Es geht um Whistleblower, Propaganda seitens Herrschender und das Vertrauen in Medien. Genauer: Um das Vertrauen in Geschriebenes, denn damit ist es bei den Galliern nicht allzu weit her.
Kurz zur Geschichte: Cäsar hat ein Buch geschrieben („Der gallische Krieg“). Doch auf Anraten seines PR-Beraters lässt er das für ihn unrühmliche Kapitel über die Widerstände des kleinen gallischen Dorfs, das wir alle kennen, aus dem Buch streichen. Merkt ja keiner. Oder doch? Richtig: Doch. Ein „Whistleblower“ spielt das geheime Kapitel dem Kolporteur Polemix zu, der aus Rom fliehen muss und schließlich bei den Galliern landet. Dort ist man wenig amüsiert über den Versuch Cäsars, ihren Widerstand unter den Teppich zu kehren. So setzt man nun alles daran, den Inhalt des Buchkapitels zu bewahren. Das Problem dabei ist nur: Gallier glauben schriftlichen Überlieferungen nicht, sondern vertrauen ausschließlich auf „Mund-zu-Ohr“-Weitergabe.
Am Deutlichsten formuliert die Kritik an schriftlicher Überlieferung durchweg der Druide Miraculix. „Viele Leute neigen dazu, zu glauben, was geschrieben steht. Ein seltsames Phänomen!“ ruft er zum Beispiel aus. Unübersehbar verbirgt sich dahinter eine Referenz der Autoren (oder der deutschen Übersetzer? Ich kenne leider das Original nicht…) auf die biblische Formulierung „Denn es steht geschrieben, …“, die wir im Neuen Testament vor allem bei den Evangelisten (als Jesusworte) und bei Paulus finden.
Die Gallier müssen das Buchkapitel schließlich zu einem Druiden bringen, der dafür verantwortlich ist, die „Mund-zu-Ohr“-Tradition zu bewahren. Denn, wie gesagt, Schrift – das ist so gar nichts für die Gallier. (Miraculix, S.18: „[Er] wird sich den Inhalt der Papyrusrolle einprägen, damit er gemäß unserer Tradition von Mund zu Mund überliefert wird.“) Auch Asterix drückt dieses Misstrauen aus – und wirft es Cäsar höchstpersönlich an den Kopf (S.46): „Nach deinen Schriften kräht kein Hahn. Wir vertrauen nur dem gesprochenen Wort!“
Eine (unverfügbare) Ebene tiefer
Dieser Aspekt, im Prinzip der Hauptaspekt dieser Geschichte, ist ganz interessant. Schließlich vereinen wir Christen ja irgendwie beides: Viele reden vom „Wort Gottes“, das aber eigentlich eine „Heiligen Schrift“ ist. Auch das reformatorische „Sola Scriptura“ ist ganz „ungallisch“!
Doch schaut man in die Entstehungsgeschichte der Bibel, könnte man das etwas relativieren. Denn die Bibel ist ja nicht als Buch vom Himmel gefallen. Gerade mit Blick auf das Alte Testament, über dessen Entstehung- und Überlieferungsgeschichte es Dutzende Theorien gibt, lässt sich sagen: Da wurde ohne Ende mündlich überliefert! Die wenigsten der Geschichten, die wir dort lesen, wurden am Schreibtisch entworfen oder kamen den Schreibern als Geistesblitz in den Sinn. Vielmehr stammen sie aus unterschiedlichen Traditionen, Erzählkreisen, wurden vielleicht über Generationen weitergegeben. Und dabei, ja: verändert. Geprägt. Erweitert. Sie sind gewachsen mit denen, die sie weitergegeben haben. Was für manche Ohren ketzerisch klingen mag, ist in Wahrheit aber eine Bereicherung. Denn nur dadurch werden biblische Erzählungen zu dem, als das wir sie heute verstehen können: Zu Geschichten Gottes mit seinen Menschen.
Nur: Wir können heute nicht mehr hinter den Text zurück, den wir haben. Bleibt uns also etwas anderes übrig, als – anders als die Gallier – alleine auf die Schrift zu vertrauen? Vielleicht das: Sich immer wieder bewusst machen, dass es noch (mindestens) eine Ebene mehr gibt. Denn der, der’s aufgeschrieben hat, muss es ja von irgendjemandem erzählt bekommen haben. Wort und Schrift sind also nicht so einfach zu trennen.
Wobei die viva vox evangelii ja auch eher das gesprochene/gepredigte Wort ist und nicht der geschriebene Buchstabe. Die Bibel enthält des Wort Gottes, sie ist es aber nicht im Sinne einer Identität.
Ja, natürlich. Dennoch: Das Christentum ist eine schriftbasierte Religion (und in seiner Geschichte immer gewesen). Das widerspricht sich ja aber nicht.