Gestern hat mir Tobias von dreifachglauben den Link zu obigem Youtube-Video geschickt – eine großartige Parodie über die Spiritualität unserer Gesellschaft (gilt für Europa wie für die USA). Und für Theopop passt das ganze wie die Faust auf’s Auge. Schließlich war die Beobachtung, dass die Religiosität keineswegs verschwindet, sondern vielmehr aus ihrem institutionellen Gewand „auswandert“, ein Grund dafür, dass dieses Blog überhaupt ins Leben gerufen wurde.
Eigentlich spricht das Video für sich selbst. Ein paar Zitate möchte ich aber rausgreifen:
Richitg ist, was ich gut finde
„We are here today, because we reject the bullshit from one book, so that we can cherry-pick and choose the bullshit we like better from a whole bunch of different books.“ („Wir sind heute zusammengekommen, weil wir den Schwachsinn aus einem Buch ablehnen, damit wir uns aus einer ganzen Reihe anderer Bücher den Schwachsinn zusammensuchen können, der uns besser gefällt.“) (0.27 min)
Das trifft den Nagel auf den Kopf. Weil ich mich damit in der Vergangenheit bereits auseinandergesetzt habe, fällt mir da sofort der Engelglaube ein. Engel sind unter anderem deshalb so beliebt, weil sie dogmatisch unbelastet sind und mit den Bedeutungen aufgeladen werden können, die der Einzelne (gerade) für wichtig hält. Sie erheben keinen (allgemeinen) Autoritätsanspruch, stellen keine Forderungen, sind nur für einen ganz persönlich da.
Und es passt doch in unsere individualisierte Welt, dass alleine das wichtig ist, was ich gut finde („cherry-picking“). Ein Buch wie die Bibel, voller Widersprüche, voller schwieriger Stellen, das einer (mitunter sehr anstrengenden) Auslegung bedarf – dafür ist kein Platz. Warum auch, wenn ich mir meinen Glauben viel einfacher zusammensuchen kann?
Erfahrung ist das A und O
„I’d like to read a passage from the moleskine I write ideas in when I’m stoned.“ („Ich würde gerne einen Abschnitt aus meinem Moleskine-Notizbuch vorlesen, in das ich Ideen reinschreibe, wenn ich bekifft bin.“)(ab 1.37 min)
Das Zitat steht stellvertretend für die Passage, die dann im Video folgt: Der Kiffer Jacob erzählt von seiner Erfahrung auf einem Festival. Er musste austreten und pinkeln, ist dabei einem Hirsch begegnet, hatte intensiven Augenkontakt, der Hirsch pinkelte ebenfalls. Das sei eine der spirituellsten Erfahrungen gewesen, die er jemals hatte, sagt Jacob. Was also, so fragt Jacob, wenn Gott kein „Er“ oder keine „Sie“ ist, sondern ein Hirsch?
Großartige Szene. Sie verdeutlicht einen weiteren Aspekt: In der populären Religiosität spielt die Erfahrung eine ganz zentrale Rolle. Glaubenssysteme wie der Engelglaube fordern kein Vertrauen auf ein vorgegebenes Glaubenssystem oder bestimmte dogmatische Grundsätze. Vielmehr wird andersherum ein Schuh draus: Das eigene Glaubenssystem konstituiert sich ganz maßgeblich aufgrund der Erfahrungen, die ich mache und wie ich diese deute. Das fügt sich ganz gut in den ersten Punkt: den Deutungshorizont stecke ich mir einfach selbst ab, indem ich mir – woher auch immer – mögliche Erklärungen zusammensuche und daraus meine eigene schaffe. Eine solche „Flexi-Religion“ passt sich jederzeit an meine Lebenswirklichkeit an. So kann Gott problemlos zum Hirsch werden, der zeitgleich mit mir pinkelt.
Religion, Spiritualität – was denn nun?
„Spiritual, but not religious.“ („Spirituell, aber nicht religiös.“)
Noch ein kurzer Gedanke zum Titel des Videos. Auch in christlichen Kreisen ist es üblich, sich als „nicht religiös“ zu bezeichnen. Weil Religion für viele jenen institutionellen Touch hat, weil der Begriff angeblich für ein festes Regelwerk steht (letzteres geht zurück auf die etymologische Herleitung des Wortes). Spirituell? Ja, klar – schließlich impliziert dieser Begriff wiederum, dass ich für mich selbst eine (wie auch immer gestaltete) Beziehung zu „etwas Geistlichem“ habe. Damit können sich nicht nur Christen, sondern ein sehr viel breiteres Spektrum an Menschen identifizieren.
Nun gibt es freilich unzählige Definitionen des Begriffs „Religion“. Ansätze wie etwa die bekannten von Friedrich Schleiermacher (Religion = „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit von Gott“) oder Paul Tillich (Religion = „das, was uns unbedingt angeht“) sind sehr viel offener gestaltet – bei Tillichs Ansatz braucht es noch nicht einmal einen Gott, um religiös zu sein.
Was der Titel dieses Satire-Videos (natürlich in Kombination mit der Verballhornung im Video selbst) gekonnt auf den Punkt bringt: Viele Leute wissen überhaupt nicht, wovon sie reden. Begriffe werden benutzt, weil sie gut klingen. Und so kommt es zu einer Differenz zwischen der Eigen- und Außenwahrnehmung, derer man sich bei der Beobachtung solcher Phänomene wie dem Engelglauben – oder jeder beliebig anderen Form populärer „Spiritualität“ – bewusst sein sollte: Was für den einen ganz klar eine Form von Religion ist ist, ist für den anderen „spiritual, but not religious.“