Derzeit sorgt ein Berliner Künstler für Gesprächsstoff: Max Gruber, der „Zuchtmeister deutscher Popmusik“, wie ihn das Spex-Magazin betitelt, wartet im April mit seinem Debütalbum („Harieschaim“) auf. Die Single „Allan Align“ seiner Band Drangsal gibt es als Vorgeschmack bereits als Musikvideo zu sehen. Und, wie könnte es an dieser Stelle anders sein: Es strotzt vor religiöser Symbolik.
Eine verzweifelte Frau sitzt in ihrer Wohnung, ganz offenbar nach einem Rosenkrieg. Die Hände zum Gebet gefaltet, wippt sie unruhig und verzweifelt vor und zurück. Dann verlässt sie die Wohnung, macht sich auf den Weg in eine kleine Kirche. Dort trifft sie den Priester, der ihr schließlich eine Hostie in den Mund legt, sie beruhigt. Statt Abendmahlswein gibt es jedoch einen innigen Kuss, am Ende der Szene stehen die beiden eng umschlungen vor dem Kreuz, „Engtanz“, beschreibt Spex diese Szene. Gedreht wurde das Ganze im Norden Berlins, in der Dorfkirche von Hermsdorf.
Brot und Kuss
Wie ich in der dreifachglauben-Kolumne schonmal kurz dargelegt habe, hat mich das Video zunächst irritiert. Ich mag zugegebenermaßen die Musik; neben den erotischen Anspielungen hat mich aber vor allem das Selbstzüchtigen des Priesters in dem Video gestört (1:23min). Ein plattes Klischee.
Je mehr ich aber über das Video nachdenke, desto gelungener finde ich es. Die erotische Ebene mag zunächst als blasphemisch empfunden werden, ist aber bereits in der Bibel zu finden. Man nehme nur das Hohelied – ein vor Erotik nur so strotzendes Buch, in dem zwei Liebende sich vor Lust kaum halten können. In seiner Auslegungsgeschichte wurde es immer wieder allegorisch auf die Beziehung Gott-Israel bzw. Gott-Kirche bezogen.
Das Musikvideo von „Allan Align“ treibt das auf die Spitze: Der Priester als Repräsentant Gottes. Die verzweifelte Frau, die Schutz und Ruhe sucht und diesen in der engen Vereinigung mit ihm findet. Das Abendmahl wird nur halb „vollzogen“, der Wein ersetzt durch den innigen Kuss der beiden. Realpräsenz ganz konkret?
Und dazu die Textzeilen am Ende des Videos: „You got to get going now, life it will not wait“. Man könnte interpretieren: Das Zur-Ruhe-Kommen in Gott ist (lebens-)wichtig, aber es ist nicht alles. Die Textzeilen entlassen die nun beruhigte Seele wieder in die turbulente Welt, in den Alltag. Das Leben geht weiter.
All das sind lose Gedankenspiele; in dem Video steckt noch so viel mehr drin. Und freilich: Für viele ist es vielleicht nichts anderes als gewollte Provokation, nichts anderes als das übliche Bedienen typischer Klischees. Ich glaube das nicht – aber was haltet ihr davon?
Der Priester-Mann, der sich selbst an die Stelle Gottes phantasiert, das ist genau das Kern der patriarchalen Religion, und die lebt, wie dieses Beispiel zeigt, offenbar ungebrochen in der Popkultur weiter. Auf diese Weise wird aber Gott genau banalisiert und das Vertrauen in sie lächerlich gemacht. So eine Religion verdient es, auszusterben.