Zugegeben, ich finde auch, Pfarrerinnen und Pfarrer sind in einen Online-Aktionismus verfallen, im Bespielen von eiligst ausgehobenen YouTube-Kanälen und mittelprächtigen Instagram-Aktionen. Das bin ich auch. Ich glaube aber das ist okay und es ist möglich daraus zu lernen. Das ist übrigens kein binnenkirchliches Phänomen, das ist ein geistes- und kulturwissenschaftliches Schreien um Hilfe und Relevanz. Künstler*innen und Kulturschaffende müssen genauso ihre Systemrelevanz beweisen. Nur bei denen hängt die öffentliche Förderung an ihrer Relevanz, die Existenz, nicht nur das Selbstverständnis. Was mich aber wirklich ärgert, und nicht nur nachdenklich macht, ist, wenn dann einige besonders gewiefte Meta-Pfarrer*innen und regulär-polemisierende Kirchenkritiker*innen mit höherer Lesenden-Reichweite so hart und ungnädig mit Pfarrer*innen ins Gericht gehen.
Mich erbost daran zuerst, dass eine Würdigung der Kreativität und Schaffenskraft fehlt, die da freigesetzt wird. Wie beweglich sind doch Pfarrer*innen aller Altersstufen geworden! Natürlich ist das erst mal schlecht, natürlich ist das zu viel, natürlich kommt das aus Hilflosigkeit. Aber es ist zu einfach, es alleinig pastoraler Eitelkeit zu unterstellen.
Mich erbost zweitens, die überhebliche Annahme, dass Pfarrer*innen, die sich jetzt selbst filmen, damit zufrieden wären und nicht selbst in einer Zwickmühle sitzen, nicht selbst abwägen und reflektieren, wie bescheuert und anstrengend ihr Aktionismus ist. Nicht selbst ringen mit den Möglichkeiten, unbedingt auch andere Gesichter zu zeigen, als durch Kontaktverbote nur sich selbst präsentieren zu können. Als ob Kirchenmenschen nicht klar wäre, dass sie vor allem ihre eigene Bubble bespielen.
Mich erbost drittens, dass die Antwort auf die wirklich berechtigte Kritik einer neuen digitalen Pfarrpersonenzentrierung ist (ist das nicht auch eine Konsequenz der Influencer-Personen-Fokussierung, was macht das eigentlich mit dem Pfarr-Amt): Sagt den Leuten, sie sollen die Gottesdienste auf der höheren Ebene, von Bischöfen und Kirchenoberen schauen. Die sind besser. Medial und technisch auf jeden Fall. Aber ist diese Aufforderung protestantisch oder reformatorisch?
Deswegen wäre es gut, aus protestantischer Sicht einmal die ekklesiologischen und liturgischen Konsequenzen des Genres „Andachtsvideo“ mit ein bisschen Gnade für die content-wütigen Pfarrer*innen durchzupausen.
Mediokre Vielfalt ist besser als Online-Spirito-Zentralismus
Mitten in einem globalen Umdenken, bei dem starke Anführer*innen gesucht werden, die eigenen Grenzen nochmal enger gezogen, die Nation wieder groß und erfolgreich oder nicht erfolgreich bewertet wird – mitten in neuer Identitätsverhärtung finde ich, ist es ein Gewinn, ist es sogar ein Markenzeichen von protestantischer Kirche, wenn sie total vielfältig und bunt daher kommt. Klar, auf keinen Fall ist es gut, wenn immer nur Talarisierte vor Altären hantieren (komisch übrigens, dass das jetzt nochmal emotionaler kritisiert wird, vorher standen die doch da genauso jeden Sonntag – nur ohne Kamera). Aber damit ist doch fast niemand zufrieden. Im Gegenteil – die Andachtsformate werden doch genau und gerade jetzt erst viel bunter und besser und die Leute reflektieren und arbeiten doch daran, dass ihr Gesicht nicht heilsnotwendig ist.
Für urbane Kritiker*innen ist es leicht zu sagen, dass es öde ist, die Steindorfkirche St. Renate Hinterstolfingen kennen zu lernen. Aber in der Idee von evangelischer Kirche, die wir zumindest im Moment noch haben, ist das eben noch ein Prinzip, dass sich gegen Zentralisierung sperrt. Guckt mal, das gibt es alles auch noch! Und das eben auch in Andachtsfilmchen. Und ich finde, das ist gut so. Niemand schaut sich das doch alles im Detail an. Aber es wird auf den Titelbildschirmen wahrnehmbar, was und wen es überhaupt alles gibt, in einer Zusammenschau gelebter Frömmigkeit, die es medial vorher nicht so gab. Allein das ist schon ein Akt von Gemeinschaft-Sein, auch wenn sich das, wie gesagt, niemand in voller Länge anguckt.
Endlich befreite Zuschauende
Denn: Das muss ja auch niemand mehr. Die Online-Zuschauenden sind endgültig emanzipiert, wie Rancière sagen könnte. Sie haben buchstäblich die Fernbedienung für die gottesdienstlichen Ereignisse (denn ich finde auch das Abspielen einer Aufzeichnung ist mit dem Akt des Schauens ein eigener liturgisch-homiletischer Akt – oder?) und sie können sich frei zusammenstellen, was sie wollen und was eben nicht. Sie sind die Souveräne, an deren Klicks die haareraufenden Pfarrer*innen ihren (Miss-)Erfolg messen. Aber sie waren das vorher doch auch schon. Nur mit anderer Messung und anderen Interaktionsregeln – mit anderer Interaktion.
Online-Gottesdienst-Aufzeichnungen oder Live-Streams verstärken wie ein Brennglas nicht nur die eine Seite schon lange bestehender liturgischer Schieflagen: Zu sehen sind ordinierte Personen, die stellvertretend was machen – und das ist zu wenig. Sondern eben auch die andere Seite: Das muss sich niemand geben, der das nicht will. Sonntagspflicht ist in der Quarantäne abgeschafft. Wo die Kirchengebäude nicht nur Gemeinschaft, sondern auch ein bisschen Sozialdruck auch durch das Pfarrpersonal bietet, kann ich mir das Evangelium in der Badewanne reinziehen oder – was ich am besten finde – beim Frühstück mit der Familie ab und zu auf die Sprechenden und die Musik hören. Ein Kanal von vielen.
Und immer dann, wenn Vielfalt zu sehen ist, wenn im Zoom-Gottesdienst viele da sind, wenn was interaktiv ist, wenn liturgisch in sorgsam komponierten Bildern gedacht und gehandelt wird wird und in Bewegungen und nicht mehr nur in Texten dann wird das neue Format nicht nur Fernsehen sein, sondern wirklich ein neues Genre des bewegten Andachtsbildes. Dann ist es gut. Dann hat es eine eigene Spiritualität. In Bildern.
Das echte Potential kommt noch
Ich glaube nicht, dass das Potential einer digital mediierten Schau-Frömmigkeit durch die Online-Impulse und YouTube-Andachten dieser Zeit auch nur angekratzt ist. Es waren schon immer Bilder, und zwar immer schon viel zu viele Bilder und nicht unbedingt die qualitativ hochwertigsten, die den Protestantismus angetrieben haben.
Ich glaube nicht, dass die Chancen einer neuen Art von Hausfrömmigkeit schon sichtbar geworden sind, selbst durch die kleine Veränderung, dass jetzt Leute auf Bildschirmen auftauchen, die ganz unbedeutend sind, die gerade keine gute showmanship haben, unbeholfen und ein bisschen verzweifelt. Und hoffentlich bald auch – das ist die protestantische Konsequenz – viel viel mehr die Gesichter von Nichtordinierten. Und genauso kann sich in Single- und in Familienleben Evangelium anders kommunizieren, einfach schon, weil Andacht und Gottesdienste aufwandsloser und zwangloser gesehen werden können – und kommentiert und angehalten und weggeklickt. Noch mehr, wenn sich das Genre wirklich in Richtung Bild-Spiritualität oder Interaktion weiterentwickelt. Beide Richtungen schließen sich nicht aus. Beide Richtungen prägten auch die protestantische Druckseite für den Hausgebrauch.
Jesus findet’s okay
Eigentlich hatte Jesus keine Lust auf den Schau-Aspekt. Eigentlich wollte er wohl, dass wir alleine klar kommen mit unserem Inneren und den anderen, ohne dass jemand uns was zeigen, erklären und beweisen muss. Das wird jetzt auch jeden Sinnfluencer und jede*n Online-Pastor*in angehen, wenn das Auferstehungsnarrativ vom zweifelnden Thomas unsere Schau- und Show-Frömmigkeit in Frage stellt. Aber – und das ist eben mein Punkt – wir sind eben nur Menschen und brauchen gute Bilder, bewegt und unbewegt, um unseren Glauben festzuhalten.
Vielen Dank! Dieser Artikel rückt so manches aus den vergangenen Diskussionen zurecht und zum Teil auch in eine anderes Licht. Danke auch für die Würdigung all der vielen Anstrengungen und deren Einordnung in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Betrieb und das, was „Protestantismus“ ausmacht. An diesem Artikel entlang lässt sich jetzt weiter herzhaft diskutieren…
Danke für den Beitrag. Erst durch das ausprobieren können wir doch lernen, was wir an digitaler Kirche wollen und brauchen. Ich mag das kreative Chaos, das gerade herrscht. Hoffentlich gibt es noch mehr christliche Formate.
Hi,
es gibt zur Zweit jede Menge Kritik, die völlig unausgegoren ist. Sollte man sich davon wirklich frustrieren lassen?
Zudem sind Pfarrer, etc. gerade mit der Unbarmherzigkeit der Kamera konfrontiert. Mag im normal erlebten Gottesdienst der eine oder andere schiefe Ton, die nicht gelungene Geste, etc. noch nicht so auffallen – vor der Kamera wird alles offenbar gemacht. Da muss ich als Konsument und selbst Musiker auch sagen, dass mir so mancher Ton im Lobpreis das Gesicht verzerrt. Damit gnädig umzugehen obliegt hier dem Konsumenten.
Doch für mich macht diese Krise etwas anderes offenbar, was mich vielmehr schmerzt: Das wir als Gläubige uns zu sehr in der Vorstellung verlaufen haben, ein Gottesdienst sei Kirche / Gemeinde. Schmerzhaft erfahren viele Gläubige, dass die Gemeinschaft / die Begegnung der / mit Gläubigen uns mehr stützt, als das konsumieren eines Gottesdienstes.
Mein Wunsch wäre es von daher, dass die Verantwortlichen von Kirche und Gemeinde mehr Energie darin verwenden, Wege zu finden verstärkt Formen der direkten Begegnung mit den Gläubigen zu finden. Sei es per Telefon, durch Hilfsdienste oder was uns der Herr sonst kreativ aufzeigen mag.
Wer sich in der Gemeinschaft aufgefangen empfindet, wird auch mit einem nicht telegen gelungenen Gottesdienststreaming dankbarer umgehen.
Evtl. ist es ja nicht so wichtig, dass die Gläubigen deiner Gemeinde gerade deine Predigt und deinen Gottesdienst am Bildschirm verfolgen sollten. Womöglich ist deine Zuwendung, deine signalisierte Verfügbarkeit, deine Präsens ja gerade wichtiger?
Gruß, Charly