Noch vor der Krise: Vor ein paar Wochen. Noch draußen, da hab‘ ich mit einem guten Freund über die Zukunft des Parochialsystems gesprochen, während wir mit umgeschnalltem Baby durch das menschenverlassene Moabit spazierte. Ich habe von Dritten Orten erzählt, die in der EKBO jetzt sowas wie Fresh Expressions oder Erprobungsräume werden.

Aus seiner Sicht werden die Strukturreformen der Zukunft nicht nach Soziologischen Erhebungen, sondern nach knallharter Effizienzauswertung durch Künstliche Intelligenz. Wo bleibt eine Pfarrperson, wo nicht? Wo wird das Zielpublikum erreicht, wo nicht? Etc. Dann werden die Daten überlebensrelevant. Bisher schlummern sie in Churchdesk und KirA 2.0.

Telefonketten und Datenerhebung

Am Anfang der Krise: Sitze ich mit meiner kleinen Tochter und meiner Frau zuhause und suche eine Ecke mit vorzeigbarem Videohintergrund. Und ich sitze in der Küche neben leeren Breigläschen und bunten Löffeln mit einer Liste von Leuten, die ich anrufen soll. Die Liste ist blass mit Bleistift handgeschrieben. Dann ist sie eingescannt als jpeg und in eine Mail reinkopiert worden. Ich tippe aus dieser Liste Telefonnummern und Notizen in eine Excel-Datei. Und telefoniere sie ab. Alte Menschen und Junge, in Pflegeheimen und vor der Videokonsole. Kurz angebunden sind die meisten, als würde ich was verkaufen. Aber ich komme mit viel mehr Menschen in Kontakt als bisher „kohlenstofflich“. Aber eben nur in ganz kurzen Kontakt.

Nach einer Weile entwickle ich eine Message: Die Gemeinde ist übrigens auch noch da – oder so… Ich predige in unter 60 Sekunden auf Instagram, sonst ist das mit dem Upload so Mühsam – während Facebook meine Daten harvested. Und dabei erhebe ich selbst die ganze Zeit für die Kirche überlebensrelevante Daten. Wer wohnt bei wem? Wessen Nachbarn sind nett? Wer liegt im Bett und denkt nur nach ans Sterben?

Chance der datenbasierten Entscheidungen

Brad Parscale hat mit der Auswertung solcher Daten und gezielter Investition von Millionen von US-Dollar auf Facebook die 2016er Wahl für Trump gewonnen. Er hatte vorher kaum Ahnung von Datenverwertung, aber er hat – für die dunkle oder zumindest moralneutrale Seite der Macht – extrem schnell gelernt und bewirkt. Das sollten wir auch. Denn die Lage ist desolat.

In einigen Kirchenkreisen von Berlin werden bspw. nur noch 20% der evangelisch geborenen (!) Kinder überhaupt getauft. Obwohl wir genau wissen, wer das ist. Und intensiv daran arbeiten, wenigstens 10% der Kircheneintritte durch Konfirmationen zu halten und noch auszubauen. Vielleicht gibt es dafür bald Zentralstellen, wo Daten strategisch für Kasualien und Mitgliederpflege verwertet werden. Denn: Bei weitem nicht jede Leitungsperson der Gemeinden hat Zugang zu den Datenbanken der Gemeinde. Auch Kirchenvisitationen entdecken empirische Grundlagen für Wachstum, Entwicklung und Prognose erst seit Kurzem enthusiastischer.

Nach der Krise: Ich glaube, es ist jetzt entscheidend, dass sich jeder und jede in den eigenen Kontext sinnvoll und verantwortlich (Datenschutz!) Daten sammelt und datenbasierte Entscheidungen trifft. Was auch immer für digitale Systeme wir haben in den Gemeinden, das sind eben nicht nur doppelte Kirchbücher – das sind die Daten, die die Zukunft gestalten werden. Mit den Namen, Emailadressen, Sozialen Kanal-Nutzungsschemata, Telefonnummern, Anschriften, Vorlieben, protokollierten Interaktionen, mit gesteuerten Kontaktaufnahmen und Evangeliums-Kommunikationen erreichen wir die Gemeindeleute, die nicht zu den 20 Kerngesichtern gehören.

Das lerne ich gerade am Telefon. Und frage mich, was nicht alles über das Telefon hinweg möglich wäre, wenn ich mehr Daten hätte. Und was mit all den neuen Krisendaten nach der Krise passieren könnte.