Es steht außer Frage, dass es eine der großen Aufgaben unserer Zeit ist, in Dialog zu treten. Und zwar in den Dialog mit Andersdenkenden und Andersglaubenden. Auch wenn das – vor allem einer zunehmend pluralisierten Welt – auf viele Bereich zutrifft, so scheint dies derzeit vor allem mit Blick auf den Islam zu gelten. Im sogenannten „christlichen Abendland“ gibt es viele Vorurteile gegenüber dieser uns angeblich so fremden Religion; um das zu merken, braucht man nicht einmal die Hetzer von AfD und Pegida anzuführen. Es reicht – vermutlich – der Blick ins eigene Innere, um zu erkennen, wie pauschal manches Bild ist, dass man von der muslimischen Welt hat und wie schwer es oft fällt, zu differenzieren.
Doch auch andersherum gilt das. „Die Anderen“ sind für Menschen im arabischen Raum wir. Die angeblich „säkularisierte westliche Welt“, bei denen Werte und Moral nichts mehr gelten. Ja: Auch dort finden sich pauschale Vorurteile, die einer genauen Prüfung nicht standhalten.
Wie lassen sich solche Vorurteile – auf beiden Seiten – abbauen? Da gibt es wohl nur einen Weg, und der ist mühsam: Bildung. Doch es reicht nicht, sich intensiv mit dem Fremden auseinanderzusetzen. Um gemeinsamen Grund zu finden, muss man auch wissen, wo die eigenen Wurzeln liegen. Bei so manchem Pegidisten habe ich das Gefühl, die Angst vor dem Fremden ist vor allem deshalb so groß, weil man sich im Eigenen nicht mehr verwurzelt weiß, weil die eigene Tradition und Identität so schwammig geworden ist, dass man sich vor Überfremdung fürchtet. Wer seine eigene Tradition kennt, sich über seine Weltanschauung intensiv Gedanken gemacht hat und sie für sich hinterfragt und schließlich begründet hat, der hat keinen Grund, sich vor Neuem oder Anderem zu fürchten.
„Islam verstehen“
Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer hat einen spannenden Ansatz gefunden, in seinem Buch „Islam verstehen“ vorzugehen. Ihm geht es eben nicht nur darum, nur den Islam dazulegen. Sein Ziel ist vielmehr, den Islam in Beziehung zu setzen zum Christentum. Nicht nur das Fremde, sondern auch das Eigene darzulegen. So entfaltet er beide Weltreligionen aus der Überzeugung heraus, dass nur ein profundes Kenntnis beider zu einer Verständigung führen kann – weil nur so Gemeinsamkeiten entdeckt und betont werden können.
Schweizer geht dies in einem breiten Themenspektrum durch. Dabei spielt nicht nur die Gegenwart, sondern auch der Blick in die Geschichte eine wichtige Rolle. So entfaltet er etwa die Konfessionskonflikte, die es unter Muslimen und Christen gleichermaßen gab und gibt oder thematisiert den Umgang mit religiösen Minderheiten zu modernen oder historischen Zeiten. Immer wieder erzählt er von persönlichen Erlebnissen, die er in einen größeren Zusammenhang einordnet. „Islam verstehen“ wird so trotz seiner rund 600 Seiten ein kurzweiliges Buch, das sich gut lesen lässt – und sich auch gut als Nachschlagewerk macht, da die Themen übersichtlich gegliedert in einem ausführlichen Inhaltsverzeichnis aufgeführt sind.
Schweizer geht es vor allem darum, zu sensibilisieren und darzulegen, wie unterschiedlich Islam – aber auch Christentum – verstanden werden kann und wird. Pauschale Urteile sind ihm fern, auch wenn er deutliche Worte findet, wenn er sagt, dass die „geistigen Barrieren“ auf dem Weg in eine pluralistische Gesellschaft für die islamische Welt hoch sind. Besonders betont er hierbei das Dogma, ein Engel Gottes habe Mohammed den Koran Wort für Wort diktiert – eine Lehre, die Schweizer zufolge überwunden werden muss, um den Koran in seinen historischen Kontext einordnen zu können. Letztlich bleibt seine Analyse aber eine von außerhalb, aus westlicher Perspektive – er verweist deshalb zurecht immer wieder auf muslimische Denker, die er als „exemplarische Vorläufer einer ganz anderen Denkungsart“ lobt.
Den Islam differenziert zu verstehen, ist vor allem angesichts der derzeit so aufgeheizten Stimmung unbedingt notwendig. Auch wenn ich fürchte: Diejenigen, die diese Stimme am dringendsten nötig haben, werden sie nicht hören, weil schon der Titel „Islam verstehen“ etwas bezeichnet, worum es ihnen nicht im Geringsten geht. Für alle anderen, für die, die sich wirklich dafür interessieren, was uns mit unseren muslimischen Geschwistern aus historischer, kultureller und religiöser Perspektive eint, ist „Islam verstehen“ wirklich eine lohnende Lektüre.
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