Die „Gamescom“ in Köln ist die weltweit größte Messe für Video- und PC-Spiele. Vergangene Woche fand sie, wie immer,  in Köln statt. Rund 335.000 Besucher versammelten sich, um sich die neuesten Entwicklungen der Branche und kommende Spiele-Highlights genauer anzuschauen. So auch zum Beispiel das Spiel „Die Sims 4“ – der vierte Teil einer der erfolgreichsten Spiele-Reihen überhaupt. Ich bin auf ein Video gestoßen, das ein Interview auf der Gamescom zeigt. Es geht um „Die Sims 4“ und um das Thema „Religion“ in dem Spiel (ab ca. 2.00 min):

 

 

Ehrlich gesagt: Das Video ist inhaltlich ziemlich schwach. Die Fragen & Aussagen nach der Religion beschränken sich auf sehr offensichtliche Dinge. Und auch da lautet das Fazit: Religion findet explizit bei „Die Sims“ nicht statt. Das Spiel, so beabsichtigen es auch die Entwickler, lässt viel Raum für Interpretation. Und wer möchte, kann innerhalb dieses Rahmens seine religiösen Empfindungen hineininterpretieren. Damit hat sich die Sache aber schon.

Viel interessanter ist, das Spiel als Ganzes zu betrachten. „Die Sims“ gehört in das Genre der „Simulation“ (daher ja auch der Name). Vor dem Bildschirm sitzt der Marionetten-Spieler, der seine Charaktere in der virtuellen Welt steuert – dennoch haben die Sims auch ihren eigenen Kopf und tun nicht immer genau das, was man ihnen befiehlt. Wenn Sim Helmut nicht müde ist, dann schläft er auch nicht. Viele bezeichnen die Sims auch als „Lebenssimulation“, weil das Leben der Sims simuliert wird. Die Möglichkeiten des Spielers sind dabei, so sagen es die Entwickler, quasi unbegrenzt. Als Unterkategorien der Simulationen gab es in der Geschichte der Computerspiel-Entwicklung immer wieder auch sogenannte „Göttersimulationen„, bei denen der Spieler explizit als Gott agiert hat (eines der bekanntesten dürfte „Black & White“ sein). Dort wird also Religion auch offen thematisiert. ((Ein weites und vor allem interessantes Feld. Das wird bestimmt ein andermal noch Thema eines eigenen Beitrags.))

Der Tod des Avatars – ein emotionales Geschehen

Streng genommen ist aber auch „Die Sims“ eine Göttersimulation.((In einer englischsprachigen Liste für „God games“ wird „Die Sims“ auch aufgeführt. Was daran liegt, dass im englischsprachigen Raum diese Definition weiter – und m. E. korrekter – gefasst ist. Auch zum Beispiel die Anno-Reihe fällt darunter.)) Zu Beginn erschafft der Spieler einen Sim – gibt ihm ein Geschlecht, ein Aussehen, Kleidung, bestimmt die Charakterzüge. Alles kann angepasst werden. Und dann geht das Spiel erst los: Das Leben wird in die Hand genommen. Zum einen wird der Sim gesteuert, zum anderen werden Rahmenbedingungen für diese Person ausgesucht. Wo wohnt er, mit welchen anderen Sims hat er zu tun, mit wem freundet er oder sie sich an? Welche Familienform wird gewählt? Wird schließlich ein Kind geboren – oder, in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, eine Adoption gewählt?

„Die Sims“ verkörpert dabei eine ganz besonders interessante Spielform. Denn hier wird noch ein anderer Faktor ganz deutlich: Die Spieler gestalten – zumindest sehr häufig – das Leben ihrer Sims gemäß der Träume, die sie für ihr eigenes Leben haben. Eine Studie, die Sims-Spieler befragte, schreibt dazu:

The richness of the game is huge as its gameplay allows gamers to reproduce manifold social interactions and situations. Teenagers interrogated for this research affirmed that they created their dreamed life in the game as much as they could. ((Lorentz, Pascaline: Socialization of Teenagers Playing The Sims. The Paradoxical Use of Video Games to Re-enchant Life, in: Heidelberg Journal of religions on the Internet, Vol 5. (2014), S. 282. Online unter http://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/religions/issue/view/1449))

Keine Überraschung, dass auch der Tod eines Sims die Emotionen der Spieler berührt. Auch das wurde in der Studie nachgewiesen.((„They confessed being touched by the death of their avatar they had spent so much time creating and designing.“ Ebd, S. 284.)) Natürlich: Wer seinen Charakter mühevoll geschaffen hat und gewissermaßen eine Beziehung mit ihm aufgebaut hat (oder sich gar mit ihm identifiziert), der erlebt mit dem Tod dieser Figur einen tatsächlichen Verlust.

Der Dialog mit sich selbst

Eine weitere wertvolle Beobachtung lässt sich machen: Wenn Spieler bei „Die Sims“ in den Avataren sich selbst nachbilden und als göttliche Hand die Geschehen, Geschicke und Begleitumstände (wie zum Beispiel das Erschaffen einer weiteren Person, die den Idealvorstellungen eines Lebenspartners entspricht, um sich dann zu verlieben) leitet, dann ist das ganze Spiel in höchstem Maße ein für den „Gamer“ selbstreflexives. Ob bewusst oder unbewusst: Der Spieler tritt beim Spielen in eine Kommunikation mit sich selbst.((Kurz angesprochen wird das auch in der o.g. Studie, wenn jedoch nur sehr knapp: „The gamer […] establishes a dialogue with him/herself.“, S. 288.)) Auch Religion ist immer auf das eigene Ich bezogen (manch Kritiker würde sagen: ausschließlich). Schon Ludwig Feuerbach hat das eindrucksvoll beobachtet. Wer seine Religiosität lebt, lebt und entdeckt immer auch einen Teil von sich selbst.

Abschließend noch zwei Fragen zum Weiterdenken, auch für mich selbst:

a) Die Kommunikation mit sich selbst und Selbstreflexion gehört zum Alltag. Wie problematisch ist es, wenn diese – wie bei oben gezeigtem Beispiel – durch das Medium eines Videospiels geschieht? Denn hier spielen ja – versteckt im Hintergrund – noch ganz andere Dinge mit hinein. Denn dem Handeln sind auch im Computerspiel Grenzen gesetzt (auch wenn die Dame im Video das anders darstellen will): Die der Entwickler. Es werden nur Gefühle, Dinge und Lebensbereiche einbezogen, die von den Programmierern eingebunden wurden. Und auch nur auf die Art und Weise, wie sie eingebunden wurden.

b) „Die Sims“ nimmt – als Computerspiel – eine Rolle ein, die in akademischen Kreisen auch heute noch häufig belächelt wird. Das ist zumindest mein Eindruck. Doch lassen sich nicht gerade aus den gezeigten Elementen wichtige Dinge beobachten – soziologische, kommunikationstheoretische und auch theologische? Wird dieser Bereich, der für viele Menschen einen wichtigen Teil ihres Alltags ausmacht, unterschätzt und zu leicht als „trivial“ abgetan?

Veröffentlicht von Fabian M.

Fabian Maysenhölder, Diplom-Theologe und Online-Journalist, ist Herausgeber des Blogs "Theopop". Während seiner Berliner Studienzeit wurde bei ihm in einem Seminar zu dem Thema „Kirche in den elektronischen Medien“ Interesse für diesen Forschungsbereich geweckt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt – nicht nur für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit. In seiner Freizeit spielt er Badminton und engagiert sich ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe.