Die erfolgreiche TV-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ geht in eine neue Runde. Der bessere Titel für die Sendung ist eigentlich in der Tat das häufig verwendete „Dschungelcamp“, denn man muss schon sehr schmerzfrei sein, um die Teilnehmer als „Stars“ zu bezeichnen. Doch der Erfolg der Sendung hängt auch nicht unbedingt daran, dass tatsächliche Stars und Sternchen daran teilnehmen. Freilich ist das gut für die PR, unter die sonst unbekannten Gesichter auch einen Mola Adebisi, Michael Wendler oder Winfried Glatzeder zu mischen. Aber ich bin davon überzeugt: Erfolg hätte das Format auch, würde es mit „ganz normalen“, unbekannten Menschen durchgeführt.
Denn im Kern geht es in der Sendung um etwas anderes: Man sieht die Teilnehmer Dinge tun, die man selbst niemals tun würde. Da verschlingen Menschen vor laufenden Kameras Känguru-Hoden, trinken pürierte Kakerlaken oder Schweine-Sperma. Es ist ein Voyeurismus der ganz besonderen Art. Es geht nicht primär um intime Einblicke in das Sexual- oder Privatleben anderer (obwohl das sicher auch eine Rolle spielt). In erster Linie geht es darum, andere Menschen erniedrigt zu sehen: Sie müssen, um Anerkennung zu finden vor der Gruppe und der Öffentlichkeit, ekelerregende Aufgaben erfüllen. Die Show bedient einen Ekel-Voyeurismus. Es ist eine andere Frage, ob dies nun verwerflich ist oder nicht – schließlich wissen die Teilnehmer genau, auf was sie sich einlassen. Das soll an dieser Stelle auch nicht bewertet werden. Interessant ist jedoch schon, dass es bei der ersten Staffel noch ordentlich Protest gegen das Format gab, es inzwischen aber weitgehend gelobt wird. Der Ekel-Voyeurismus hat einen festen Sendeplatz im deutschen Fernsehen.
„Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ hat einige Parallelen zu einer anderen Show, die erst vor wenigen Monaten zu sehen war: „Promi-Big Brother“. Anlässlich dieser Sendung hatte ich bereits – anhand von Psalm 139 – darauf verwiesen, dass die Öffentlichkeit hier eine Allgegenwarts- und Allmachts-Funktion einnimmt, die, zum Beispiel in Psalm 139, Gott zugeschrieben wird. Das kann direkt auf das Dschungelcamp übertragen werden. Viele Gedankensprünge braucht es da nicht: Die Öffentlichkeit ist der Gott dieser Sendung, der über das Wohlergehen der Kandidaten entscheidet. Demgegenüber die Kandidaten Anerkennung suchen. Die Öffentlichkeit ist diejenige Instanz, zu der die Kandidaten ihr „Hol‘ mich hier raus!“ rufen. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit, Beachtung und Gnade, den wir sehr oft in den Psalmen finden (frei übersetzt z. B. in Ps 69,15; Ps 144,11; Ps 40,14 u.v.m.).
Die Dschungelcamp-Theodizee
Mehr noch als bei „Promi-Big Brother“ kommt beim Dschungelcamp aber der Erniedrigungs-Faktor zum Tragen. Andere Menschen sollen (psychisch) leiden, besonders die „Stars“, die es zuvor vermeintlich zu etwas gebracht haben. Bemerkenswert wird es, wenn man in diesem Kontext die Theodizee-Frage stellt: die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Während viele Menschen an dieser Überlegung verzweifeln und die Existenz eines guten Gottes nicht für möglich halten, weil es so viel Leid auf dieser Welt gibt, scheint sich diese Frage beim Dschungelcamp gar nicht zu stellen. Denn man könnte genauso fragen: Warum lässt die Öffentlichkeit, der Gott dieser Show, das Leid darin zu? Ja, vielmehr: Warum fordert sie es sogar?
Wenn man diese Frage einmal stellt, verrät sie viel über das Wesen dieses Gottes. Und die Tatsache, dass sie niemand stellt, zeigt, dass offenbar klar ist: Die Öffentlichkeit als Gott labt sich an der Erniedrigung anderer Menschen. Es kann weder die Existenz der Öffentlichkeit bestritten werden noch ihre Allmacht über die Kandidaten. (Durch ein Ausschalten des TV-Geräts oder entsprechenden Protest könnte ganz schnell dafür gesorgt werden, dass die Show eingestellt wird.) Freilich sind das bei der „echten“ Frage nach der Theodizee nicht die beiden einzigen Möglichkeiten einer Auflösung. Und letztlich agiert Gott nicht zwingend im Bereich der menschlichen Logik – Glauben heißt schließlich auch, anzuerkennen, dass eben nicht alles in einem naturwissenschaftlich-logischen Sinne erklärbar ist.
Doch beim Dschungelcamp ist das anders. Hier liegt die Antwort, warum der „Öffentlichkeits-Gott“ das Leid zulässt und gar fordert, auf der Hand: Er ergötzt sich daran. Das offenbart sich nicht nur bei diesem TV-Format. Man muss nur (zum Beispiel) in die Bild-Zeitung schauen, um weitere Belege zu finden.
Diese Beobachtung gewinnt auch gesellschaftliche Relevanz. Sie kann Hinweise darauf geben, wie der aktuellen Diskussion zum Beispiel um die NSA oder den „gläsernen Menschen“ zu begegnen ist: Es ist (überlebens-)wichtig, Rückzugsräume zu haben. Bereiche, die nicht an die Öffentlichkeit dringen. Da geht es nicht um die Frage, ob man etwas zu verbergen hätte oder nicht. Die Theodizee des Dschungelcamps offenbart einen Wesenszug des Gottes Öffentlichkeit, der uns davor warnen sollte, uns ihm ganz hinzugeben: Dieser Gott ist ein Sadist.
Ich möchte noch einen Aspekt anfügen: Ich kenne genug Leute, die das Dschungelcamp aus Gründen ablehnen, wie du sie im Text nennst. Als Ekelvoyerismus, Menschenunwürdig, usw.
Und doch schauen sie sich jede Folge an. Natürlich nur „ironisch“. Um sich darüber lustig zu machen. Und um über die Menschen zu lachen, die sich die Show „ernsthaft“ ansehen.
Aber den Sendern, die dieses und ähnliche Formate produzieren und ausstrahlen kann es egal sein was die Zuschauer sich dabei denken. Wenn nur die Quote stimmt. Und dadurch macht sich mMn jeder mitschuldig der einschaltet.
Danke für die Beobachtung. Wenn man rumfragt, sind des wahrscheinlich sogar die meisten, die sich das “ironisch anschauen” 🙂
Ich will auch gar niemanden verurteilen, der sich das anschaut. Mir ist das eigentlich egal – auch ob es eine solche Show gibt oder nicht. Schließlich spielt es ja schon eine Rolle, dass die “Insassen” des Dschungelcamps genau wissen, was auf sie zukommt (wenn man auch darüber diskutieren könnte, ob sie wirklich freiwillig teilnehmen – da könnte es schon wieder kritisch werden). Ich fand eigentlich vor allem interessant, was uns das über die “Öffentlichkeit” sagt :-). Das ist ja zunächst mal eine Feststellung, kein Urteil.