Wenn Apple eine Sekte wäre …

Fundstück (22) vom 14.09.2012
Der Aufschrei wäre groß, wenn Apple kein Wirtschaftsunternehmen, sondern eine Glaubensgemeinschaft wäre. (Bild: deepwarren/flickr.com)

 

(Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte bei n-tv.de.)

Der angekaute Apfel ist derzeit eines der bekanntesten Firmenlogos der Welt. In leuchtendem Weiß erstrahlt er auf der Oberfläche eines jeden iMacs, iPods, iPads und iPhones. Doch der Apple-Apfel ist mehr als ein Firmenlogo. Er symbolisiert, ähnlich dem angeklebten Fisch auf der Heckklappe eines Familienvans, die Zugehörigkeit zu einer Religion. Der Apple-Religion.

Im vergangenen Jahr fanden Hirnforscher heraus, dass Apple-Produkte die gleichen Hirnregionen anregen wie religiöse Symbole. Und in der letzten Woche behauptete Kirsten Bell, Anthropologin an der University of British Columbia, dass Apple die „Definition einer Religion“ erfülle. Vielleicht sollte man dabei erwähnen, dass es nicht so einfach ist, den Begriff „Religion“ zu definieren; die Forscherin könnte also höchstens behaupten, dass Apple ihre Definition von Religion erfülle.

Doch in der Tat ist es nicht besonders abwegig, Apple als religiös geprägtes Phänomen zu betrachten. Denn schaut man sich einmal an, welche Funktionen Religionen in einer Gesellschaft erfüllen, so fallen schnell Parallelen auf. Diese Feststellung ist aber noch nicht einmal problematisch, wie auch Religionen nicht per se zu verurteilen sind. Problematisch wird es erst, wenn man noch einen Schritt weiter geht: Auf der funktionalen Ebene fallen Apple nicht nur religiöse, sondern sogar sektenhafte Züge zu. Und das ist nicht bloß problematisch. Es ist gefährlich.

Der iGod und seine Jünger

Da wäre zum Beispiel Steve Jobs. Der Gründer des kalifornischen Unternehmens ist nicht weit von einem Gott-Status entfernt, falls er ihn nicht in einigen Kreisen schon erreicht hat. Wahlweise wurde und wird er als „Seher“, „IT-Messias“, „Prophet des Internetzeitalters“, „Apple-Guru“ oder „iGod“ bezeichnet. Er wusste, was die Menschen brauchen, und er gab es ihnen zur rechten Zeit. Die Person Steve Jobs darf dabei nicht hinterfragt werden. Und auch die Frage, mit welchen Methoden Jobs seinen Konzern führte, stellt man besser nicht.

Steve Jobs, Apple-Ikone
Steve Jobs – Ikone der Apple-Religion. Guru, Prophet, Messias und iGod in einer Person. (Bild: npbn/flickr.com)

Die Produktpräsentation des ersten iPhones gleicht einem Gottesdienst mit dem Messias persönlich: Jeans, Rollkragenpullover und Turnschuhe, das liturgische Gewand des Steve Jobs, mit dem er zur Ikone wurde. Der Apfel – das Kreuz auf dem digitalen Leinwand-Altar, samt Heiligenschein vor dem verlorenen Schwarz der Unendlichkeit. Die Schar der Apple-Jünger klatscht, jubelt und pfeift, als Jobs seine Heilsbotschaft verkündet und das revolutionäre iPhone enthüllt. Was als Veranstaltung fundamentaler Christen oder Moslems befremdlich und gefährlich wirken würde, wird bei Apple als geniale Marketingstrategie gelobt.

Doch die Inszenierung solcher Veranstaltungen ist nur ein Faktor unter vielen. Apple sorgt geschickt dafür, dass die Kunden möglichst komplett auf Produkte des US-Konzerns umstellen. Ein iPod oder iPhone kann nur über iTunes mit Daten versorgt werden, und am Besten funktioniert das Ganze mit einem iMac. Eine geschickte Strategie, die Kunden komplett an sich zu binden: Wer in den vollen Genuss der Apple-Vorteile kommen will, braucht mehr als nur ein iPhone. Er braucht das gesamte Paket, um perfekt vernetzt zu sein.

In der Sekten-Checkliste der Eltern-und Betroffeneninitiative gegen psychische Abhängigkeit Sachsen lautet ein Punkt: „Die Gruppe will, dass du alle alten Beziehungen abbrichst, weil sie deine Entwicklung behindern.“ Auf technischer Ebene trifft das bei Apple ins Schwarze. Freilich, auch anderen Konzernen wäre es am liebsten, wenn Kunden komplett auf die jeweils eigenen Produkte umsteigen würden. Das liegt in der Natur der Sache. Doch niemand fordert seinen Absolutheitsanspruch mit einer solchen Vehemenz ein wie Apple.

Wer Apple kritisiert, betreibt Blasphemie

Man könnte die Liste noch erweitern. Es ist zum Beispiel sehr verwunderlich, warum so viele Menschen die Kritik an einem Konzern, so sie denn geäußert wird, als persönlichen Angriff werten. Wer Apple kritisiert, kritisiert nicht nur ein Wirtschaftsunternehmen. Er verletzt viele Menschen auf einer sehr intimen Ebene. Es soll und darf hier, wie bei allen folgenden Ausführungen auch, nicht pauschalisiert werden. Dennoch ist es im Vergleich zu Nutzern anderer Produkte auffällig, wie stark sich Apple-Nutzer mit der Marke identifizieren. Diese Tatsache zeigt die enorme emotionale Bindung, die viele gegenüber dem Konzern empfinden. Man ist nicht nur einfach Kunde; Apple wird Teil der eigenen Lebenswelt, der eigenen Identität. Nur so ist erklärbar, warum die Diskussion um ein Unternehmen, dessen einziges Ziel es immer noch ist, Geld zu verdienen, geradezu zu einem Glaubensstreit ausarten kann. Wer Apple kritisiert, betreibt Blasphemie.

Und genau hier kommen wir zu dem Punkt, an dem dies alles problematisch wird. Es mag eine gelungene Marketingstrategie von Apple sein, sich in einer solchen Intensität an den Kunden zu binden. Heiligenschein und Messias inklusive. Doch letztlich führt eine solche psychische und/oder emotionale Abhängigkeit – wie auch bei sektenartigen Glaubensgemeinschaften – zur Kritikunfähigkeit. Und das ist vor allem gefährlich, wenn man sich die Ziele desjenigen verdeutlicht, der nicht kritisiert werden darf. Bei Apple liegt dies auf der Hand: Das Ziel ist der Geldbeutel des Kunden.

Und diese Kritikunfähigkeit im System Apple ist offenkundig: Kaum einer fragt, warum der Zuschlag für ein paar Gigabyte beim iPhone mehr als hundert Euro beträgt, obwohl der Großhandelspreis nur bei ein paar Euro liegt. Es wird schweigend hingenommen. Kaum einer fragt mehr nach den Produktionsbedingungen der Apple-Fabrikate. Auch das wird hingenommen, schließlich dient es einem größeren Zweck. Leider scheint eine solche Kritikunfähigkeit auch bei vielen Medien vorzuherrschen; der Glanz der Apple-Produkte erleuchtet nicht nur die eigenen Anhänger, sondern er strahlt darüber hinaus. Für Werbung muss der Konzern deshalb schon lange nicht mehr zahlen, denn die kommt von ganz alleine.

Nehmen wir einmal an, Apple sei tatsächlich kein Wirtschaftskonzern, sondern eine kultische Glaubensgemeinschaft, die den Menschen eine beliebige Heilsbotschaft vermittelt. Wie laut wäre der Aufschrei, wie eindringlich die Warnungen aufgrund der Macht, die Apple besitzt? Solche Hinweise verhallen, falls vorhanden, ungehört. Der Apfel strahlt weiter. Nicht nur als Symbol für ein erfolgreiches Unternehmen, sondern auch als Zeichen der besonderen Verbundenheit. Als Bekenntnis und Credo zugleich. Doch: Wer in einen Apfel beißt, sollte sich zumindest fragen dürfen, ob da nicht vielleicht der Wurm drin ist.

Veröffentlicht von Fabian M.

Fabian Maysenhölder, Diplom-Theologe und Online-Journalist, ist Herausgeber des Blogs "Theopop". Während seiner Berliner Studienzeit wurde bei ihm in einem Seminar zu dem Thema „Kirche in den elektronischen Medien“ Interesse für diesen Forschungsbereich geweckt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt – nicht nur für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit. In seiner Freizeit spielt er Badminton und engagiert sich ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe.