Alle Feeds und Spots sind schon seit einer Woche voll mit Content zum „Black Friday“. Dem Höhepunkt der „Black Week“ und dem Auftakt zum darauffolgenden, von Amazon glaube ich urherberrechtlich geschützten Cyber Monday. Auf Instagram beobachte ich – mehr unfreiwillig als freiwillig – dieses Jahr einen Konflikt-Diskurs zwischen neuen und neueren Nachhaltigkeits-Start-Ups und den etablierten Kommerzmagnaten. Ein Hipster sagt mir, was er von „Black Friday“ hält und kickt einen Boxsack, um mir dann bessere, nachhaltigere Produktangebote zu unterbreiten. Ich versuche das immer zu ignorieren.
Es führt kein Weg vorbei
Aber die Tatsache dass die Medien- und Bewerbelandschaft dermaßen von der günstigen Einkaufsvorbereitung auf die Advents- und Vorweihnachtszeit dominiert ist, hält mich auch dieses Jahr gefangen. [Ich habe mich hier letztes Jahr schon mit Black Friday beschäftigt, jährlich grüßt der Kommerz-Nerz…]. Also gibt es nach wie vor auch für mich und vielleicht auch für andere Kirchenmenschen immer noch Gesprächs- und vielleicht auch Nachholbedarf.
Kurzum, müsste nicht eigentlich Black Friday der nächste Valentinstag werden? In der Kasualtheorie werden unter der Rubrik ‚neue‘ oder ‚kleine Kasualien‘ neben der Feier der Liebe, der herzförmigen Schokoladenbox mit Blumenbouquet und dem romantischen Dinner mit Violine, auch Einschulungen, Gebäude- und Gerätesegnung.
Angesichts der Dominanz eines offensichtlich gesellschaftlichen Themas, könnte man ja mal versuchsweise durchexerzieren, ob Black Friday eine Kasualie ist. Ich mache das hier schnell und kursorisch und fragend und gehe nicht die klassischen Merkmale des Examenswissens und darüber hinaus durch. Das würde mich aber als Kommentar, Replique oder Widerlegung sehr freuen. Ich merke schon, dass ich ins Schlingern kommen werde, aber ich glaube, dass kann ein aufschlussreiches Schlingern werden.
Kasualien-Checkliste
Gottesdienstlich-liturgische Begehung: In der Zeit der Online- und Digital-Formate sehe ich gerade Black Friday als etwas, dass auf Theolog*innen und Pädagog*innen auf der Cyber-Seite wartet und das schon längst digitale Ritualisierung und Liturgie bis zum Klicken auf kaufen und Empfang des Postboten und auf YouTube gestelltem Unboxing. Check.
Festcharakter: Verschwendung und Luxus als Indikator von Zivilisation werden m.E. intensiv im Fest des Kaufens und Schenkens gezeigt und wirken bis zur Gänsehaut und kleinen ekstatischen Euphorie. Civil Religion at its finest Check.
Anlass und allgemeine Relevanz: Es gibt auf jeden Fall einen Anlass und einen Anhalt im Erleben der Menschen mit einer eigenen rituell-religiös geprägten Erfahrungssphäre: Shopping als Life-Style, Studieren und Genießen von Werbung als Lebensentwurfsangeboten, Denken an die Geliebten Menschen und an wunderbare Interaktionen des Schenkens, Auswählen und Einkaufen (mit Maske), Buyers‘ Remorse, Einpacken und Inszenierungsüberlegungen und dann ritueller Höhepunkt des Austauschs. Ritualtheoretisch als Passageritus zu fassen, dauert keine zwei Minuten. Also: Check.
Scharnierfunktion zwischen Kirche, Gesellschaft und Individuum: Kirche hat zur Kultur des Schenkens etwas zu sagen und eine integrierende Funktion. Wie allerdings der private, lebensgeschichtlich bedeutsame Umstand Black Friday – auch dieses Jahr Weihnachten über die Runde bringen und mit unveränderlichen Kindheitserinnerungen vielleicht ein Stück Ewigkeit aufzuführen und auch zu spüren – kirchlich gedeutet, integriert und begleitet werden kann – das ist eine von mehreren Preisfragen. Es gäbe die Möglichkeit über die Social-Media-Verkündigungskanäle a) moralisch über Kaufen zu reden (das finde ich mittlerweile eigentlich schon wieder attraktiv), mit der GEPA zusammen über Globalisierung und Klimawandel, Demut, Downsizing etc. sprechen b) in biblischen und theologischen Tiefenbohrungen (mein Lieblingswort von Olaf Trenn) die göttliche und von mir aus auch die dogmatische Dimension von Kaufen, Tragen, Schmücken, Auspacken etc. als religiöse Alltagspraktiken aufwerten und mitgestalten. Jean-Luc Marion nochmal lesen. Aber: Halber-Check
Amtshandlung: Wenn das ex-cathedra von Kichen-Repräsentierenden passiert, dann sind das Talarträger*innen und Ordinierte, aber es sind auch die neuen Online-Geistlichen, die ein neues Publikum anziehen. Es wäre eine neue Amtshandlung, kontaktlos und digital. Über Technologie. Es bedeutet aber auch: Black Friday segnen. Einkaufen segnen. Werbung segnen. Check?
Es wäre eine kontaktlose, digitale Amtshandlung.
Allgemeine Nachfrage: Daran scheitert dann glaube ich das Gedankenexperiment. Will das irgendwer? Irgendwas von Kirche zum Black Friday. Springen die schon wieder auf einen Trend auf? Ist das nicht die vorgezogene Weihnachtspredigt, die meinen Schenkakt theologisch überstülpend deuten will? Möglicherweise gibt es aber tatsächlich liturgische Online-Akte, die eine Nachfrage erzeugen können und wie Valentinstag funktionieren. Ich muss an einen Geistlichen denken, der am Einkaufszentrum steht und die Leute beim Einkaufen segnet. Ein bisschen wie ein Militärseelsorger, ein bisschen wie der Bischof, der die Lichter in der Einkaufststraße anknippst. Gar nicht so abwegig. Wir geben unseren Segen vielleicht sowieso schon, wir haben kein Argument, ihn zurückzuhalten.
Taufbezug: Ähm. Also Kaufen, Verkaufen, Handeln, Tauschen, Planen, Inszenieren und Schenken können wir als Annähern an Gotteserfahrung im Beschenktwerden mit Jesus rahmen. Aber die Reziprozität des Schenkens steht einer schlechthinnigen Abhängigkeitserfahrung entgegen. Und denken Menschen wirklich an Jesus als Geschenk wenn sie einander beschenken? Vielleicht müsste das zumindest auseinander dividiert und getrennt betrachtet werden.
Resümee: Viele grüne Haken. Kaufen kann man segnen, Nachfrage kann man sich suchen, Taufbezug könnte man sich konstruieren, den gibt es aber auch bei anderen Kasualien nicht. Also: Black Friday 2021 – diesmal auch kirchlich und online und bunt?