In den letzten sechs Monaten hat nichts so sehr in den Medien und in den Köpfen gewildert wie das zentrale Bedrohungsszenario: Das Ende der Natur. Am Union Theological Seminary entwerfen sie Gottesdienste, in denen sie einzelne Bienen beerdigen. Greta Thunberg nimmt Teil an indigenen Ritualen bei Protesten gegen Klimaausbeutung. Marina Abramovic ertrinkt in ihrer App an Schmelzgletscherwasser, wenn wir nicht Geld schicken. In Berlin gründet sich Church for Future. Muss ich alles keinem erzählen.
Theologisch höre ich bisher erstaunlich wenig darüber und wenig sinnvolle theologische Reflexion außer von einigen dämlichen Vertrauenswürdigen, die auch noch in die Fuck-Greta-Debatte reinfaseln. Muss ich auch keinem erzählen. Außer vielleicht, dass das Argument der Naturbedrohung die Ansätze eines Erlösungsglaubens an Plausibilität und Mobilisierungsvermögen wirklich sehr locker in die Tasche gesteckt hat. Und wir, die wir von Schöpfungsbewahrung die Lippen fusselig bekannt haben, stehen daneben und verhuschen vielleicht gerade noch den Systematiker, der was von einer falschen Ideologisierung der Natur murmelt, die vom christuszentralen Offenbarungsgeschehen ablenkt.
Natur im Gottesdienstraum und im Kirchenjahr
Dabei finde ich besonders spannend wie wir eigentlich Natur in Gottesdiensten inszenieren und medial umsetzen. Ich weiß nicht, ob es vielen so ging, aber in dieser Zeit zwischen Erntedank und Weihnachten wird mir immer nochmal richtig bewusst, wie sehr der Kirchenraum eigentlich als Natur-Prozess, als Nachbildung des Paradiesgartens angedacht ist – mit Ursprungsflüssen und Lebensbäumen und lauter Inszenierungen edenartiger Natur.
Und ich weiß nicht ob es vielen so ging, aber an Erntedank habe ich das dieses Jahr zum ersten Mal ziemlich komisch gefunden, den Raum so mit lauter Natur zu dekorieren, wie wir das dann auch auf den Gräbern machen und dann mit den meterhohen, teuren Weihnachtsbäumen für die ganze Atmo. Und ob das so passt, Erntedank feiern und das so dekorieren, wie wir das machen, vor dem Hintergrund der ganzen Klimarebellionen. Wir inszenieren Natur. Und die Kirche ist dabei wie ein Minigolf-Kurs mit beschnittenem Wildwuchs nicht nur, wenn wir das Fest mit Maien schmücken und auf Kirchenpachtland Gastarbeiter*innen Spargelernte schuften.
Panometer – zivilreligiöser Gottesdienst mit saftigem Eintrittspreisen
Meine Irritation kommt von einem Besuch des sogenannten Panometers in Leipzig. Das hat Yadegar Asisi mit einer dem Wittenberger Reformationsjubiläumspanorama nicht unähnlichen zivilreligiösen Aufladung gebastelt. Ich kann das nur empfehlen, auch als Lektion in Kommerzialisierung von niedrigschwelliger Alltagsreligiösität am Beispiel von: Einem Leipziger Kleingarten. Carolas Garten.
Vor einem riesigen Panorama also am Rande von Leipzig sind Szenen aus einem Kleingarten stark vergrößert ineinander geshoppt. Dazu gibt es Wellness-Musik und man kann auf einen kleinen Turm steigen und unterschiedliche Ebenen begehen. Und was mich beeindruckt ist, dass die Menschen sich in meiner Wahrnehmung wie in einem Gottesdienst verhalten. Sie sind außerordentlich andächtig. Es wird geflüstert. Sie staunen. Es gibt einen langsamen Tag und Nachtwechsel. Dazu gibt es Gedichte von Heinrich Heine und Strophe 9 aus „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Teilweise melodramatisch vorgelesen. Seichte schöpfungstheologische Aussagen in nichtdenominationaler Sprache verabreicht.
Und die wirklich beruhigten und affektierten und angerührten Besuchenden filmen das Ganze Erlebnis auf ihrem Handy. Die ganze Zeit. Der ganze Raum ist in blaues Handylicht getaucht. Das ist glaube ich sogar einberechnet in die Farbspektren des Panometers, das übrigens Themen wie Paradies, Lebensbaum, Umweltzerstörung, Atomkrieg ganz elegant und unterschwellig… einfach nur zeigt und trotzdem beruhigend bleibt.
Second-Hand-Religiosität könnte man das nennen. Aber das wäre zu abschätzig. Denn den Menschen im Panometer gibt das wirklich was. Es tut ihnen gut. Simulacrum von Natur statt Wirklichkeit könnte man wettern, Baudelaire und die Matrix und die Wachowski-Geschwister geifern. Aber die high-end-Technologie-Inszenierung wirkt und funktioniert. Die blaue Pille schmeckt.
Na klar ist das vielleicht mediatisierter Eskapismus. Aber das sind unsere Gottesdiensträume auch. Na klar sind das Special Effects, aber das sind unsere Gottesdienste auch. Was heißt das also, was kann man von Asisi lernen, nicht dem Heiligen, sondern dem Neu-Heiligen mit einem S weniger?
Besser Second-Hand-Religiosität als gar kein Seelenkitzeln
Simulation und Simulacrum sind längst unsere Gewohnheit und bloß, weil was nicht echt-echt ist, heißt das noch nicht, das es nicht wirkt. Scheiß auf die Aura des Echten. Auch Kopien können kribbeln. Wenn wir immer vom Gewächshaus Kirche sprechen und von Bewahrung der Schöpfung dann müssten wir wenigstens wahrnehmen, dass schon lange nichts Defizientes oder Falsches oder Moralisches mehr in der Inszenierung von Natur in Kopien liegt. Die Wirkung auf die Seele auch von dem, was wir an „Natur“ in den Gottesdienstraum stellen, als Abbilder, die Kraft der Dinge und ihre Seelen-Effekte als Messindikation könnte aber für die pastorale und Kirchenpraxis gerne noch mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Muss das wirklich ein abgeschnittener Riesenbaum sein – und die Kürbisse, die bis März in der Sakristei verflüssigen? Wenn ja, dann aber bitte eindrucksvoll, damit die Natur nicht umsonst für sich selbst leiden und sich selbst darstellen muss. Sonst hole ich mir mein Naturerlebnis in der Panometer-Show und nicht im Dom. Und das heißt auch: Es ist okay, wenn Leute Gottesdienste auf dem Handy filmen und sich das später angucken. Es ist keine falsche oder schlimmere Medienkonsumption, gegenüber dem ja auch schon inszenierten und kopierten Gottesdienstgeschehen, aber es gibt Menschen die Wahl und mehr Macht über die Mediatisierungen von Glauben zu verfügen. Denn: Christentum und Glaubensausdruck können doch noch viel mehr als Natur, können mehr als Natur darstellen und medial verwenden, eigentlich konnten wir das sogar mal besser als alle anderen.
Es wird Zeit, unsere Quellen für Natur, Gott und Glauben wieder zu entdecken und in neuer Sprache, mit neuen Medien und Jahrtausenden von best practice im Ärmel in die Diskurse einzuspeisen. Sonst machen das andere. Besser.