John Oliver gehört zum guten Ton, zumindest bei vielen informierten, jungen, liberalen Theolog*innen. Zumindest auch bei den nach links lehnenden Progressiven. Oder man könnte auch sagen: John Oliver predigt zur willigen Gemeinde. Preaching to the choir: John Oliver, das ist ein, wenn nicht „das“ typische Blasen-Phänomen der Linksliberal-Gebildeten. Das genaue Gegenteil von Fox News. Und dennoch – oder gerade deswegen – können Predigende von ihm lernen. Oliver vermittelt schwierige und langwierige und komplizierte Dinge wie Neo-Autoritarismus – und ist dabei kurzweilig und unterhaltsam – und unglaublicherweise: hochmoralisch. Dazwischen tut er, finde ich zumindest, etwas, das ich nicht anders bezeichnen kann als… predigen. Er adressiert Menschen, ihre Vernunft und ihre Gefühle für Mitleid, direkt in die Kamera. Er lässt rhetorische Kanonaden los und steigert Geschwindigkeit und Wortkomplexität bis zum Gänsehautmoment fast (oder quasi-) religiöser Ergriffenheit. Und er tritt dabei offen und mit eigenen Show-Abschluss- Stunts, seinen Markenzeichen, ganz materiell für Arme und Ausgegrenzte ein – auch ganz handfest mit Spendenprogrammen und Interventionen gegenüber ungerechten Rechtsnormen.
Der kirchenferne Kirchengründer
Dabei ist der gebürtige Bristoler John Oliver offenbar aus der Kirche ausgetreten (also so weit das nach englischen Standards denn geht). Nach solider Sozialisation in der Church of England, so erzählt er NPR, verlässt Oliver sie wegen ihrer „garbage answers“ angesichts des Todes von ihm Nahestehenden im Alter von zwölf. Aus dieser Distanz zu organisierter Religion heraus, gründet er 2015 seine eigene Kirche, Our Lady of Perpetual Exemption – Unsere Heilige Mutter der perpetuierten Steuersonderrechte – um Televangelisten-Abzocker bloßzustellen. Und er parodiert ihre Rhetorik und Ästhetik (Pastel-Pullunder mit Krawatte!) sehr elegant. Die Spendeneinnahmen aus diesem Stunt gehen an Ärzte ohne Grenzen.
Und dennoch hat John Oliver die Rolle eines säkularen Predigers für mehrere Generationen angenommen, wie kaum ein anderer, vielleicht noch zusammen mit seinem katholischen Kollegen Stephen Colbert, der manchmal eindeutiger religiös spricht, vor allem in seiner Verzweiflung an Trump, aber mit ähnlichen Redeformaten an die Seelen seiner Zuschauer appelliert.
Infotainment und Homiletik
Eine typische rhetorische Strategie von Oliver ist das Anreichern von komplizierten und extrem gut recherchierten Themen wie Wahlbezirksmanipulation mit schrägen Analogien, absurden Vergleichen und schlicht sehr guten Witzen. Eine ähnliche Art und Weise der Präsentation von lebensrelevanten Wissensbeständen bieten TED-Talks (Technik, Entertainment, Design). Im Wittenberger Zentrum für ev. Gottesdienst- und Predigtkultur ist das ein fester Bestandteil im Fortbildungs-Angebot. Auch beim Predigen nach dem TED-Talk-Paradigma werden komplexe Themen und Sachverhalte durch Emotionen, Abwechslung und vor allem durch gute Witze segmentiert und vermittelt. Wer das ausprobieren will, sei hier herzlich eingeladen ein auf Englisch verfügbares 7-Schritte-TED-Homiletik-Fortbildungsprogramm zu absolvieren. Schließlich haben viele der erfolgreich wachsenden Freikirchen auch in der Hauptstadt ähnliche Formate für ihre Predigten, die gerne 40-50 Minuten andauern und Scharen von Start-Up-Jünger*innen und Global Natives begeistern.
Die homiletische Herausforderung
Der rhetorische Erfolg von John Oliver wie vom TED-Talk bedeuten vielleicht eine Neuorientierung der geläufigen „Predigen-unter-zehn-Minuten“-Routine. Es ist auch nicht mehr Drei-Spiegelstriche-und-ein-Gedicht, oder dramaturgische Move-Konstruktion, sondern wirklich homilietisch-rhetorische Tiefenbohrung, die aber – segmentiert in Erkenntnisschritte und mit Humor und Erfahrung angereichert – tatsächlich Abnehmer*innen findet.
Der Tiefe vertrauen, Seichtigkeiten dosieren
Eine Sache ist dabei problematisch, wenn ich Oliver oder Colbert oder TED-Talks anschaue. Die Schwere von wirklich schweren, persönlichen, tödlichen Sachverhalten halten diese Formate nicht aus. Beispielsweise zeigt Oliver gern Videos von Menschen, die an den Folgen von Armut versterben und wischt ihr Schicksal mit einem Witz und einem lustigen Bild sofort wieder hinweg. Besonders in der Berichterstattung über Jamal Khashoggi lösen Witze über die mitgebrachten Knochensägen der Attentäter bei mir eine komisch-tiefsitzende Form von Pietätsverletzung aus. „Die Wahrheit ist, wenn du tief genug gräbst, wird alles irgendwann interessant. Also musst du nur zu dem Punkt durchdringen, wo eine Geschichte faszinierend wird“, sagt Oliver. Das ist die Chance. Vielleicht liegt ein Trick auch darin, Tiefen und Schweren von Geschichten auszuhalten und zumindest beim Sterben von Personen Entertainment und Humor als rhetorisches Mittel feiner zu dosieren.