Als der FC Bayern gegen Borussia Dortmund den Championsleague-Titel 2013 holte, sahen mehr als 21 Millionen Menschen die Fernsehübertragung. Im Wembley-Stadion selbst saßen rund 90.000 Fans, die Arena war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Je 25.000 Karten wurden direkt von den Final-Clubs verteilt, mindestens 50.000 Fußball-Anhänger reisten also aus Deutschland extra für das denkwürdige Finalspiel nach London: Eine ganz besondere Pilgerreise. Und natürlich stellt sich die Frage, was Menschen dazu bewegt, geradezu schwindelerregende Preise für eine 90-minütige Veranstaltung zu bezahlen (Hier z.B. ein ebay-Angebot: Zwei Tickets für schlappe 9.000 Euro, zzgl. Anreise und Übernachtung).
Doch egal ob Championsleague, DFB-Pokal oder Bundesliga-Spiel: Für Fußball-Fans ist es etwas ganz Besonderes, im Stadion anwesend zu sein. Und wenn das schon nicht möglich ist, dann wird das Spiel wenigstens an einem Ort verfolgt, wo möglichst viele andere Fans ebenfalls mitfiebern: ob Biergarten, Kneipe oder Sportsbar. Denn dann bekommt man wenigstens ein bisschen mit von der „beeindruckenden Atmosphäre“ und dem „Gefühl, dabei zu sein“, wie es Fußballkaiser Beckenbauer in dem Spot oben sagt.
Fußball ist Gemeinschaft
Die Faszination des Fußballs für die Zuschauer entsteht, so vielleicht eine These, nicht in erster Linie aus dem Spiel selbst heraus, sondern erst in der Gemeinschaft mit anderen: Sei es im gemeinsamen Besingen des Lieblingsvereins, der Diskussion über die Leistung des Torwarts, der Begeisterung über einen schönen Pass in die Sturmspitze, die aber auch erst in der Mitteilung an andere zur Geltung kommt. Und so fördert – und fordert – Fußball eine Gemeinschaft. Eine sehr starke sogar, da braucht man sich nur die Unterstützung der Fans für ihre Mannschaft anzuschauen. Mit der Beschreibung des Soziologen Emile Durkheim, der die gemeinschaftsstiftende Funktion der Religion betont, könnte man den Fußball recht problemlos als eine Religion bezeichnen. Die Konfessionen sind die Fanclubs, die Stadien deren sakrale Gebäude.
Im Zentrum der „Religion Fußball“ stehen jene 90 Minuten, in denen 22 Menschen einem Ball hinterherlaufen und versuchen, ihn ins gegnerische Tor zu befördern. Gewissermaßen vergleichbar mit dem sonntäglichen Gottesdienst, nur eben meist Samstags. Auf jeden Fall aber regelmäßig. Interessant sind hierbei die Beobachtungen, die der Theologe Thomas Klie in seinem Aufsatz „Ekstase auf Zeit“ (in „Praktische Theologie“, 41. Jg, Heft 2, S. 90-94) macht. Unter anderem nämlich jene, dass die Vorbereitung auf das Spiel – ähnlich einem Kirchgang oder einer Pilgerreise – schon lange vor dem Spiel beginnt. Und weil er es so schön formuliert hat, soll es hier einfach zitiert werden:
Vorspiele, ganz gleich ob sie einem Gottesdienst oder einem Ballspiel vorangehen – wollen immer auch begangen werden. Indem man sich aufmacht, folgt man dem Ruf eines Geschehnisses, das ein zeitweilig intensiviertes Leben verheißt und darum auf somatische [= körperliche, Anm. v. mir] Präsenz setzt. Fußball vor dem Bildschirm hat mit Bundesliga im Stadion so viel zu tun wie Barbie mit Heidi Klum.
Der Weg ins Stadion ist also der Weg hin zu einer Erfahrung, die man anderswo nicht oder nur schwer machen kann. Die Erfahrung einer „Ekstase auf Zeit“, die durch Medien hindurch nicht transportiert werden kann.
Der Gottesdienst
Doch das ist freilich nur der erste Schritt. Die Pilgerreise ist im Stadion zu Ende; dann jedoch beginnt die Liturgie des Fußballs. Die Hymnen, die meist schon auf dem Weg ins Stadion von torkelnden Fans ordentlich geprobt werden, erklingen nun in ihrer vollen Pracht. Fangesänge werden angestimmt, bevor es auf dem Rasen losgeht. Und bei Länderspielen ist, Hand auf’s Herz, die Nationalhymne obligatorisch.
Auch der Wechselgesang zwischen Pfarrer und Gemeinde darf nicht fehlen. Der Stadionsprecher macht mit den Vornamen der Spieler den Anfang, die Fußballgemeinde brüllt den jeweiligen Nachnamen. Die Struktur ist immer gleich, die Parallele offenbar. Und wer zum ersten Mal einen Gottesdienst besucht, kann in die liturgischen Gemeindegesänge ebensowenig mit einstimmen wie jemand, der zum ersten Mal ein Stadion besucht und mit den Namen der Spieler nicht vertraut ist.
Zu guter Letzt gibt es beim Fußball im sakralen Versammlungsraum, dem Stadion, zusätzlich noch einen Bereich, der nicht von jedem betreten werden darf: den heiligen Rasen. Nur ein sehr eingeschränkter Personenkreis hat hier Zutritt. Auch hier lasse ich wieder stehen, was Thomas Klie schreibt:
Das Spielfeld bzw. der Chorraum ist einem auserwählten Personenkreis vorbehalten; Stadion-Flitzer werden umgehend entfernt und bestraft. Denn nur die Mannschaften und ihr engster Tross besitzen das aktive Performanzrecht. Die Fan-Gemeinde kann in der Regel nur reagieren auf beim Spiel vollzogene Handlungen und Spielzüge.
Es gibt also zahlreiche Dinge, die man als Parallelen zwischen einem Fußballspiel und einem Gottesdienst aufführen könnte. Von Aufbruch zum Spiel, der Pilgerfahrt, dem Weg zum Gottesdienst samt mentaler Vorbereitung bis hin zum allerheiligsten Altarraum.
Und nun hat der liturgische Fußball-Kalender, anders als der „richtige„, Pause. Das DFB-Pokalfinale schließt die Bundesliga-Saison ab, bevor es am 9. August wieder auf den Rasen geht. Für eingefleischte Fußball-Fans eine schwierige Zwischenzeit. Irgendwie: Die Fastenzeit der Fußball-Religion.
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