Manche Menschen treten ihr ganzes Leben in der Öffentlichkeit breit. Nun gut, vielleicht nicht das Komplettpaket, aber zumindest die Momente, die eigentlich höchst intim sind. Jüngstes Beispiel: Jenny Elvers, die nach ihrem „Alkohol-Absturz“ nun eine „Alkohol-Beichte“ bei RTL ablegte. Beichtmutter war mit Frauke Ludowig passenderweise eine Frau, die sich sonst in ihrer TV-Sendung redlich Mühe gibt, möglichst private Details „prominenter“ Persönlichkeiten zu präsentieren. Streng genommen war aber aufgrund des Formates eher die ganze Nation die „Beichtmutter“, der sich Jenny Elvers offenbart hat.
Nun ist Jenny Elvers eine Frau, bei der das nicht unbedingt überrascht. Schließlich trägt sie seit jeher privateste Details durch diverse Magazine und TV-Formate. Doch offenbar besteht nicht nur bei solchen öffentlichen Personen ein Verlangen danach, sich vor einem Millionenpublikum seelisch zu entblößen. Was zum Beispiel ist mit den zahlreichen Talkshows, die noch vor wenigen Jahren das Nachmittagsprogramm einschlägiger Fernsehsender vereinnahmten? Oder mit äußerst populären Formaten wie „Domian„, dem nächtlichen Radio-TV-Talk? Geht es wirklich nur darum, ins Fernsehen zu kommen? Bei manchen ist das sicher ein nicht zu vernachlässigender Grund.
Dennoch wage ich die These, dass sich dahinter auch Bedürfnisse verbergen, die sich zum Beispiel in der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche im Bußsakrament, der Beichte, wiederfinden. Nicht umsonst wird dieser Begriff auch immer wieder bei solchen öffentlichen Offenbarungen verwendet, auch wenn dies mit der Beichte im eigentlichen Sinn nichts mehr zu tun hat. Schon allein deswegen, weil das Setting des Geschehens zum Beispiel den vertraulichen Rahmen einer Beichte und damit auch das Beichtgeheimnis ad absurdum führt.
1) Bekennen (& bereuen ?)
Wir wissen oft ziemlich genau, wenn wir etwas verbockt haben. Wenn wir nicht so gehandelt haben, wie es eigentlich angemessen gewesen wäre. Und schon ist sie da, diese innere Stimme, die uns begleitet und uns ständig ins Bewusstsein ruft, was da schief gelaufen ist: das „schlechte Gewissen“. Manche können diese Stimme vielleicht mit Geräuschen des Alltags übertönen, sodass sie vermeintlich verstummt. Anderen fällt dies nicht so leicht. Doch fast ausnahmslos gilt: Wenn es dann gesagt wurde, ist man erleichtert – man knabbert nicht mehr alleine an seiner Schuld, sondern es gibt andere, die darüber Bescheid wissen.
Dieser Fakt allein scheint schon auszureichen, um eine gewisse Erleichterung zu verschaffen. Und angesichts des Öffentlichkeitsdrangs könnte man vielleicht fragen: Ist die Erleichterung umso größer, je mehr Menschen das Bekenntnis erreicht? Nicht unbedingt. Ich denke, dass bei der Frage nach der Öffentlichkeit eher ein zweiter Faktor eine Rolle spielt. Dazu gleich mehr.
Zunächst noch ein weiterer Grund, warum wir vielleicht ein Bedürfnis haben, Dinge aus unserer Vergangenheit zu bekennen. Der Sozialgeschichtler Berthold Unfried zum Beispiel spricht unter Berufung auf den Soziologen Alois Hahn von der Beichte als „Biographiegenerator“: Die Beichte, oder vielleicht allgemeiner das „Bekennen“, veranlasst den Menschen dazu, über sein Leben zu reflektieren und biographisch geordnet Auskunft darüber zu geben. Es hat also durchaus Sinn, dass wir ein Verlangen danach empfinden, Dinge aus unserer Vergangenheit zu reflektieren, zu sortieren und in Sprache zu fassen. Vor allem in einer Zeit der Individualisierung, in der keiner sein will wie der andere und alle die eigene Individualität betonen, nimmt dieses Bedürfnis einen prominenten Platz ein. Und während immer weniger Menschen dieses Bedürfnis im Rahmen einer Beichte oder eines Seelsorgegespräches erfüllen, suchen offenbar viele Menschen die große Bühne dafür. Aber warum?
2) Vergebung & Akzeptanz
Der zweite Faktor hängt eng mit dem ersten zusammen. Denn wer seine Verfehlungen bekennt, erwartet in der Regel Vergebung und Akzeptanz. Das geschieht in der Beichte durch die Lossprechung von den Sünden. Was nun bewegt manche Menschen dazu, zu sagen: „Ich will beichten, mach das Mikro an, damit es möglichst viele hören“? Da gibt es sicherlich mehrere Ebenen, auf denen man dies betrachten kann.
Nehmen wir eine typische Krawall-Talkshow, in der Jaques-Martin seiner Freundin Lauredania-Marlies bekennt, dass er deren Schwester geküsst hat. Zuerst erzählt Jaques-Martin (ohne die Anwesenheit seiner Freundin) die unglaubliche Geschichte der Moderatorin und dem Publikum. Es liegt nahe, dass es hier vor allem darum geht, sich vor dem Publikum zu rechtfertigen, Sympathie zu erzeugen und akzeptiert zu werden. Dann nämlich verändert das die Situation, wenn Lauredania-Marlies plötzlich auf die Bühne kommt. Jaques-Martin ist nicht alleine, wie er es wäre, wenn er im heimischen Wohnzimmer direkt die Konfrontation mit seiner Freundin gesucht hätte. Er hat (berechtigte?) Hoffnung, dass es seiner Geliebten um einiges schwerer fallen wird, ihn vor Publikum zurückzuweisen. Doch handelt es sich dann, sollte Lauredania-Marlies ihm vergeben, nicht unbedingt um „echte“ Vergebung – dann nämlich nicht, wenn nicht aus Überzeugung, sondern aufrund der Umstände „vergeben“ wird. Das öffentliche Setting verdreht hier also komplett alles, was „Beichte“ im eigentlichen Sinne ausmacht.
Eine andere Ebene, auf der sich – so meine Vermutung – die TV-Beichten von Lance Armstrong oder Jenny Elvers bewegen, ist eine etwas andere. Sicherlich spielt hier auch Geld eine wichtige Rolle – davon sehen wir mal ab. Verhält es sich hier vielleicht so, dass man sich durch größeres Publikum eine „größere Vergebung“ verspricht? Oder zumindest eine höhere Akzeptanz? Bei diesen Fernsehbekenntnissen geht es letztlich ja nur darum, vor einer möglichst breiten Masse zu bekennen, was man falsch gemacht hat. Die Moderatoren sind hierbei auch nicht Beichtväter und -mütter, sondern vielmehr Mittelsleute. Der eigentliche Priester, der die Absolution erteilen soll, ist das Publikum – und damit letztlich die Gesellschaft, von der der Beichtende wieder akzeptiert werden will.
Spontan könnte man vermuten, dass klassische „Talkshows“ ihren Zenit schon vor einigen Jahren überschritten haben – das muss aber nicht daran liegen, dass das Verlangen nach öffentlichem Bekenntnis abgenommen hat. Vermutlich ist der Grund dafür viel mehr der, dass sich das Publikum inzwischen langweilt und nicht mehr genug Menschen bei diesem Seelenstriptease zuschauen würden (ausgenommen seien hier mal Scripted-Reality Shows, die mit der Wirklichkeit aber sowieso nichts zu tun haben).
Letztere Spezies, die „TV-Beichte“ bekannter Persönlichkeiten, wird uns sicher noch eine ganze Weile begleiten. Doch auch, wenn manche „Promis“ ihr gesamtes Leben öffentlich gestalten, so ist es doch eigentlich mehr als traurig, dass sie nicht einmal in diesen intimsten Momenten in der Lage sind, sich zurückzuziehen. Denn die Akzeptanz in der Gesellschaft ist nicht alles, was zählt.