Adventszeit ist Engelzeit, mehr noch als sonst schon. Denn Engel sind ungeheuer populär – um das festzustellen, reicht es schon, im nächsten Buchladen die Esoterik-Ecke aufzusuchen. In der Vorweihnachtszeit begegnen die himmlischen Wesen jedoch besonders oft. Und nicht nur das: Das Interesse an den Engeln ist zu dieser Zeit auch größer, glaubt man einer Google-Trends-Analyse, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Die Dezember-Peaks sind schon beachtlich:
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Doch ganz abgesehen davon – warum sind Engel eigentlich so populär? Oder besser: Warum ist der Glaube an Engel so attraktiv? Ich finde, das ist eine spannende Frage. Vor einiger Zeit habe ich mir darüber schon einmal Gedanken gemacht – und ich habe drei knappe Thesen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte:
1. „Blasse“ Engel passen in unsere Zeit
Die Individualisierung ist ein wichtiger Bestandteil unserer Zeit: Entscheidungen werden individuell getroffen, der Einfluss von Institutionen und Organisationen auf das eigene Leben nimmt ab, subjektive Überzeugungen gewinnen an Bedeutung und Anerkennung. Engel sind Gestalten, die sich sehr gut in dieses Gefüge einpassen: Sie kommen in allen Religionen irgendwie vor, werden aber so gut wie nie konkret „gefüllt“.
Das heißt: Ihnen wird zwar eine gewisse Autorität zugeschrieben, ohne dass sie aber schon – z.B. institutionell – belastet sind. Man könnte zum Beispiel fragen: Warum gibt es einen Engel-, aber keinen Heiligen-Boom? Vielleicht deshalb, weil Heilige zu unattraktiv sind. Sie sind „vorbelastet“ und dogmatisch gefüllt. Engel hingegen bleiben „blass“ – und sind gerade deshalb eine ideale Projektionsfläche für allerlei Sehnsüchte des Menschen. Betrachtet man die Spannweite der Funktionen und Eigenschaften der Engel, so fällt auf: Es geht stets um die (konkrete) Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses. Sei es das Bedürfnis nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Heilung, Trost oder Schutz – Engel vermögen offenbar all dies zu leisten.
2. Transzendenz wird konkret
Wer sich heutige Engelvorstellungen einmal genauer ansieht, stellt fest: Häufig ist zwar auch die Rede von einem „Gott“, der irgendwie im Hintergrund gedacht wird. In den meisten Fällen allerdings bleibt eine Gottesvorstellung äußerst vage (Stichwort: „Energie“). Faktisch sind es die Engel, die die Rolle Gottes übernehmen.
Unabhängig davon, ob nun Engel als Repräsentanten Gottes oder selbst als göttliche Wesen gedacht werden, stellen sie in jedem Fall aber – bei aller Abstraktheit – eine Konkretisierung der Transzendenz dar. Durch Engel wird eine transzendente Ebene direkt erfahrbar gemacht, durch ihr Eingreifen, in welcher Form auch immer, wird eine andere Wirklichkeit spürbar. Dabei haben Engel einen großen Vorteil gegenüber Gott: Die Zahl der Engel ist nicht begrenzbar. Die Vorstellung, dass Engel immer und überall „um uns herum“ sind, benötigt daher – anders als die Allgegenwart Gottes – keine abstrakt-theoretischen Abhandlungen darüber, wie dies möglich sei. Die Omnipräsenz der Engel leuchtet aufgrund ihrer großen Zahl unmittelbar ein. Es ist kein Problem, dass jeder seinen persönlichen Schutzengel hat.
3. Engel brauchen keinen „Glauben“
Der Engelglaube fußt fast ausschließlich auf Erfahrungen. Er bildet sich durch eigene Erfahrungen heraus und wird durch diese geformt und jeweils angepasst. Streng genommen könnte man deshalb auch die Bezeichnung Engelglaube hinterfragen, denn es wird kein Glaube gefordert, sondern eine „besondere Wahrnehmungsfähigkeit für spirituelle Energien.“ So sagt es zumindest der katholische Theologe Thomas Ruster (vgl. sein Buch „Die neue Engelreligion„). Ich denke, man kann dennoch an der Bezeichnung Engelglaube festhalten, denn Wahrnehmungen und Erfahrungen müssen individuell gedeutet werden – und damit erhält die Frage nach dem Glauben wieder berechtigten Einzug.
Entscheidend ist hier jedoch die Beobachtung, dass es zunächst um Erfahrungen geht, die der Engelglaube voraussetzt. Der Engelglaube fordert zunächst nicht das Vertrauen auf ein Glaubenssystem, sondern er bietet Erklärungen für die eigenen (Kontingenz-)Erfahrungen, auch für bereits vergangene. Durch die Flexibilität und die Beschaffenheit der Engel lassen sich diese Erklärungen auch im Nachhinein problemlos mit den eigenen Erfahrungen in Einklang bringen, ohne dass man dogmatische oder theologische Erklärungsmodelle heranziehen müsste. Thomas Ruster spricht hier von einer „Komplexitätsreduktion“ („Die neue Engelreligion“, S.60). Der Engelglaube bietet eine Möglichkeit, die komplexe (und zunehmend komplexer werdende) Erfahrung von Kontingenzen auf einen einfachen Nenner herunterzubrechen und mithilfe unsichtbarer Begleitwesen zu erklären.
Freilich sind das nur drei Gedankenstränge, die ich zudem hier noch sehr knapp gehalten habe. Ich fände es aber spannend, darüber zu diskutieren – und vielleicht weitere Thesen zu hören. Platt gefragt: Was macht Engel so toll?
Wenn ich mich richtig erinnere, dann kam der Engelglaube im Zusammenhang mit der Popularesoterik- und New-Age-Welle Anfang der 80er jahre auf. Und zwar interessanterweise im liberalen Flügel der Evangelischen Kirche. Denn dort war eine sehr verkopfte Theologie vorherrschend, die wenig Raum für individuelle spirituelle Erfahrung bot. Aber die dogmatische Liberalität ließ jeden nach seiner Facon selig werden, wenn es sein sollte, eben auch mit Engeln. Und Hei8lige als handgreiflich vorstellbare Schutzpatrone wie im Katholizismus gab es auch nicht. Damit war der Weg für die Engel frei, die diese Marktlücke ausfüllten.
Entlehnt wurden sie nicht so sehr aus der Bibel, sondern wie viele andere Vorstellungen der Popularesoterik, aus indogermanischem Kultur- und Religionsgut, dass im Abendland unterschwellig, aber doch sehr prägend präsent ist.
Dazu habe ich mir hier einmal Gedanken gemacht.