Von Netflix kann man einiges halten. Es wird ständig teurer. Ich finde nie was zum Anschauen. Aber, was man Netflix wirklich mal zugutehalten muss – ob man will oder nicht – ist, dass die Leute neue Medienformate ausprobieren. Die finanzieren einfach erstmal ziemlich fast alles. Und komischerweise nehme ich daraus in letzter Zeit viele Anregungen zum Predigen mit. Darüber, dass Predigen mit TED-Talks und Infotainment immer auch das Gehirn kitzeln und unterhaltsamer werden kann, habe ich hier schon mal geschrieben. Und darüber, wie das Netflix Original Bandersnatch Predigen interaktiver machen könnte, habe ich in der Maiausgabe der Homiletischen Monatshefte nachgedacht.
Seid einigen Tagen (Release war der 23. April) fasziniert mich die eigentlich unscheinbare Netflix-Sketch-Show I Think You Should Leave with Tim Robinson. Zugegeben, das ist eigentlich nicht viel mehr als eine Ansammlung von Gastauftritten von Saturday-Night-Live-Veteran*innen. Aber der verquere, und vor allem kompositorisch wirksame Humor von Tim Robinson bietet doch ein kleines bisschen mehr, an dem ich hängen geblieben bin. Besonders in einem Sketch aus der zweiten Folge. Dort dekonstruiert Robinson Comedy-Genres, spielt mit Erwartungen und hält sich nicht an die Regeln.
Der Sketch beginnt als Werbespot für Laser Spine Specialists, für bezahlbare Wirbel- Eingriffe, die die Lebensqualität verbessern. Das ist erstmal eine Persiflage auf US-Standard-TV-Werbung. Nach Senior*innen, die jetzt endlich wieder im Garten arbeiten und ihre Enkel*innen hochheben können, erzählt Tim Robinson selbst (mit Stalker-Brille und Windbreaker) stolz in die Kamera, dass er jetzt endlich Kraft hat, mit dem neuen Mann seiner Ex zu kämpfen (erster Bruch). Und dann dreht die ganze Angelegenheit aber noch weiter ab. Und Tim erzählt in einem weiteren Kundenerfolgsbericht: „Durch Laser Spine Specialists habe ich die Kraft wieder, um mein Geld zurückzukriegen von Super Star Records.“ Bei dem zwielichtigen und lauten Agenten hatte er 10000 Dollar investiert für eine Musikkarriere. Und plötzlich biegt der Sketch nochmal total ab (zweiter Bruch) und dreht sich – jetzt musikdokumentarisch – um das hervorragend superschlechte Rap-Album Mountain River Rap und verbleibt dort viel länger und intensiver, als erwartet. Und zum Schluss ist dann immer noch das Logo von Laser Spine Specialists in der Ecke.
Robinson verbiegt und wechselt mittendrin das Genre, innerhalb von einem Stück. Ein Werbespot wird zu einer Pop-Musik-Doku und dann wieder zum Werbespot – und drumherum ist es immer noch ein Sketch und eine Persiflage.
Ohne viel Überraschung jetzt also die Frage: Was kann man davon fürs Predigen lernen, aneignen, anfragen?
Genre-Bending
Nicht sonderlich neu ist das Collagieren von Predigt-Text-Genres. Im entsprechend neutralem Ton vorgelesen kann der Wikipedia-Artikel zu Seligkeit zum Beispiel den diesjährig etwas ‚festen‘ Karfreitagstext aus 1 Petrus herausfordern und in Spannung setzen.
Neuer wäre aber, wenn man nochmal genau auf Predigt mit dem Fokuswort ‚Genre‘ schaut. Gattung ist dann irgendwie erstmal eine biologische Anleihemetapher, von Abstammung und Klasse und irgendwie ein bisschen erbdarwinistisch. Was Robinson macht, ist dann nicht Gender-Bending – sieht ähnlich aus und ist auch wichtigerweise verwandt (Judith Butler zieht die Verbindung zwischen fluiden Erzählungsgattungen und Geschlechterkategorien z.B. anhand von Drag-Performance) – sondern Genre-Bending oder von mir aus auch Gattungs-Bashing oder angewandter Dekonstruktivismus.
Also innerhalb einer Klassen-Rahmung religiöser rhetorischer Rede unauffällig oder weniger unauffällig, aber dafür umso eindrücklicher aus einem Wunderbericht eine True-Crime-Geschichte machen oder mit einer Toledoth-Liste einsetzen und am Ende eine Prophezeiung draus machen – das wäre die Idee.
Doch komischerweise, wenn ich Kolleg*innen zu sammeln frage, kommen gar nicht so viele Genres des Predigens zusammen: Lehrpredigt, Dramaturgische Predigt, Homilie, Mediative Predigt, Three-Points-and-a-Prayer und vielleicht noch ein halbes Dutzend mehr. Kein Vergleich mit den langen Theater- und Journalismus-Genrelisten, die sich online z.B. auf Wikipedia sofort finden lassen. Und die man natürlich gleich auch mal als Predigtgenre ausprobieren könnte. (Besonders reizvoll finde ich dabei „Zauberstück“.)
Niemand hat das für mich besser und radikaler ausgedrückt als Matias Faldbakken, der Houellebecq des kühlen Nordens, wenn seine Charaktere z.B. in Macht und Rebell als Maxime sagen: Fuck the Genre! Da geht dann konsumgeeignet gemachte Subkulturprosa so von Bord, dass ein aufsteigender Schreiberling Mein Kampf hineinkopiert und verwurstet – die extremstmögliche Form von Genre-Breaking. So geht genre-technische Kritik am Einverleiben von Subkulturliteratur mit härtesten Mitteln. Genre-Bending und -breaking bleibt ein Trend. Für UncleanArts.com ist das Genre nur eine Ansammlung von Clichés, Konventionen und Immer-schon-Dagewesenem – ein Korsett, das Schreibende lähmt.
Saurer Genre-Teig und rhetorisches Hijacking
Aber ich finde, das Transformatorische frohbotschaftlichen Redens von Gott, Geist, Sohn, Mahl, Bad, Gemeinschaft und Geschichte liegt vielleicht gar nicht mal darin, dass Genre zerstört werden müssen, sondern eben in der narrativen Umkehr von innen, im Genre-Wechsel genau wie beim Gleichnis vom Sauerteig. Jesuanisch ist dazu doch vielleicht am ehesten die Praxis von rhetorischem Hijacking und Genre-Transformation. Die Situationen im Leben aus den Evangelien fangen bei einer Sache an, z.B. die Jünger haben Hunger (Mk 2) – und die Geschichte geht plötzlich in eine ganz andere Richtung – und es geht um König David und Nachfolge. Oder ein parodistischer Triumphzug in die Hauptstadt kippt heftig in eine Leidensgeschichte – in eine Schreckensgeschichte und wieder in eine Hoffnungsgeschichte. Lauter Genre-Abbiegungen und -Brechungen. Auf einer höheren Ebene verschieben die Evangelien insgesamt das Genre von Herrscherbiographie zu Auferstehungsnarrativ.
Vielleicht hilft es, das wieder stärker auszuprobieren, mit dem Bibelrede anfing: Mit einem Genre anfangen, Konventionen übernehmen, Nachahmen, rhetorische Stärken ausnutzen – und es dann gerne kippen lassen, wild wuchern, sich transformieren lassen. Vielleicht mit einer Jesuspredigt, die als Werberede anfängt, mit aller Kunst, die dazu gehört und dann umschlägt und wechselt in ein Sprechen von und in wirklicher Seelsorge. Und so tiefer geht. Das Biegen innerhalb und zwischen Genres von Predigt, mit Kopieren, Imitieren und Transformieren von dem, was Menschen sonst so hören, könnte also nicht nur rhetorische Spielerei sein, sondern komischerweise sogar wieder bibeltreu.