Vor einigen Tagen ging ein Experiment schief. Ich finde mich in einem kleinen Raum mit 20 Konfirmand*innen, die hochagitiert auf einen gutmeinenden Informatik-Studenten aus dem Kreisjugendkonvent einreden. Das Referat war vorbei. An der Wand leuchtet das Sicherheitsmodell von Threema „seriously secure messaging“. Und völlig unerwartet fand ich mich in der Rolle eines verlorenen Unheilpropheten in einem Raum voller wütender junger Menschen, die ich sonst noch nie so erlebt hatte. Denn abgenommen haben die Konfirmand*innen uns das nicht.

Für mich klingt das irgendwie nach Verschwörungstheorie!

Hände- und hirnringend suchten mein Jugendmitarbeiter und ich nach Szenarien, um die Bedrohung durch Big Data für die Jugendlichen nachvollziehbar zu machen –  „Die ganzen Leihfahrräder in Berlin benutzen chinesische Firmen, damit sie Bewegungsprofile abgreifen und zu Geld machen können.“, „Payback-Karten rechnen nach Einkaufsprofilen besser aus, wann jemand schwanger ist, als eine Hebamme.“ „Metadaten machen es möglich, jeden von euch zu finden und sogar vorherzusagen, wo ihr als nächstes hingehen werdet.“ – Was dabei ankam war wenig mehr als: Bedrohung. Nicht durch Big Data, sondern durch uns.

Ein Angriff auf ihre Lebenswelt, in der WhatsApp und Instagram fest integriert sind, in der personalisierte Werbung erwünscht ist und nicht weh tut. „Wen interessieren denn meine Daten?“ und „Für mich klingt das irgendwie nach Verschwörungstheorien?“ und „Ich kann doch YouTube auf anonym stellen, dann kann keiner meinen Verlauf sehen“.

Bedrohungsszenarien als Angriff auf die Lebenswelt

Vielleicht hätte ich besser die Stasi-Christen-Verfolgungs-Keule ausgepackt. Aber das ist mir in dem Moment nicht eingefallen und das wäre auch nicht gerade aktuell. Ich war baff und ich fühlte mich schlecht. Gefühlt hatte ich plötzlich einen Aluhut auf und sprach von Chemtrails. Aber dieser Angriff war nötig – nur eben nicht sehr elegant. In der kirchlichen pädagogischen Arbeit haben wir gute Gründe, besonders sichere und besonders komplizierte Anwendungen für die Kommunikation zu verwenden: Daten-, Kinder- und Jugendschutz und eben die Monetarisierung von Informationen durch Big Data. In meinem Kopf und im Kopf von vielen Jungendmitarbeitenden macht das total Sinn. Aber es ist noch längst nicht so einfach diese Überzeugungen an junge Menschen, die wirklich digital natives sind zu vermitteln.

Datensicherheitstheologie?

Und was hat das überhaupt mit Religion und Gott zu tun? Wie kann ich Datensicherheit pädagogisch und theologisch sinnvoll vermitteln, ohne über Bedrohungsszenarien zu gehen?

Religiöse Gemeinschaften haben einen Auftrag, eine Diskussion um Datensicherheit zu starten – nur irgendwie besser… Immerhin passiert da mal was. Bei wütenden Jugendlichen hat man mit Ernst Langes Streitkulturtheologie im Hinterkopf religionspädagogisch auf Gold gestoßen. Es gilt, weiterzugraben, auch in unseren Büchern (…bevor wir unsere Datenbanken aufmachen).

Im Christentum geht es doch im Wesentlichen um Fairness, um gleiche Sichtbarkeit und Repräsentation für alle. Schöpfungstheologisch sind Menschen ganzheitliche Wesen aus Fleisch und Blut und Seele und sie lassen sich nicht letztwirksam über Metadaten vermessen und kontrollieren. Irgendwo ist ihre Identität auch ein Ausdruck ihres persönlichen Verhältnisses zu Gott – hoffentlich sogar so weit, dass man diesen Teil des Lebens irgendwann effektiv dem quantitativen Big-Data-Ansatz entgegensetzen kann – wenn der Credit-Score zu gering ist oder der schlechte Wohnort sich für ein Service-Angebot nicht mehr lohnt.

Auch das wäre ein Ansatzpunkt gewesen: Der inhärente Rassismus und die Misogynie von KI-Algorithmen – nur irgendwie elementarisierter. Oder die strategische Verschleierung von Datenverwertungen und die ungerechtfertigte Weiternutzung von Daten – dagegen muss Kirche was sagen. Aber dafür muss sie das erstmal sinnvoll sichtbar machen. Vielleicht ist es dafür gut, auch bei den Vorteilen von Big Data anzusetzen und ihre emanzipatorischen Kräfte auch für andere – mein Gott – sogar für Gemeindeaufbau einzusetzen. Wenn KirA 2.0 nicht streikt.

Daten-Emotionen

Daten, auch das wird klar, sind eben nicht nur eine intellektuelle Angelegenheit, nicht abstrakt, sie werden ganz schnell emotional, wenn wir damit gerne für unsere Kommunikation, unsere Verbindungen mit der Welt bezahlen und uns das jemand wegnehmen will – mit der Jugendwelt fernliegenden Horrorszenarien von Geheimdiensten und obskuren Ausbeuterfirmen.

Schließlich machen das alle – nur Kirche sieht wieder nur Probleme und Angst.

Daher gilt auch umgekehrt: Die hermeneutischen Fertigkeiten von Theolog*innen müssen auch auf die Sicht des Menschen als Datenkonnex erweitert werden. Wir sind doch schließlich Expert*innen im Interpretieren und sollten uns daher in das Interpretieren und Verwenden auch der Großen Datenwolken einklinken.

Der Weg kann jedenfalls gerne weg vom Bedrohungsszenario und weg von einer reinen Verschanzung und Reaktion zu einem pro-aktiveren dialogischen Engagement mit den neuen Datenwissenschaften – oder gehört das wirklich zu einem Feld, aus dem sich Kirche raushalten, wo sie mit Niebuhr gesprochen „Jesus gegen die Kultur und Technologie“ sein soll. Dann muss sie und muss ich darin aber sprachfähiger werden.

4 Antworten auf &‌#8222;Big Data, little church&‌#8220;

    1. Vielen Dank für die freundliche Zusammenfassung und für die Einsicht, die ich aus ihr mitnehme, dass es wirklich nicht bei den Jugendlichen aufhört oder anfängt!

  1. Der Artikel stimmt mich nachdenklich. Liegt es etwa daran, dass wir Christinnen und Christen im Sinn einer negativen Anthropologie, früher Sündenfall oder Erbsünde, immer rin (aktuelles) Haar in der menschlichen Suppe suchen und finden? Könnte die Reaktion der Konfis vielleicht daran liegen, wie mein Sohn sagte, dass sie das Problem in der Konfi Whatsapp Gruppe tatsächlich noch nicht tangiert? Kann ja schon später anders sein, wenn man mit der Oberstufe einen Ausflug in den Hambacher Forst macht. Wir haben vor ca. 40 Jahren ähnliche Erfahrungen mit einem Planspiel zum Thema 3. Welt gemacht.

    1. Lieber Christoph Fleischer,

      genau, ich glaube ganz bestimmt, dass es darum geht, argumentationsfähiger zu werden, wo und wie solche abstrakten Themen das Leben von jungen Menschen tangieren können – ohne gleich Unheilsprophet*in zu werden.
      Das geht mir übrigens nicht nur bei Datensicherheit so, sondern auch beim Thema Gendergerechtigkeit.

      Auf jeden Fall ist das ein wichtiges Thema und ich finde es richtig gut, dass die Konfirmand*innen jetzt mit ihren Eltern darüber reden, die sehen das nämlich teilweise genauso aber manche sind plötzlich total aktiv geworden und haben sich richtig in die Datenwelt ihrer Kinder eingearbeitet.

      Nur theologisch und politisch hängen wir wirklich hinterher, gerade jetzt wenn Facebook noch eine Kryptowährung startet…

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