Obi-Franz Kenobi. (Bilder: Wikipedia/gemeinfrei)

Pop kreiert Chaos in der Schule. Aber gutes Chaos. Im Religionsunterricht einer fünften Klasse zeigt ein Schüler auf ein Bild von Giotto mit Franziskus von Assisi und ruft immer wieder: Obi-Wan Kenobi! Obi-Wan Kenobi! Die Stundenplanung ist dahin. Denn: Pop-Wissen macht sich ungeplant zum Gegenstand. Ein spontaner Bildvergleich von Jedi-Roben und der Kleidung des Franziskaner-Ordens (zum Glück ist da ein internetfähiger PC) bringt die Deutungskompetenz der Schüler_innen zum Scheinen: Es geht, ganz klar, bei dieser Kleidung um Armut, Einfachheit, Gewaltverzicht. Die Schüler_innen entdecken und beschreiben mit ihrem Pop-Bildgedächtnis Motive jüdisch-christlicher Ikonographie, die sich wiederum von klösterlichen Reformorden bis durch die Welt des Mainstream-Films zieht.

Jerusalem und die Todessterne

In einer siebten Stunde ruft eine Schülerin „Genau wie beim Todesstern“ als es um die Eroberung Jerusalems durch König David geht. Auch der geplante Ablauf dieser Stunde zu 2. Sam 5,6-11 ist dahin. Und das Lehr- und Lerngeschehen wird viel besser. Schaut man auf die Bilder, wird die Parallele deutlich, wie sie erst die Schüler_innen hergestellt haben. Alle drei Todessterne teilen mit der Eroberung Jerusalems: Jedes Verteidigungssystem hat irgendwo einen Schacht, einen Tunnel, einen Schwachpunkt und die Unterlegenen werden zu Siegern. „Genau darum geht’s doch in Rogue One“ – „Hey keine Spoiler!“. Die Schüler_innen vergleichen das Eindringen der Kommandotruppen Davids mit der Eroberung von Helms Klamm im Herrn der Ringe. Ein Schüler erzählt die Eroberung Trojas nach. Gemeinsam entwickeln sie eine ikonographische Genealogie, eine Karte pop-kultureller Zitate. Andere Lehrer und Schüler_innen, die nach der Stunde reinkommen, wundern sie sich über die Mischung aus Bibelzitaten und Skizzen von Festungen und Todessternen an der Tafel und fragen nach.

(Bilder: Kursbuch Religion Elementar 5/6, [hier] und Wookieepedia)

Im Ethikunterricht in der zehnten Klasse begibt sich der Fachbereichsleiter in einen Star-Wars-Trivia-Wettbewerb mit seinen Schüler_innen. „Zieht euch mal das Christmas-Special rein, da verliert ihr jeden Respekt. Das ist das Schlimmste, was man als Fan hinnehmen muss“. Star-Wars-Wissen wird zu einem Autoritätsspiel, das immer wieder im Unterricht auftaucht. Lehrkräfte buhlen darum, ihren Coolness-Faktor aufrechtzuerhalten, Relevanz und Verbundenheit mit dem Zeitgeist nachweisen zu können. Schüler_innen wiederum können sich auf Popwissen zurückziehen, dass die Lehrkräfte nicht kennen (können). Der neutrale, weil massenmäßig allgemeine Raum des Pop-Religiösen kann zum Begegnungsort werden, nur wenn es ‚no man’s land‘ bleibt. Wie Peter Pans Neverland, eine Zone, in der die Schüler_innen wissen, wie man fliegt – und nicht die Erwachsenen.

Pop-Ikonographie und unerwartetes Wissen als Drittes im Unterricht

Neu und erstaunlich ist daran, wie stark sich Pop, wie intensiv sich Populärkultur, also für „Massen“ erzeugte Alltagspraktiken, Bilder und Vorstellungen in Unterrichtssituationen gerade aufzudrängen scheinen, wenn es um Religion und religiöse Motive geht. Schüler_innen können besser als Lehrende die Lade als gefährlich, gesichtsschmelzend und heilig besser erklären mit Jäger des Verlorenen Schatzes – und gleich noch christologisch zuspitzen mit der Frage nach dem Gral eines Zimmermanns. Schüler_innen erschließen sich selbst die Macht und Heiligkeit des Namens Gottes in Ex 3,4 mit Analogien von Voldemort in den Harry-Potter-Romanen, dessen Name nicht genannt werden darf oder mit dem „urban myth“, nicht vor dem Spiegel dreimal „Bloody Mary“ sagen zu dürfen. Religiöse Pop-Ikonographien durchziehen die Mainstream-Medien genauso wie sie den Religionsunterricht durchziehen. Pop-Religiöses macht sich selbst zum Gegenstand des Unterrichts. Es funktioniert in einer Sphäre zwischen Lehrenden und Schüler_innen. Sie können sich in der Sphäre des Populären, des Massenkulturellen treffen und auf eine dritte – auch religiöse – Sprache einlassen.

Für Lehrende bedeutet das, sich auf pop-kulturelles Vokabular einzulassen – und mindestens Star Wars, Marvel, DC, Herr der Ringe und Harry Potter bzw. Phantastische Tierwesen zu pauken. Damit lassen sie sich auf die Deutungs-Instrumente ein, die Schüler_innen permanent in den Unterricht einbringen. Es geht aber nicht darum, dann etwas Fertiges vorzugeben, um zu beweisen „ich kenn‘ mich aus und versteh‘ euch“. Es geht nicht darum, den Schüler_innen OMG von Marteria hinzuknallen und zu erklären „so bitte schön, da geht’s um Gott“. Es  geht darum, sich auf Unberechenbares einzulassen, zu sammeln und zu verstehen, was von den Schüler_innen an religiös-populären Deutungen im Unterricht erscheint: Nicht mitreden, sondern von den Schüler_innen Gesagtes mit etablierter und explizierter religiöser und theologischer Sprache verbinden, auffüllen und erweitern. Und wenn sich Schüler_innen auf Popkulturelles zurückziehen, das Lehrende gerade nicht verstehen können und/oder sollen, ist es nicht an den Lehrenden sie zu verfolgen und zu bohren. Populärreligiöses bringen Schüler_innen freiwillig und selektiv zum Vorschein.

Popkultur wie sie zur Lebensgestaltung „benutzt“ und gedeutet wird, dreht die Machtverhältnisse des Unterrichts um. Die Schüler_innen besitzen das körperlich verfasste und im Benutzen weitergegebene Wissen  (Repertoire) und die schriftlichen und bildlichen Quellen (Archive) von Popreligion – und eben gerade nicht die Lehrpersonen. Populäre religiöse und quasi-religiöse Deutungs- und Handlungskompetenzen liegen entweder eindeutig im Verfügungsbereich der Schüler_innen oder Popkultur kommt als etwas Drittes zum Unterricht dazu, das zwischen Lehrkraft und Schüler_innen eine eigene Wirkmacht entwickelt, eine unverfügbare und unvorhersehbare Übersetzungsleistung in den Religionsunterricht hinein. Das ist nichts anderes als die Weiterführung der religionsästhetisch-ikonographischen Kompetenzen, wie sie heute schon lange für die Entschlüsselung und Lebensorientierung, den Genuss und die Auseinandersetzung mit immer komplexeren Filmen, Serien, Comics, Podcasts oder Memes notwendig sind, deren religiöse Sinndimensionen oft nicht expliziert werden, aber dennoch wirksam bleiben. Schüler_innen verfügen in ihrer Lebenswelt über religiöse Kompetenzen, die mit einer Vermischung aus Alltags- religions- und pop-kulturellen Deutungskategorien einher gehen – weit entfernt von den oft zirkulierten Klagen vom Verfall religiöser Kenntnisse, eher in sträflicher Missachtung des populären Vorwissens der Schüler_innen als Nichtwissen.

Theologe Tarantino? – Ester und Inglourious Basterds

Königin Ester und Shoshanna. (Bild: Andrea de Castagno | Inglorius Basterds)

Wie kann Pop und Theologie sich konkret und gegenseitig im Unterricht bereichern? Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Die Vernichtungsszene der Nazi-Elite am Ende von Quentin Tarantinos Inglorious Basterds ist durchwachsen von Zitaten zum Buch Ester. Gerade im Buch Ester sind Gott und Religion nur indirekt Thema. Ester ist ein Extrembeispiel für implizite Religion in einem Narrativ, das von Rachephantasien geprägt ist. So schreibt Elijah Davidson über die Parallele:

Eine junge jüdische Frau versteckt ihre Identität, freundet sich mit dem Hofstaat der Nazis an und benutzt ihre Macht um die Feinde ihres Volkes während eines großen Festes (einer Filmpremiere) auszulöschen. Inglorious Basterds ist mehr als ein Remix von WWII. Es ist eine Neuerzählung von Ester, wie nur Tarantino sie erzählen kann. Als eine wahre Geschichte gäbe es für Ester wenige Gründe zur Erklärung, warum am Ende 75.000 Menschen massakriert werden. […] Aber wenn wir die Geschichte als eine Fiktion lesen, und verstehen wie die Filme von Tarantino, als Geschichte, die für eine bestimmte (Rache-)Vorstellung geschrieben wurden, dann zeigt sich die Sehnsucht nach einfacher, brutaler und reiner Gerechtigkeit in Ester wie in Inglourious Basterds. Wenn wir außerdem Inglourious Basterds und Ester beide als gleichberechtige Fantasiegeschichten verstehen, öffnet das den (Galgen-)Humor, die dramatische Ironie und die Übertreibungen durch die Geschichte hindurch.Elijah Davidson, Inglourious Basterds, Esther, and the Silence of God (Übersetzung B. Schirr)

Das Nebeneinander von Pop und Bibelnarrativ ermöglicht beide Mediatisierungen neu und tiefer zu erschließen.    

Popkultur, implizite Religion und ordinary theologies

Religionspädagog_innen und Theolog_innen wie Jeff Astley und Edward Bailey  sprechen davon, dass im Alltag, wie vielleicht auch in den Mainstream-Medien, Filmen, Memes, Vines, Marvel und DC-Universen Religion nicht explizit, sondern indirekt oder implizit begegnet. Astley geht weiter als Bailey und spricht von „ordinary theologies“ – populäre und massentaugliche Bestände von Wissen, von Erfahrungen mit Gott und ihren Deutungen, die gerade nicht von Expert_innen verwendet werden. Sie sind nicht „theologically correct“, nicht von studierten Autoritäten abgesegnet, sondern theologisches Wissen in der Sprache des Alltags – unsauber, hybride, beinahe synkretistisch – und oft von Gewaltdarstellungen durchzogen. Es ist nicht das Wissen, das die Menschen hervorholen, wenn sie von Praktischen Theolog_innen mit Fragebögen gefragt werden, sondern das Wissen, das sie benutzen, wenn es ernst wird.

Ist dieses Pop-Wissen gleichberechtigt mit den theologischen Wissensbeständen, die an Universitäten und Seminaren weitergereicht werden? Bedeutet, es zu finden und zu benutzen vielleicht „den gemeinen Mann [Frau, Schüler_in] auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen“ wie Luther im Sendbrief zum Dolmetschen schreibt – und zwar auch für theologische Deutungen populärer Massenkultur? Ist es im Sinne Luthers von Gott in den Bildern und Worten von Marvel Comics zu sprechen? Gehört Lala-Land in eine Predigt? Ergänzt das die theologischen Repertoires und Archive um die Zitierungen und Weiterentwicklungen, Mediatisierungen und Filtrierungen des Religiösen im Mainstream?  Kann man Theologie in allem sehen, von Westworld bis zu den Muppets? Oder muss es nicht Bereiche geben, die ganz un-theologisch bleiben, in denen Gott einen auch mal in Ruhe lässt und ein Motiv auch ohne Transzendenzverbindung funktioniert? Oder bedeutet, Pop-Wissen als theologisches Wissen anzuerkennen, dass Grenzen sich nicht so einfach ziehen lassen, sondern Heilig und Profan immer wabernder ineinander schwappen?

Eine Antwort auf &‌#8222;Franz von Assisi meets Obi-Wan: Pop-Theologie(n) im Unterricht&‌#8220;

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