Die Welt mit anderen Augen sehen

Geocaching-Utensilien
Ein „Cache“ und sein Inhalt. (Bild: cachemania/flickr.com unter cc-by-sa)

Achtung, ein kleiner Test:

„Die Kords des Finals waren ein bisschen off, aber zum Glück war der Cache kein Nano sondern ein Micro, sodass wir diesen schönen Multi flott loggen konnten – auch dank des geringen Muggelaufkommens an der letzten Stage. Haben eine Coin mitgenommen und einen Travelbug hinterlassen. TFTC an den Owner!“

Na, verstanden? Falls nicht oder teilweise: Keine Sorge, alles ist gut. Der Rest des Artikels wird in verständlicher Sprache geschrieben. Versprochen.

Wenn Geocacher sich unterhalten, dann kann das für Außenstehende mitunter recht verstörend sein, denn nicht selten hört sich die Unterhaltung an wie obige Zeilen. Geocaching ist ein Hobby, dass sich seit mehr als 10 Jahren wachsender Beliebtheit erfreut. Die meisten werden – zumindest vage – davon schon gehört haben. Das Prinzip ist einfach und schnell erklärt: Jeder Geocacher besitzt ein mobiles GPS-Gerät (oder inzwischen einfach ein Smartphone), mit dem er beliebige Koordinaten über Satelliten ansteuern kann, ganz wie bei einem Navigationssystem im Auto. Andere Geocacher verstecken nun einen „Cache“ (= ein kleiner Behälter, etwa eine Filmdose) an einem beliebigen Ort. Dann veröffentlichen sie die Koordinaten des Versteckes im Internet – dort können die Mitspieler diese nun abrufen und mit ihrem Navigationsgerät zu dem Versteck marschieren, um den Behälter zu suchen. In diesem Behälter befindet sich ein Logbuch, in das sich der Finder eintragen muss. Auch auf der entsprechenden Webseite hinterlässt der Finder schließlich einen Kommentar, dass er den Cache gefunden hat. Das war’s im Prinzip schon, wenn man das Grundgerüst des Geocachens erklären möchte – freilich gibt es viele Modifikationen und Feinheiten, die das ganze noch komplexer machen. Aber an dieser Stelle soll das genügen.

Geocaches können wirklich überall versteckt sein und jede erdenkliche Größe haben. Von dem fingernagelgroßen Behältnis, dass mit einem Magnet an einem Zaun befestigt ist, bis hin zur Piratenschatzkiste, die mitten im Wald steht. Nichts ist unmöglich. Die einzige Bedingung: Ein Cache muss für ungeübte Augen fast unsichtbar sein. Nur wer ihn sucht, sollte ihn finden – denn das macht den Reiz daran aus: Nicht-Eingeweihte, von Geocachern liebevoll „Muggel“ genannt (in Anlehnung an die Nicht-Zauberer bei „Harry Potter“), sollen ahnungslos bleiben. Geocacher schaffen sich somit keine Spielwelt, wie es etwa bei PC- oder Brettspielen der Fall ist. Sie machen die Welt zu ihrem Spiel.

Veränderte Wahrnehmung der Welt

Der Religionswissenschaftler (und Geocacher) Fabian Perlini-Pfister beschreibt in einem Beitrag in dem Buch „Vom Avatar bis zur Zauberei. Religion im Spiel“ ganz interessant, wie man durch diese Verflechtung, in der es dann gewissermaßen kein „Austreten“ aus einer Spielwelt mehr gibt, die Welt anders wahrnimmt. Perlini-Pfister: „So beginnen Geocaching-Spieler, die mit der Zeit ein Gespür für Verstecke entwickelt haben, auch spontan und ohne Anhaltspunkte in dunklen Ecken ein Versteck zu vermuten. Allein das Bewusstsein der Möglichkeit, dass an einem Ort etwas versteckt sein könnte, verändert die Wahrnehmung der Umwelt.“

Man kann ihm hier nur zustimmen. An besonders interessanten oder ausgefallenen Orten spürt man nicht nur die Faszination, die von den Plätzen selbst ausgeht. Ganz unvermittelt schießt einem auch der Gedanke durch den Kopf, dass hier vielleicht ein Cache versteckt sein könnte – dank Smartphone ist es heutzutage auch ziemlich einfach möglich, herauszufinden, ob man damit richtig liegt. Und das ist häufig der Fall. In Geocache-Hochburgen (zum Beispiel Berlin-Zentrum) liegt circa alle 200 Meter ein versteckter Cache, und tausende Passanten ziehen täglich ahnungslos daran vorbei. Weltweit gibt es inzwischen knapp 1,9 Millionen solcher Verstecke.

Unterwegs mit dem GPS-Gerät
Ja, der Autor ist auch ein Geocacher. Hier unterwegs in Berlin mit dem GPS-Gerät (Bild: fm/TheoPop)

Merkwürdige Gemeinschaft

Von den „Muggels“ heben sich Spieler nicht nur durch ihre veränderte Wahrnehmung, sondern auch durch ihre – sehr eigenwillige – Sprache ab.  Ähnlich den Beobachtungen, die schon bei facebook-Sektencheck gemacht wurden, gilt auch beim Geocachen, dass durch die exklusive Sprache Gemeinschaft geschaffen wird. Und wie exklusiv die Sprache ist, zeigt das einleitende Beispiel am Anfang dieses Beitrages: Man könnte diesen kurzen Absatz nicht ohne Weiteres in eine für Jedermann verständliche Sprache zu übersetzen, ohne dieser Person zugleich eine ausführliche Einleitung in das Spielsystem des Geocachens mit all seinen Komplexen zu geben.

Die Gemeinschaft unter Geocachern ist dabei eine merkwürdige. Denn man kennt sich in der Regel untereinander nicht. Und suchen dann mehrere Spieler zur selben Zeit das selbe Versteck, kann es schon einmal zu gegenseitigen Behinderungen kommen – denn oberste Prämisse beim Spielen ist es, unentdeckt zu bleiben. Vermutet man nämlich in seinem unbekannten Mitspieler einen „Muggel“, macht dies die Suche unnötig schwer. Doch einmal erkannt, ist das verbindende Moment schnell gefunden.

Mission im Cache

Ganz direkt findet der Glaube bei Geocachen Einfluss: Caches sind beliebte Ablagebehälter für christliche Flyer und Traktate. Man kann diese Art der Mission gut finden oder nicht. Fakt ist: Viele Christen scheinen Geocaching als Missionsplattform entdeckt zu haben.

Auch für das Geocaching selbst wird aber mitunter fleißig missioniert. Einladungen, es doch einmal selbst auszuprobieren, sind keine Seltenheit. Und wer in seinem Freundeskreis begeisterte Geocacher hat – es würde mich wundern, wenn eine solche Einladung noch nicht ausgesprochen wurde. Es werden Geschichten erzählt, die man beim Cachen erlebt hat, und es werden Gründe aufgeführt, warum dieses Spiel für Mensch und Natur sinnvoll ist. Und wenn an einem Tisch zwei oder mehr Geocacher sitzen, kann es durchaus vorkommen, dass es dort kein anderes Gesprächsthema mehr gibt.

Interessant fand ich einen Thread in einem Online-Forum, in dem es um eine Geocaching-Veranstaltung, die manchen offenbar „zu religiös“ war. Ein Diskussionsbeitrag war folgender:

Um, this isn’t a religion?

We look for guidance from an unseen force in the sky… we get on our knees to search for the truth… usually throwing in a prayer ‚please be here’… We journal about our experiences… we gather to offer thanks to those who have sacrificed for us… There are books offering truth about it (at least for dummies)… and we try to convince others to join… and talking about it can really annoy our non believing friends…

Häufig wird Geocachen mit einer „modernen Schatzsuche“ verglichen. Und das trifft es auch ganz gut, denn für den Spieler ist jeder gefundene Behälter wie ein kleiner Schatz – wenn auch ohne (wertvollen) Inhalt. Aber für den ehrgeizigen Cacher zählt sowieso etwas anderes: Punkte. Für jeden gefundenen Geocache bekommt man auf der zentralen Internetplattform, auf der die Koordinaten veröffentlicht werden, einen Punkt. Man sammelt sich seine Schätze. Doch auch für diese gilt, wie für alles andere:

Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

(Mt 6,20)

Quest – ein Held sucht nach Gott

„Was ich jetzt will, ist nur noch vor Gott hinzutreten und ihm zu sagen, dass er eine verdammt ungerechte Welt geschaffen hat. Und ich werde Rechtfertigung von ihm verlangen.“
(Eftalan Quest, Romanfigur)

Das ist nicht der Planet des Ursprungs. Sieht aber gut aus: NGC 2392, besser bekannt als der „Eskimonebel“ im Sternbild Zwillinge. (Quelle: NASA)

Eigentlich sind „Lasst-uns-mit-Lichtgeschwindigkeit-durch-die-Galaxie-sausen-Romane“ gar nicht mein Fall. Ich mag keine Science-Fiction. Eher mehr als weniger versehentlich geriet ich an die Hörbuchausgabe von Quest, einem Roman von Andreas Eschbach. Und da ich es nun schon besaß, hörte ich mir es auch an. Ich war am Ende überrascht, eine tief religiöse Heldenfigur vorzufinden: Eftalan Quest, nach dem dieser Roman benannt ist. Doch kurz zur Handlung.

Kurz und knapp beschreibt Amazon den Plot so: „Das Reich Gheera steht vor dem Untergang. Die Verteidigungskräfte haben keine Chance gegen die übermächtigen Legionen des sagenhaften Sternenkaisers, dessen Machtgier keine Grenzen kennt. Der endgültige Fall ist nur noch eine Frage der Zeit. In dieser Situation begibt sich der Kommandant Eftalan Quest, ein ehrgeiziger Mann, der sein Schiff mit harter Hand führt, auf eine schier aussichtslose Expedition: Er will den sagenhaften Planeten des Ursprungs finden – die Welt, von der angeblich alles Leben im Universum stammt.“

Darum geht es in dem Roman: Eftalan Quest, selbst von Beginn des Buches an todkrank, sucht den Planeten des Ursprungs. Doch warum? Diese Frage wird immer wieder gestellt, doch erst gegen Ende beantwortet. Und der Moment der Beantwortung ist derjenige, an dem sich das tief religiöse Ansinnen des Romanhelden offenbart. Denn Quest erwartet, auf diesem Planeten keinem Geringeren zu begegnen als Gott selbst. Der  Kommandant ist der festen Überzeugung, dass es auf dem Planeten des Ursprungs möglich sei, Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. „Seit ich davon gehört habe, hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, genau das zu tun“, sagt er, im Sterben liegend.

„Eine ist furchtbarer als die andere“

Was Quest treibt, ist die Aussicht, Antworten auf elementare Fragen des Lebens zu bekommen. Quest selbst hat in seiner imaginären Vergangenheit eine kriegerische Katastrophe überlebt, die Fragen aufkeimen lässt, die so alt sind wie die Menschheit selbst:

„Zuerst wollte ich ihn fragen, warum die zwei Milliarden von Tojokan sterben mussten und Gott ausgerechnet ich vor dem Tod bewahrt wurde. Ich wollte, dass Gott mich den Sinn dahinter verstehen lässt. Ich war bereit, mich ihm zu Füßen zu werfen. Um eine Antwort zu bitten, in der Hoffnung, dass dadurch der Schmerz in meiner Seele und in meiner Erinnerung geheilt würde.“

Zu Beginn der Reise ist Quest noch demütig gegenüber diesem Gott, den er sucht. Er sagt:

„Ich bin nur ein Geschöpf, aber ich bin eine Identität. Ich empfinde, und ich denke, und ich kann mich freuen und ich kann leiden. Wenn Gott allmächtig ist, bin ich ihm natürlich ausgeliefert. Aber es muss mir nicht gefallen, was er mit mir macht. Und was er da mit mir gemacht hat, gefällt mir ganz entschieden nicht. Ich wollte, dass er das erfährt. Da er allwissend sein soll, weiß er es wohl. Aber ich wollte es ihm sagen.“

Quest formuliert weitere Fragen, die er Gott stellen möchte, wenn er ihm auf dem Planeten des Ursprungs begegnet. Warum müssen geliebte Menschen, die so viel Gutes tun, ohne Vorwarnung sterben? Warum erlangen Menschen, die anderen schaden, häufig so viel Macht? Sein Resümee: „Es ist der Fragen kein Ende. Und eine ist furchtbarer als die andere.“

Die Sinnfrage fliegt durch die Galaxie – und mit ihr die Religion

Gott suchen - einmal quer durch's Universum?
Gott suchen – einmal quer durch’s Universum? (Bild: NASA)

Nicht nur der Romanheld Eftalan Quest hadert mit solchen Fragen. Und diese Fragen werden auch nicht nur in der Fiktion gestellt. Das Interessante daran: Eftalan Quest lebt in einer Welt, die man sich technisch fortgeschrittener kaum vorstellen kann. Es ist ihm möglich, innerhalb weniger Monate von einer Galaxie zur nächsten zu reisen. Und dennoch, so ist es zumindest in der Vorstellung des Autors Andreas Eschbach, quälen ihn noch die selben Fragen, mit denen die Menschen schon vor Jahrtausenden gerungen haben.

Immer wieder wird bis heute die alte Säkularisierungsthese vertreten, Religion verschwinde mit der Weiterentwicklung der Gesellschaft. Vor allem unter Religionskritikern ist es sehr beliebt, die Religionslosigkeit auf einer höheren intellektuellen Entwicklungsstufe zu verorten als den Glauben. Man braucht sich dazu zum Beispiel nur ein wenig im Internet umzuschauen, um entsprechende Prophezeiungen und Kommentare zu finden. Es wird Zeit, diese These endlich zu verdauen, anstatt sie ständig wiederzukäuen.

Beachtenswert ist zudem, dass Quest eines nicht in den Sinn kommt: An der Existenz Gottes zu zweifeln. Das ist der Ausweg, den viele wählen – verständlicherweise. In dieser Hinsicht ist Quest bewunderswert; die Existenz Gottes steht für ihn außer Frage. Es muss einen „Ursprung“ geben, der alles angestoßen hat und der alles lenkt. Das ist seine feste Überzeugung. Quest modifiziert sein Gottesbild, gibt aber nicht den Glauben an Gott auf:

„Es ist nicht mehr derselbe Grund, warum ich den Planeten des Ursprungs suche. In mir ist keine Demut mehr. Ich bin nicht mehr bereit zu einer ehrfürchtigen Pilgerfahrt. Ich will nicht einmal mehr Antworten. Und ich habe keine Hoffnung mehr, dass mein Schmerz je geheilt werden könnte. Was ich jetzt will, ist nur noch vor Gott hinzutreten und ihm zu sagen, dass er eine verdammt ungerechte Welt geschaffen hat. Und ich werde Rechtfertigung von ihm verlangen.“

Ob Eftalan Quest am Ende Gott begegnet, verrate ich natürlich nicht. Doch so viel sei gesagt: Um Quests Reise nachzuvollziehen, muss man nicht Milliarden von Kilometer zurücklegen und sich durch ferne Galaxien beamen. Man muss nicht einmal Eschbachs Roman lesen. Denn die Suche nach Gott beginnt mit dem Fragen.

Die heile Welt im „Tatort“

Jeden Sonntagabend versammeln sich bis zu 10 Millionen Deutsche vor dem heimischen TV-Gerät, das Bier oder den Wein auf dem Couchtisch, die Knabberbox daneben. Wenn dann die Tatort-Titelmelodie aus den Lautsprechern erklingt, ist es wieder so weit: Die Verbrecherjagd beginnt.

Tatort-Beginn
Der Beginn des Tatorts, dem Woche für Woche Millionen Menschen entgegenfiebern. (Bild: Eva freude/flickr.com)

1. Das Tatort-Ritual

Sonntagabend ist Tatort-Zeit. Für viele Millionen Deutsche, Woche für Woche. Und nicht selten umgibt die „heiligen eineinhalb Stunden“ ein festes Ritual, das man auch Gewohnheit nennen könnte. Es sieht zwar bei jedem anders aus, wird dann aber Woche für Woche – soweit möglich – eingehalten. Wird vor oder während dem Tatort gegessen? Gibt’s Bier, Wein oder Saft? Flimmert vor dem Krimi die Tagesschau über den Bildschirm, oder wird erst beim Wetter eingeschaltet? Und danach: Verabschiedet sich der Fernseher in den Standby-Modus oder wird noch die wöchentliche Dosis Polit-Talk konsumiert? Der „Tatort“ ist häufig eingebettet in einen rituellen Ablauf des Sonntagabends. Und er ist der Dreh- und Angelpunkt, nach dem sich der Abend ausrichtet. Und kommt einmal kein Tatort, ist die Enttäuschung groß: Was machen wir denn dann? Für viele gehört der Tatort zum Sonntagabend wie für andere der Gottesdienst zum Sonntagmorgen. Und das muss nicht im Widerspruch stehen. Zugegeben, sicher finden sich nicht bei allen diese festen Rituale. Aber auch der Tatort selbst birgt Dinge, die durchaus religiöse Züge aufweisen.

2. Gerechtigkeit wird hergestellt

Der Tatort ist die erfolgreichste Krimiserie im deutschen Fernsehen. Dabei weiß doch eigentlich jeder, dass am Ende die Guten gewinnen und der Bösewicht geschnappt wird. Und aufgrund empirischer Untersuchungen eigener Tatort-Abende gilt auch als sicher: Wen auch immer die Ermittler vor 21.30 Uhr festnehmen oder unter Tatverdacht haben, ist unschuldig. Der Täter wird erst nach halb zehn geschnappt, damit es schön spannend bleibt. Und kommt einmal ein Tatort mit einem offenen Ende, was für meinen Geschmack selten genug vorkommt, höre ich schon das Raunen und die Stimmen danach: Das geht doch nicht, das ist doch keine runde Sache!

Wir haben eine tiefe Sehnsucht danach, dass am Ende alles gerecht ist. Und das gilt nicht nur mit Blick auf unser Leben, in dem erfahrene Ungerechtigkeit und scheinbare Sinnlosigkeit für Fragen und Verzweiflung sorgen können. Auch wenn wir die Welt als Ganzes sehen, stellt sich unweigerlich die Frage nach der (Un-)Gerechtigkeit, die nach irdischen Maßstäben nicht beantwortet werden kann. Der Tatort, wie viele andere Kriminalfilme auch, kann als ein kleiner Ausschnitt dieser Welt verstanden werden, freilich fiktiv, aber dennoch realistisch anmutend. Da passiert etwas Schreckliches, sei es ein Mord oder eine Entführung. Doch es kann nicht sein, dass diese Ungerechtigkeit bestehen bleibt – das Verbrechen muss geklärt, Gerechtigkeit muss wiederhergestellt werden.

Nur aufgrund dieses Gefühls, unseres Bedürfnisses nach Gerechtigkeit, nehmen wir offene Enden, bei denen der Täter ungeschoren davonkommt oder nicht angemessen bestraft wird, nicht als „runde Sache“ wahr. Der Tatort befriedigt dieses Bedürfnis, dass „am Ende alles gut“ und das Böse besiegt wird. Er baut eine fiktive Welt auf, in der das Gute, die Gerechtigkeit, immer siegt.

3. Das Böse wird besiegt

Der Tatort
Das Gute braucht den Schrecken – im Tatort zumindest. (Bild: Thorben Wengert/pixelio.de)

Das spricht einen weiteren Wunsch an, der in uns verwurzelt ist: Der Wunsch nach der Gewissheit, dass das Gute immer größer ist als das Böse. Die Machtbereiche sind klar verteilt. Da kann zwar ein Serienkiller wüten, der dutzende Menschen ermordet. Doch er tut das nur temporär mit Erfolg. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Ermittler die Überhand gewinnen. Und am Ende werden sie siegen. Kein Bösewicht kann die Guten besiegen, egal wie perfide und grausam er ist. Auch das ist aber Teil einer fiktiven Welt, in die uns der Tatort entführt.

4. (Fast) Alles hat seinen Sinn

Immer wieder ist dies ein Kriterium, nach dem die Qualität eines Tatortes beurteilt wird: Wie viel Sinn macht der Plot? Und, bis auf Kleinigkeiten, ist meist irgendwie alles schlüssig: Der Mord geschah aus einem bestimmten Grund, der für den Täter Sinn machte. Für die Ermittler besteht der Sinn des Mordes – ganz nüchtern – darin, dass sie ihn aufklären müssen. Und da schließt sich der Kreis: Ohne Greueltat könnte Gerechtigkeit nicht wiederhergestellt, das Böse könnte nicht besiegt werden. Und die Bedürfnisse des Publikums könnten nicht gestillt werden. Denn schon im Alltag zeigt unsere häufige Frage nach dem „Warum“, dass wir es uns dringend wünschen, den Sinn der Dinge und Ereignisse zu verstehen, die uns widerfahren.

Hier muss man aber einhaken: Die Sinnfrage ist eine, die sich theoretisch in jedem Tatort oder Kriminalfilm geradezu aufdrängt. Leben und Tod gehen hier oft Hand in Hand, denn hier wird gestorben, was das Zeug hält. Wirklich elementare Fragen des Lebens werden aber nicht behandelt – schnell verlöre das abendliche Entertainment den Unterhaltungswert, wäre das der Fall. Seelsorger oder Psychologen etwa, die Angehörige eines Mordopfers begleiten, spielen im Tatort keine Rolle. Wäre es zu tiefgründig, die wirklich elementaren Probleme und Fragen nach dem Sinn zu behandeln – oder zumindest zu thematisieren?

5. Die Titel

Dass auch bei der Titelgebung des Tatortes mit transzendentalen Bezügen gespielt wird, zeigt eine einfache Auflistung entsprechender Tator-Titel. Natürlich nur auszugsweise die, die mir nach einem kurzen Blick auf die Komplettliste aufgefallen sind:

  • Glaube, Liebe, Tod (Folge 769)
  • Operation Hiob (767)
  • Im Sog des Bösen (736)
  • Gesang der Toten Dinge (728)
  • Höllenfahrt (726)
  • Baum der Erlösung (717)
  • Blinder Glaube (703)
  • Racheengel (667)
  • Engel der Nacht (662)
  • Stirb und werde (574)
  • Das Böse (552)
  • Die apokalyptischen Reiter (425)

Nicht nur Anspielungen auf biblische Motive wie „Baum der Erlösung“ oder „Die apokalyptischen Reiter“ finden sich hier. Auch ganz unspezifisch wird mit Vorstellungen der Zuschauer gespielt, wenn zum Beispiel „Engel“ oder „Das (personifizierte ?) Böse“  in den Titeln verarbeitet werden.

Auch wenn der Tatort sich meist um grausame Verbrechen dreht – viele, mich eingeschlossen, lassen sich gerne in diese Welt entführen, die zwar in der unsrigen spielt, damit aber wenig zu tun hat. Es ist eine fiktive Welt, in der das Gute siegt, die Gerechtigkeit immer das letzte Wort hat, in der (oberflächliche) Sinnfragen aufgeworfen und schlüssig beantwortet werden. Doch die Tatort-Welt hat einen Nachteil: Sie geht allwöchentlich um 21.45 Uhr unter.

facebook – eine neue Weltreligion?

Facebook - die neue Weltreligion?
Das soziale Netzwerk Facebook befriedigt religiöse Bedürnisse. (Bild: fm/Theopop)

Der Sprung zur Milliarde ist nicht mehr weit. Nach eigenen Angaben verzeichnete Facebook im Juni 2012 rund 950 Millionen aktive Mitglieder. Das Christentum hat – in all seinen Facetten –  schätzungsweise um die 2,1 Milliarden Anhänger, der Islam rund 1,3 Milliarden. Und die Zahl der auf der Welt lebenden Hindus unterschreitet mit geschätzten 850 Millionen schon die Mitgliederzahl der Webseite von Mark Zuckerberg. Der katholische Theologe Alexander Görlach behauptet, Facebook weise religiöse Züge auf und ähnele in vielen Dingen einer Religion. Ist Facebook also nach Christentum und Islam vielleicht die drittgrößte Weltreligion? Oder gar eine riesige Sekte?

Zumindest auf funktionaler Ebene lassen sich deutliche Schnittmengen aufzeigen – einige davon sind offensichtlich, andere vielleicht erst bei genauem Hinsehen erkennbar. Gleich vorneweg: Auch ich bin Teil der Facebook-Gemeinde. Folgendes soll als das verstanden werden, was es ist – Beobachtung. Nicht unbedingt Kritik, und wenn, dann auch Selbstkritik.

Eine Gemeinschaft zum Wohlfühlen

Gemeinschaft ist der Grund, warum Facebook überhaupt existiert. Es ist von seinem Schöpfer Mark Zuckerberg geschaffen worden, um die Welt zu vernetzen. Um eine riesige Gemeinschaft zu schaffen, in der Jeder mit Jedem in Kontakt treten kann: die Facebook-Gemeinde. Und diese zeichnet sich nicht nur durch nominelle Mitgliedschaft, sondern auch durch eine eigene Sprache aus. Facebookianer „liken“, bis der Mausknopf glüht. Sie „sharen“ oder „teilen“ Dinge, die eigentlich nicht teilbar sind. Sie „adden“ („Freunde“) und „posten“ ihren „Status“ auf ihrer „Pinnwand“. Wer einmal versucht, seinen Großeltern das in vernünftigem Deutsch zu erklären, merkt schnell, wie exklusiv die Facebook-Sprache (und die Prozesse, die dahinterstehen) tatsächlich ist.

So weit, so gut – Sprache ist eine Sache. Problematisch wird das Ganze aber dort, wo für Nicht-Mitglieder ein sozialer Druck entsteht, sich einer bestimmte Gemeinschaft anzuschließen. Wie ist das denn bei Facebook? Das soziale Netzwerk erfüllt seine Aufgabe so gut, dass viele Bereiche der Kommunikation, die vorher etwa über Email, ICQ oder ähnliches abliefen, nun fast komplett über Zuckerbergs Server rauschen. Und wer mit denen nicht verbunden ist, bleibt außen vor. Was früher Emailverteiler waren, sind heute Facebook-Gruppen. Und wer Facebook nicht beitritt, bleibt eben uninformiert. Er oder Sie ist kein Teil der Gemeinschaft, kann nicht mitreden, wenn die ArbeitskollegInnen interessante Videos und Bilder sharen. Ja, es gibt ihn: den sozialen Druck, Facebook beizutreten. Und der Druck auf die Außenstehenden steigt mit jedem, der sich ihm beugt. Facebook erfüllt, wie Religion auch, die Funktion, eine Gemeinschaft zu bilden. An dieser Stelle lasse ich es mir nicht nehmen, auf die Sekten-Checkliste des EBI-Sachsen zu verweisen. Punkt 11: „Die Gruppe grenzt sich von der übrigen Welt ab, etwa durch Kleidung, Ernährungsvorschriften, eine eigene Sprache, strenge Reglementierung zwischenmenschlicher Beziehungen.“ 

Zuckerberg, der Facebook-Guru

Facebook-Servergebäude
Ein Facebook-Servergebäude in Prineville, Oregon – Hort der Wahrheit? (Bild:IntelFreePress/flickr.com)

Bleiben wir doch gleich bei besagter Checkliste. Punkt 5: „Die Gruppe hat einen Meister, ein Medium, einen Führer oder Guru, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist.“ Nun gut, über die Beliebtheit des Facebook-Gründers lässt sich streiten. Dennoch ergeben sich knapp eine Milliarde Menschen dem Machtbereich des jungen Unternehmers, der als „Meister“ ganz alleine bestimmt, wo es lang geht. Nehmen wir einmal an, Mark Zuckerberg würde von heute auf morgen beschließen, die Nachrichtenfunktion von Facebook abzuschaffen: Millionen von Menschen könnten nicht mehr miteinander kommunizieren, weil sie weder Email noch Telefonnummer ihrer „Freunde“ besitzen. Und noch mehr: potenziell hat der Facebook-Guru auch Vollzugriff auf intimste Daten seiner Jünger. Die „ganze Wahrheit“, gespeichert auf streng bewachten Servern.

Neben der Tatsache, dass Facebook für den Nutzer enorm einfach und unkompliziert funktioniert, zeigt sich in dem Erfolg des Netzwerkes eine Wandlung, die auch sich in den großen Religionen beobachten lässt. Individualität heißt das Zauberwort, dem sich viele heute verschrieben haben. Mit Blick auf die Religion führt dies zu einem Synkretismus. Bei Facebook führt es mitunter dazu, dass auf Profilseiten mancher Mitglieder das Bedürfnis nach Individualität und Einzigartigkeit nicht zu übersehen ist; nur wird dieses Bedürfnis nicht, wie etwa im Christentum, durch die Gottesbeziehung definiert und gestillt. Bei Facebook sind es die Reiserouten, die Arbeitsplätze, die besuchten Universitäten und die Bilder der besuchten Sehenswürdigkeiten im eigenen Profil, die die menschliche Sehnsucht nach Einzigartigkeit für alle sichtbar werden lässt. Und so manches Statusupdate schreit förmlich heraus: „Meine Facebook-Gemeinde, habt mich lieb!“

Wie Statistiken der letzten Jahre zeigen, verlieren die großen, institutionellen Kirchen (zumindest in der „westlichen Welt“) an Mitgliedern. In einer Gesellschaft, in der man sich sein Weltbild zunehmend selbst zusammenbastelt, verlieren solche Institutionen an Bedeutung. Für viele war Facebook zu Beginn ein Ausdruck der Freiheit, die im Internet vorgeblich herrscht. Doch das soziale Netzwerk ist ein autoritär geführtes Unternehmen. Die Freiheit dort ist eine Freiheit in engen Grenzen, abhängig vom Gutdünken einer amerikanischen Firma. Und die hat letztlich nicht das Wohl seiner Nutzer, sondern den Profit zum Ziel. Kritik gab und gibt es immer wieder an der Organisation und Struktur von Facebook, und selbiges zeigt immer mehr institutionelle Züge auf. Und  je institutionalisierter die Plattform wird, desto mehr Nutzer werden ihr, analog zu sonstigen Institutionen der Gesellschaft, wieder den Rücken kehren – das wäre zumindest eine These, über die man nachdenken könnte.

Was also ist das Fazit? Facebook als eine Weltreligion zu bezeichnen, wäre vermessen. Dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass Facebook Bedürfnisse der Menschen befriedigt, die auch seit jeher in der Religion angesprochen werden. In der Facebook-Gemeinschaft wird man bedingungslos angenommen und die Sehnsucht nach Einzigartigkeit kommt hier wie kaum sonst zum Ausdruck. Hier soll ein letzter Verweis auf die Sekten-Checkliste nicht fehlen, denn dort wird deutlich, wo die Probleme beginnen. Wie oben gezeigt, sind zumindest die Frage nach der Abgrenzung und dem Guru bei Facebook klar zu „bejahen“. Das sind nur zwei von 17 Aussagen, nach denen die Checkliste fragt. Doch sie schließt mit den Worten: „Schon bei einem Ja: VORSICHT“.

Ein Sprinter wird unsterblich

Usain Bolt – von den Massen gefeiert. Bild: hannahspanna/flickr.com

Es ist der Höhepunkt der Olympischen Spiele, wenn die acht schnellsten Männer der Welt gegeneinander antreten. So war es auch dieses Mal: Am 5. August, kurz vor 22 Uhr Ortszeit, sitzen Millionen Menschen vor ihren TV-Geräten und warten auf das 100m-Finale der Männer. Das Stadion ist mit 80.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz gefüllt. Und die meisten warten nicht nur auf das sportliche Ereignis, sondern vor allem auf einen: Usain Bolt. Der Jamaikaner hat im Vorfeld der Spiele versprochen: „Ich will zur Legende werden„.

Wenn man genauer darüber nachdenkt, wirkt es schon fast bizarr, welche Züge der Kult um einen schnellen Mann annehmen kann. Bolt ist Vorbild für viele junge Sportler, zugleich Objekt der Verehrung – und das nicht nur für die Jamaikaner, die verständlicherweise unheimlich stolz auf ihren „Wunderjungen“ sind. Wenn Bolt die olympische Bühne betritt, blickt die ganze Sportwelt auf ihn. Welche Geste hat sich diesmal für seine kurze „Vorstellungsshow“ überlegt? Und mit welcher Show wird er seinen Sieg – an dem, einer Ikone würdig, kaum einer zweifelt – feiern? Usain Bolt weiß diese Aufmerksamkeit zu nutzen. Und zu genießen.

„Run at the Speed of Bolt“

Neben der Faszination des Augenblicks, die Bolt während der wenigen Minuten um seinen Wettkampf der Weltöffentlichkeit vermittelt, nutzen auch große Sporthersteller den Kult um seine Person. Sein Sponsor „Puma“ hat eine Bolt-Kollektion entworfen. Dort darf natürlich ein Rucksack mit der Silhouette Bolts in seiner inzwischen schon ritualiserten Siegerpose nicht fehlen. Diese verbreitet sich im Übrigen „blitzschnell“ um die Welt, wie eine Twitter-Suche nach #bolting offenbart. Bolt hat es geschafft, er hat sich selbst ein Denkmal gesetzt. Und gleich festgelegt, wie es aussehen muss.

Doch durchaus beachtenswert ist auch der Slogan, mit dem Puma für die Bolt-Kollektion wirbt: „Run at the Speed of Bolt“.  Von Reliquienverehrungen ist bekannt, dass Gegenständen, die einer „heiligen“ Person gehört haben, Wunderwirkungen zugesprochen werden. Es ist schon interessant, dass Puma diesen Gedanken nutzt, um die Kollektion zu bewerben – zumal es sich hierbei ja nicht um Gegenstände aus dem Besitz Bolts handelt, sondern lediglich um Sportkleidung wie jede andere auch. Sie trägt eben den Namen oder die Silhoutte Bolts – offenbar Grund genug, zu erwarten, dass der Träger fortan mit einer Leistungssteigerung rechnen kann. Das suggeriert zumindest der Werbeslogan.

Was der junge Sprinter aus Jamaika vor den Wettkämpfen versprochen hat, hat er nun tatsächlich geschafft. Als erster Olympionike überhaupt verteidigte er seine Goldmedaillen (auf denen übrigens ein Abbild der griechischen Siegesgöttin Nike zu sehen ist) sowohl im 100m wie auch im 200m-Sprint. Seine Worte nach dieser Leistung: „Ich bin nun eine Legende. Ich bin der größte lebende Athlet. Das ist das, was ich wollte und ich habe es bekommen. Ich bin sehr stolz auf mich.“ Usain Bolt – ein Mann, der mit 25 schon unsterblich ist.

Wenn der Olympische Geist weht

„Olympismus ist eine Lebensphilosophie, die in ausgewogener Ganzheit körperliche, willensmäßige und geistige Fähigkeiten erhöht und kombiniert. Indem Sport mit Kultur und Bildung verbunden wird, strebt der Olympismus danach, einen Lebensstil zu gestalten, der auf der Freude an (körperlicher) Leistung, dem erzieherischem Wert des guten Beispiels, sozialer Verantwortlichkeit und dem Respekt für universelle fundamentale ethische Prinzipien beruht. Das Ziel des Olympismus ist, den Sport in den Dienst einer harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, im Hinblick darauf, eine friedliche Gesellschaft voranzubringen, die sich um die Wahrung der menschlichen Würde sorgt.“

So lauten die ersten beiden fundamentalen Prinzipien des sogenannten „Olympismus“ (nachzulesen in der Olympischen Charta). Der Olympismus ist diejenige Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts von Pierre de Coubertin, dem Begründer der olympischen Spiele der Neuzeit, ins Leben gerufen wurde. Auch heute noch sehen sich die Olympia-Organisatoren diesem „Olympischen Geist“ verpflichtet.

Und, gelingt es nicht gut? Mehr als 10.000 Athleten versammeln sich derzeit bei den Olympischen Spielen in London. Und dennoch bleibt es, zum ganz großen Teil, ohne Reibereien und Skandale. Olympia. Eine friedliche Zusammenkunft von Sportlern aus aller Welt. Und allen geht es – zumindest vordergründig – nur um eines: faire Wettkämpfe, Respekt vor der Leistung der anderen, egal, wo sie herkommen. Hier weht der Olympische Geist! Und wer zuhause die Wettkämpfe verfolgt, der merkt, dass dieser Geist auch medial weht. Durch Begeisterung im wahrsten Sinne des Wortes. Man muss sich nur obiges Video anschauen, um davon ein wenig zu spüren.

Es scheint tatsächlich so zu sein, wie es die Prinzipien wollen: Olympia trägt durch die Verbreitung dieser Idee dazu bei, die Menschheit zusammenzubringen. Die Welt ist in diesen Tagen ein Olympisches Dorf. Mehr als 200 Nationen kommen hier auf sportlicher Ebene zusammen, auch wenn es politisch große Auseinandersetzungen gibt. Unterschiede gibt es hier – außer den sportlichen Leistungen – keine. Es ist egal, ob AthletInnen aus Syrien oder Nordkorea kommen, es ist egal, wer mit wem im Clinch liegt oder wer wessen Grenzen mit rostigem Stacheldraht umzäunt. Bei Olympia gibt es keinen Krieg. Denn der Olympische Geist ist  friedlich, fair und respektvoll. In gewisser Weise wird man an Hans Küngs „Projekt Weltethos“ erinnert, das ähnliche Ziele verfolgt. Und Küng selbst nennt Sport als ein positives Beispiel dafür, dass Zusammenleben aufgrund eines gemeinsamen Ethos, das seiner Ansicht nach allen großen Weltreligionen und- anschauungen zugrunde liegt, gelingen kann.

 Ethos des Sports vs. Ethos der Gesellschaft

Es sind wertvolle und lohnende Ziele und Anliegen, die sich die „Olympische Bewegung“ auf die Ringe schreibt. Und sie sind unterstützenswert, auch wenn sich eine utopische Dimension nicht abstreiten lässt. Es schließen sich jedoch Fagen an, die zu einer Sensibilisierung führen können und müssen. Zum Beispiel: Woher stammt das Ethos, das dem Olympismus zugrunde liegt – aus dem Sport selbst? Und was heißt eigentlich „universell“? Das sind nur zwei kurze Fragen. Aber schon alleine über deren Beantwortung ließe sich trefflich streiten.

Zum Denken anregen könnte etwa die Position des Systematischen Theologen Eilert Herms:

„Obwohl das Sporttreiben und der Sportkonsum ethische Phänomene sind, denen jeweils ein deklariertes und gelebtes Ethos immanent sind, fragt sich doch, ob es sich dabei um so etwas wie ein eigenes Ethos des Sports handelt, das in ihm selbst begründet ist und aus ihm selbst stammt. Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.“ (Lit.)

Herms argumentiert, jede Kultur habe stets  den Sport nach ihrem jeweiligen Weltbild, Menschenverständnis und Ethos gestaltet. Und außerhalb eines gesamtkulturellen Systems könne kein Sport bestehen. Kurz: Nicht der Sport hat ein eigenes Ethos, sondern er adaptiert das Ethos der jeweiligen Kultur. Gerade in unserer heutigen pluralistischen Öffentlichkeit gelte dies ebenso. Herms:

„Es ist ihre Liberalität und Offenheit, die heute das deklarierte Ethos und Regelwerk des betriebenen Sports, die Satzungen der Sportorganisationen und die Ziele der Sportpolitik bestimmen.“ (Lit.)

Die Olympischen Spiele vertreten die Ideale unserer „westlichen Kultur“. Aber nicht, weil es der Sport selbst so fordert, sondern weil die Olympischen Spiele der Neuzeit in diesem Kulturrahmen stattfinden.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Olympischen Spiele auch immer im Wandel befinden – und damit auch ein in den Prinzipien festgehaltener „universeller Anspruch“ der Spiele. Um das Problem hierbei deutlich zu machen, hilft es, auf die Antike zu verweisen; auch damals hatten die Olympischen Spiele einen universellen Anspruch, was sich schon zum Beispiel dadurch zeigt, dass sie Teil der panhellenischen Spiele waren. Doch Frauen, Sklaven und Nicht-Griechen waren von den Wettkämpfen ausgeschlossen. Ist das ein Universalismus, wie wir ihn heute verstehen würden? Sicher nicht. Auch bei den ersten Spielen der Neuzeit im Jahr 1896 waren noch keine Frauen zugelassen, sie wurden offenbar erst mit dem Jahr 1900 Teil der „Olympischen Universalität“. Auch hier ist es wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren: Auch das Verständnis von „Universalismus“ ist abhängig von Kultur, Gesellschaft und Menschenbild.

Olympia = Völkerverständigung?

Der Olympische Geist ist ein wertvoller, aber er darf nicht überschätzt werden. Wenn alle Differenzen angesichts der Wettkämpfe verklingen, wenn Sportler aus Kriegs- oder Krisengebieten hier unterschiedslos akzeptiert werden, dann weht hier die Brise einer „besseren Welt“, die viele sich in ferner Zukunft einmal wünschen. Diese zwei Wochen der Olympischen Wettkämpfe – bringen sie die Welt ein Stückchen näher zusammen? Ich überlasse hier wieder Eilert Herms das Wort, denn treffender könnte ich nicht formulieren:

„Der Olympische Wettkampf […] und die olympische Organisation tragen ja nicht dadurch zur Verständigung der Kulturen bei, dass sie deren verschiedene Sichtweisen des Daseins und entsprechend verschiedenen Idealen explizit aufgriffen, kommunizieren würden und zur Verständigung bringen würden. Sondern sie vereinigen diese Vielfalt von Differenten, indem sie die alle unter einem faszinierenden Schauspiel versammeln, welches solange es währt all diese Unterschiede zum verstummen bringt.“ (Lit.)

In der Tat: die Welt scheint aus olympischer Sicht zu einem kleinen, friedlichen Dorf zu werden. Differenzen verstummen und lösen sich im sportlichen Spektakel auf. Doch wahre und langfristige Verständigung kann nicht durch das Ignorieren von Differenzen geschehen. Da braucht es mehr – und der „Olympische Geist“ kann allenfalls ein kleiner Teil davon sein.

Das Feuer von Olympia

Das heilige Olympische Feuer
Das heilige und göttliche Olympische Feuer? (Foto:flickr/Merelymel13)

Die ganze Welt blickt nach London. Die britische Hauptstadt wird in den kommenden zwei Wochen zum Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn Sportler aus aller Welt im Rahmen der Olympischen Spiele 2012 gegeneinander antreten. Eine gute Gelegenheit, ein wenig den Blick zu schärfen: Für religiöse Symbolik in dieser doch anscheinend so säkularen Veranstaltung. Eine erste Beobachtung soll dem olympischen Fackellauf gelten, der seine Kreise bereits seit mehreren Monaten immer enger um London zieht. Bei der großen Eröffnungszeremonie wird das Olympische Feuer feierlich in der englischen Hauptstadt ankommen. Und Millionen Menschen werden weltweit vor den Bildschirmen sitzen, um diesen Moment mitzuerleben.

Schon seit 70 Tagen, seit dem 18. Mai 2012, reist die Fackel mit dem Olympischen Feuer durch Großbritannien. Der Fackellauf im Vorfeld zu den Spielen ist seit 1936 ein fester Brauch. Auch wenn es einige Anknüpfungspunkte zur griechischen Antike gibt, so ist der Fackellauf doch eine Erfindung der Neuzeit – genauer gesagt, eine der Nationalsozialisten. Doch das soll hier nicht das Thema sein. Überraschend ist, was das Internationale Olympische Komitee (IOC) über die Bedeutung des Fackellaufs sagt. In der Veröffentlichung „Das Olympische Feuer und der Fackellauf“ heißt es über den Ursprung und die Symbolik des Feuers:

„Im Rahmen der Spiele der Neuzeit verkörpert das Olympische Feuer die positiven Werte, die der Mensch diesem Element von jeher zuschreibt. Die Reinheit des Feuers wird dadurch gewährleistet, dass es auf  ganz besondere Art und Weise – mithilfe der Sonnenstrahlen – entzündet wird.“

Schon hier fällt auf: Das Feuer wird, sehr bedeutungsschwanger, durch die Kraft der Sonne entzündet. Nicht etwa durch Menschenhand. So soll die besondere Reinheit des Feuers gewährleistet werden. Hier sei die Frage erlaubt, warum ein durch die Sonne entzündetes Feuer „reiner“ sein soll als ein solches, das etwa durch ein Streichholz entfacht wird? Eine mögliche Antwort findet man, wenn man in dem IOC-Dokument weiter liest. Dann wird auch klar, wie eng die dahinterstehende Symbolik tatsächlich (und beabsichtigt) mit dem Götterglauben der alten Griechen verbunden ist. Ganz bewusst soll durch den Ursprung der Flamme in Olympia eine „Verbindung zwischen den Olympischen Spielen des Altertums und jenen der Neuzeit“ hergestellt werden, schreibt das IOC. Und weiter:

„Der göttliche Ursprung des Feuers machte es zu einem heiligen Element. Aus diesem Grund brannten im antiken Griechenland vor den wichtigsten Tempeln Ewige Feuer. Um das Feuer zu entzünden, wurden die Sonnenstrahlen im Zentrum einer Schale, der Skaphia, gebündelt. Mit der so erzeugten enormen Hitze wurde eine Flamme entfacht. Nach dem Vorbild der Skaphia wurde der Hohlspiegel geschaffen, der heute der Entzündung des Olympischen Feuers dient.“

Das „Ewige Feuer“ ist also Vorbild für das Olympische Feuer. Und damit könnte ein religiöser Bezug näher nicht liegen, brannten die Feuer doch als Zeichen der Verehrung der jeweiligen Götter. Nur bleibt das IOC die Antwort schuldig, für welchen Gott das Olympische Feuer brennt.

Rein, heilig und göttlich

Die Entzündung des Feuers ist eine regelrechte göttliche Zeremonie: „Vor den Ruinen des Heratempels zelebrieren Schauspielerinnen in der Rolle von Priesterinnen die Entzündung des Feuers. Choreografie und Kostüme sind dabei der Antike nachempfunden. […] Anschließend wird das Feuer in einem Tongefäß ins alte Stadion getragen. Hier überreicht die Hohepriesterin, die die Zeremonie leitet, das Feuer mithilfe einer Fackel dem ersten Läufer.“ (Hier gibt es dazu ein Video)

Das Olympische Feuer – rein und heilig, von göttlichem Ursprung. Ganz bewusst wird diese Symbolik auch heute durch Zeremonien und Rituale gefördert: Die Flamme, die von den Läufern getragen wird, stammt nicht aus Menschenhand, sondern ist – im wahrsten Wortsinne – nicht von dieser Welt.

Wie wichtig die Bewahrung dieser Symbolik zu sein scheint, zeigt auch der Plan B, falls die Fackel während ihrer Reise durch einen unglücklichen Umstand erlöschen sollte, so geschehen Anfang Juli beim diesmaligen Fackellauf. Ein Ersatzfeuer, das ebenfalls an der heiligen Ursprungsstätte entzündet wurde, begleitet den Lauf die ganze Zeit. So muss im Notfall kein Mensch das Feuerzeug zücken. Das ist nur konsequent, denn durch jeden Eingriff eines Menschen wäre das Feuer nicht mehr das reine, heilige Element, das es für Olympia sein soll.

Snow White and the Gospel?

„Snow White and The Huntsman“ erscheint anhand des Trailers wie ein netter Märchenfilm mit Actionszenen für die Spannung und zwischendurch zur Abwechslung Fantasyeinschüben.

Beim Schauen des ganzen Filmes allerdings fallen schnell Bezüge zum Evangelium auf.

Die böse Königin Ravenna (Charlize Theron) kommt durch eine List in das Königreich von Schneewittchens Vater, heiratet ihn und tötet ihn noch in der Hochzeitsnacht. Schneewittchen (Kristen Stewart) wird im Nordturm eingesperrt, kann aber fliehen und wird von zwei Elstern geführt. Dieses Motiv findet sich in 1. Könige 17, wo der Prophet Elia allerdings nicht von Elstern, sondern von Raben versorgt wird.

Nun wird Schneewittchen von der Königin gejagt, da diese glaubt Unsterblichkeit zu erlangen, wenn sie Schneewittchen opfert. Das Leben des Königskindes soll ihren Alterungsprozess stoppen und ihr ewiges Leben bringen. „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“ (Jesaja 53,4). Jedoch ist zu beachten, dass Schneewittchen für Ravenna nur das Mittel zum Zweck darstellt, während der Gottesknecht, von dem in Jesaja die Rede ist, in sein Leiden einwilligt.

Makellosigkeit und reinstes Blut sind Schneewittchens dauerhafte Merkmale im Film, die an die Opfergesetze der Priester erinnern. So soll der Priester in 3. Mose 4,3 „einen jungen Stier darbringen, der ohne Fehler ist“.

Später im Film gelangen der gute Jäger (gespielt von Chris Hemsworth), der Schneewittchen beschützt, und diese selbst zu den Zwergen. Nach ihrer Ankunft bessern sich auf wundersame Weise die gesundheitlichen Beschwerden der Zwerge. Dies entspricht den Heilungs-Summarien in den Evangelien. Jesus heilt aktiv indem er z.B. die Hand auflegt, während Schneewittchen allein durch ihre Anwesenheit heilt.

Als Schneewittchen schließlich wie im Märchen in den vergifteten Apfel gebissen hat und gestorben ist, findet sich im Film eine andere Fortsetzung der Geschichte.

Kein Zwerg stolpert und kein Prinz küsst sie wach. Nach längerer Totenruhe aufersteht Schneewittchen sozusagen und beschließt sofort in den Kampf gegen ihre Stiefmutter zu ziehen. Also wird Schneewittchen nicht durch äußere Einwirkungen aufgeweckt, sondern steht aus eigener Kraft vom Tod auf. Über Jesus hingegen gibt es einerseits Aussagen, die von seiner Auferstehung (aktiv) reden (Matthäus 28,6; Markus 16,14; Lukas 24,34, etc.), andererseits auch von seiner Auferweckung (passiv) durch den Vater (Apostelgeschichte 2,24, etc.).

Könnte man Schneewittchen also als eine Art weiblichen Erlöser verstehen, da sie allein die Möglichkeit hat, das Böse in Person von Ravenna zu besiegen?

Bestattung auf dem Fanfriedhof

Der HSV-Fanfriedhof im Stadtteil Altona, direkt neben dem Stadion. (Bild: Frisia Orientalis/wikipedia unter cc-by-sa)

Vor rund vier Jahren, im September 2008, eröffnete der Hamburger Sport-Verein den ersten „Fanfriedhof“ in Europa.  Wer dort beigesetzt werden möchte, muss Mitglied des HSV gewesen sein. Bislang gibt es Ähnliches nur in Argentinien bei den „Boca Juniors“, Stammverein des legendären Diego Maradona; der bekam auf dem Vereinsfriedhof auch prompt einen Ehrenplatz unter den bis zu 3000 möglichen Gräbern versprochen.

Beim HSV sind die Dimensionen zwar etwas kleiner, dafür wird auf Details besonderen Wert gelegt. Direkt neben dem Stadion in Hamburg-Altona bietet das HSV-Grabfeld Platz für 300-500 Ruhestätten. Die Nähe zum Stadion ist den Initiatoren wichtig. Zudem entspricht die Form des Fanfriedhofs dem Aufbau eines Stadions, inklusive der Abstufungen, die die verschiedenen Tribünenränge darstellen. Der verlegte Rasen stammt vom Platz nebenan. Wer auf diesem Grabfeld beerdigt wird, kann sich außerdem sicher sein: Die Erde, die auf seinen Sarg geschaufelt wird, wurde „bespielt“. Und wer den Friedhof betritt, muss durch ein Fußballtor aus Beton schreiten. Eine Selbstverständlichkeit sind auch die Blumen in den HSV-Farben, die als blühendes Vereinsemblem die Grabstätten zieren.

Schlusspfiff…und…Verlängerung?

„Das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn“, sagte einmal der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Und damit beschreibt er offenbar, was sich manche Fußballfans auch denken: Die Liebe zum Ballsport  prägt nicht nur zu Lebzeiten. Es scheint unter heißblütigen Anhängern mancher Clubs das Verlangen zu geben, auch in der Ewigkeit ihrem Verein verbunden zu bleiben.

Der Abschied aus dem Leben ist seit jeher ein zutiefst religiös geprägtes Geschehen. Mit dem Tod sind viele Fragen verbunden, die nie mit Gewissheit beantwortet werden können; gerade deshalb ist dieser Bereich wie kein anderer Gegenstand des Glaubens. Was geschieht mit uns, nachdem das Spiel des Lebens abgepfiffen wurde? Die Einrichtung eines Fanfriedhofes ist das deutlichste Anzeichen dafür, dass Fußball als Phänomen der Populärkultur in einen Bereich vordringt, der lange Zeit dem Religiösen vorbehalten war. Der Symbolcharakter ist eindeutig (wie auch schon bei manchen Fanhymnen deutlich wird): Der Verein wird zu Instanz der Ewigkeit. Was im Leben wichtig war, soll auch die Ewigkeit prägen. Oder: Ist das Spiel vorbei, folgt die Verlängerung. Und waren es die Spiele des HSV, die mir die glücklichsten Momente im Leben bereitet haben, so soll nach dem Tod weiterhin bei jedem Torjubel im heimischen Stadion mein Sarg wackeln.

Konventionelle Beisetzung in neuem Rahmen

Man könnte vermuten, dass die Eröffnung eines solchen Fanfriedhofes Teil eines Wandels der Bestattungskultur ist. Die Naturbestattung wäre nur ein Beispiel für einen solchen Wandel. Abgesehen davon, dass es sich bei der „Fanbestattung“ aber tatsächlich um ein absolutes Randphänomen handelt, spricht noch etwas anderes dagegen. Auch wenn sich der Rahmen der Beerdigung drastisch ändert und sie nun im Kontext eines Fußballvereins stattfindet, so bleiben doch wesentliche Grundzüge einer „konventionellen Beerdigung“ erhalten, ja sind durch die Umstände einer Friedhofsbestattung geradezu vorgegeben. Denn letztlich ist die HSV-Bestattung nichts anderes als eine konventionelle Beisetzung in neuem Rahmen.

Presseberichten zur Eröffnung des HSV-Friedhofes kann man entnehmen, das damals rund zwei Dutzend Fans bereits Interesse für eine Grabstätte geäußert haben. Heute, nach vier Jahren, ist die Zahl der belegten Gräber noch einstellig, erklärt Philipp Piepiorka vom HSV gegenüber TheoPop. Der Friedhof aber sei ein langfristiges Projekt, „welches sich über die nächsten 20-30 Jahre weiterentwickeln wird.“ Die jetzige Generation im hohen Alter sei nicht die eigentliche Zielgruppe der Initiatoren. „Es gilt also abzuwarten, wie die Nachfrage sich in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten entwickeln wird“, so Piepiorka. Es ist also noch unklar, wie gut der Friedhof angenommen wird. Es wäre durchaus auch aufschlussreich, die Motive derer zu analysieren, die sich einmal im HSV-Sarg unter die Erde wünschen.

Aus christlicher Perspektive brachte die damalige Bischöfin der Nordelbischen Kirche, Maria Jepsen, die Sache auf den Punkt. Sie kommentierte die Eröffnung des HSV-Grabfeldes mit den Worten: „Der Mensch lebt nicht vom Ball allein.“

Von Toleranz im Fußball und in der Religion

Die EM – ein buntes Fußballfest (Bild: drabikpany/flickr.com)

Immer wieder lesen wir im Rahmen der Berichterstattungen über die EM von „bunten Fußballfesten“. Menschen
verschiedener Nationen schauen gemeinsam Fußball, amüsieren sich  und haben Spaß zusammen.
Bunt wird das Fest dadurch, dass manche ein weißes, andere ein rotes Trikot tragen, einige ihr Gesicht orange anmalen und andere wiederum blau oder grün. Der echte Fußballfan bekennt sich durch das Trikot, das er trägt, zu seiner Mannschaft, hinter der er steht und an deren Sieg er glaubt. Ein echter Fan schämt sich in seinem Trikot auch nicht, wenn seine Mannschaft verliert, wenn seine Farbe in der Unterzahl ist oder wenn eigentlich zwei ganz andere Mannschaften feiern. Ein Bier trinken oder einfach nur Spaß haben, kann man mit jedem – egal für welches Team der andere jubelt oder welche Fahne er schwingt.

Der entscheidene Punkt für solch ein buntes Miteinander ist die Toleranz.
Der Begriff wird heute sehr oft falsch verstanden und mit missverständlichen Bedeutungen gefüllt. Toleranz bedeutet nicht, selbst keine Meinung zu haben, ein Fähnlein im Wind zu sein oder immer automatisch die Meinung der Mehrheit anzunehmen. Toleranz kommt vom Lateinischen: tolerare heißt ertragen, aushalten oder erdulden.

Im folgenden Beispiel im Bezug auf die EM soll der abstrakte Begriff konkret werden: Jan ist ein überzeugter Fan von der italienischen Fußballmannschaft, weil er schon Jahre lang nach Italien in Urlaub fährt und viel mit dem Land verbindet. Natürlich besitzt er auch ein Trikot, einen Flagge und und weitere Fanartikel in den Farben Italiens. So bekennt er sich zu seiner Mannschaft. Auch seinem Auto sieht man an, dass er auf Italien abfährt. Parkt er sein Auto jedoch vor dem örtlichen Sportheim, wo die EM gemeinsam angeschaut wird, sieht man, dass er einer Minderheit angehört. Mit seinem blauen Trikot fällt er auf unter den anderen. Toleranz bedeutet nun, dass alle anderen akzeptieren und dulden, dass er eben nicht mit der deutschen sondern der italienische Mannschaft fiebert. Es freuen sich trotzdem alle, dass Jan mit dabei ist, denn Jan ist ein klasse Kumpel unabhängig davon, ob er Italien Fan ist oder nicht. In den Diskussionen und Gesprächen nach dem Spiel versuchen beide Seiten natürlich sich gegenseitig von der eigenen Mannschaft zu überzeugen, jedoch ist jeder so von seiner Mannschaft überzeugt, dass er die Ansichten der anderen ganz im Sinne von tolerare ertragen kann.

Ein richtig verstandener Toleranzbegriff ist nicht nur für das Gelingen eines bunten Fußballfestes wie der EM wichtig, es ist auch für das Miteinander von Religionen und das Miteinander verschiedener Konfessionen innerhalb einer Religion wichtig. Toleranz im Bezug auf Religion heißt nicht, seinen Glauben von der Mehrheit abhängig zu machen oder ihn zu verstecken. Genau wie die Fußballfans sich zu ihren Mannschaften bekennen, ist der erste Schritt auch hier, seine Glauben zu bekennen – auch in der Minderheit. Genau wie im Fußball sollte auch im Glauben jeder seine Überzeugen haben und dazu stehen.

Der nächste Schritt ist nun das Miteinader. In einer globalen und multikulturellen Welt, wie wir sie heute haben, ist es normal, dass Menschen verschiedener Religionen im gleichen Lebensumfeld wohnen. Damit dieses Zusammenleben gelingen kann, ist wie beim bunten Fußballfest die richtig gelebte Toleranz entscheidend. Ich dulde, dass mein Nachbar ein Muslim ist, bekenne mich aber gleichzeitig trotzdem zu meinem christlichen Glauben. Das bedeutet nun aber nicht, dass wir in zwei verschiedenen Welten leben und wir uns gegenseitig meiden. Wie die Fans zusammen feiern können, können wir zusammen leben. Und so wie ein überzeugter Frankreichfan mit einem überzeugten deutschen Fan ins Gespräch über Fußball kommen kann, können wir über unseren Glauben reden und diskutieren. Mit Respekt aber auch mit der eigenen festen Überzeugung. Es geht nicht darum, den anderen mit dem eigenen Glauben zu überfahren, sondern sich auszutauschen. So können Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden und Freundschaften entstehen.

Toleranz – wichtig für das Gelingen eines bunten Fußballfestes wie der EM und das Miteinander der Religionen.