Weihnachten wird abgeschafft! Es ist nur eine Frage der Zeit! Schreit auf! Viele Christen empören sich in diesen Tagen über einen Beschluss des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, der, so titelt die BZ, „Weihnachten verbietet“ . Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, und bevor man in große Hysterie einstimmt, sollte man einige Dinge beachten.
Der Versuch, alles ein wenig zu sortieren.
1. Die Quellen
Mit Schrecken stelle ich fest, wie unbedacht in dieser Sache auf Webseiten verlinkt wird, ohne deren Seriosität zu überprüfen. Die Folge: ganz unterschwellig wird (siehe Quelle 1) rechtem, wenn nicht sogar ultra-rechtem, Gedankengut Tür und Tor geöffnet. Weshalb? Deshalb:
- Quelle Nr. 1: Indexexpurgatorius’s Blog
Auch ich bin über diesen Blog zum ersten Mal auf die Meldung der BZ gestoßen. Doch sie wird dort nicht bloß verlinkt, sondern auch äußerst polemisch kommentiert. Derzeit ist dieser Blog – so scheint es zumindest bei einem Blick auf meine Facebook-Timeline – der wohl am meisten verlinkte Artikel zu dem Thema. Doch um was für ein Blog handelt es sich? Ich wurde stutzig, als ich darauf aufmerksam wurde, dass dieser Blog zum Weihnachts-Thema offenbar wohlwollend durch pi-news.net verlinkt wurde. Noch stutziger wurde ich, als ich kein Impressum fand, sondern stattdessen, oben links, einen Link: „Per Gesetz gegen GG Art. 3„. Was sich hinter diesem Link verbirgt, ist mehr als befremdlich, falls es ernst gemeint ist:
Auch heute, lange nach dem ersten Zuzug der Gastarbeiter, blickt der Deutsche auf den Migranten noch immer wie auf den armen Verwandten aus dem Tierreich – nur das überhebliche Wohlwollen ist verschwunden. Noch sagt es keiner öffentlich, aber insgeheim glaubt jeder: Die Stinker fressen uns die Haare vom Kopf. […] Deutschland ist am Ende, weil es 6,7 Millionen Arschgeigen an der Backe hat. Ihr Hauptberuf ist Betrügen und Drogenhandel und andere Straftaten, in ihrer Freizeit die Hauptschule schmeißen, Jugendliche abziehen und Rentner verkloppen und wenn sie nicht mindestens genauso viel Valuta kriegen für ihre Faulheit wie Deutsche, die jahrelang in die Sozialsysteme einzahlten, fangen sie an zu drohen und zu randalieren. Das ganze Land haben sie 40 Jahre ausgepresst und mehr die eigene Population verdoppelt als das BIP, und statt jetzt mal umsonst zu Hacke und Spaten zu greifen wie die 45, fliegen sie mit Billigbombern in ihr Ursprungsland und verjuxen ihre Stütze.
Die Themen des Blogs und die Leser-Kommentare unter den Artikeln bestätigen ganz offenbar, dass es sich hier um einen Blog handelt, der Gedankengut verbreitet, das selbst der NPD zu rechts wäre.
Ich wiederhole: Dieses Blog ist offenbar eine der meistzitierten Quellen für das „Weihnachts-Verbot“. Viele, die darauf verlinken, wissen sicher nicht, was sich dahinter verbirgt, und vielleicht interessiert es sie auch nicht. Ist das die neue Internet-Blog-Kultur? Alles für bare Münze nehmen, was man im Netz findet, ohne es zu hinterfragen?
- Quelle Nr. 2: MMnews
Eine weitere Quelle, die mir in meiner Timeline präsentiert wird, ist MMnews.de. Die hat ein ordnungsgemäßes Impressum und klar zu differenzieren von der ersten Quelle! Offenbar hat man bei MMnews.de aber nicht die Muße, Artikel sauber zu recherchieren. Der Beitrag über das „Weihnachts-Verbot“ ist tendenziös und vor allem: sachlich falsch. Das wird vor allem an einer Aussage deutlich:
Außerdem dürfen keine sogenannten Ehrenmedaillen an Anhänger von Religionen verteilt werden. Wer also christlichen Glaubens ist und sich um seinen Bezirk verdient gemacht hat, geht in Zukunft leer aus.
Das ist so falsch, dass es falscher nicht sein könnte. Diese Ente wurde von BZ-Kolumnist Gunnar Schupelius in die Welt gesetzt (den Artikel habe ich vor einigen Tagen gelesen – er scheint inzwischen nicht mehr online zu sein, da er offensichtlich falsch ist). Es ging dem Beschluss des Bezirksamtes lediglich darum, dass eine Auszeichnung für das Engagement innerhalb einer bestimmten Religionsgemeinschaft nicht seitens des Staates vergeben werden kann (sprich: Wer besonders viele Bibeln in der Fußgängerzone verteilt, kann dafür nicht vom Bürgermeister ausgezeichnet werden). Wer sich aus christlicher, muslimischer oder jedweder anderer Motivation um das Gemeinwohl verdient macht, kann diese Auszeichnung sehr wohl erhalten (entsprechende Mitteilung hier).
Also: Vorsicht. Saubere Berichterstattung sieht anders aus.
Was ich damit sagen will: Prüft eure Quellen! Vor allem (aber nicht nur), wenn ihr sie nicht kennt! Wie soll man auf so einer Grundlage vernünftig diskutieren? Die einzigen, wirklich bekannten Medien (die dementsprechend einen Ruf zu verlieren haben), die nicht dem Boulevard-Journalismus zuzuordnen sind und über das Thema berichten, sind, soweit ich sehe, die Berliner Zeitung und die taz. Und, wie zu erwarten: Die Reduzierung auf ein „Weihnachts-Verbot“ wird dem Thema nicht gerecht. Sie hilft entsprechend auch niemandem weiter, außer denen, die sich einfach mal wieder über irgendetwas aufregen wollen.
2. Geht es um ein Weihnachts-Verbot?
Wenn man nur die reißerischen Überschriften und vielleicht noch Teaser der entsprechenden Blogs und Boulevard Artikel liest, wird suggeriert: Da haben sich ein paar Stadträte zusammengesetzt und kurzerhand beschlossen, Weihnachten zu verbieten. Das ist, gelinde gesagt, Schwachsinn.
Es geht in erster Linie um die Tatsache, dass ein beantragtes Ramadan-Fest nicht genehmigt wurde. Davon ausgehend wurde offenbar beschlossen, dass religiöse Feste generell auf öffentlichen Plätzen nicht mehr genehmigt würden (ich hätte gerne den Beschluss eingesehen, habe ihn aber nicht gefunden. Ich muss mich also auch auf Medien, in diesem Fall Berliner Zeitung und taz, berufen). Also, es geht nicht explizit um Weihnachten, sondern Anlass des ganzen war der Ramadan. Die Berliner Zeitung titelt deshalb weit treffender (weil sachlicher und damit weniger reißerisch): „Ramadan-Feier untersagt“.
[Nachtrag 3.9.2013, 16:07 Uhr:
Der Tagesspiegel hat offenbar vor fast zwei Wochen (!), am 20. August, schon darüber berichtet: „Winterfest statt Weihnachtsfest“ . Zitat: „Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) stellt daher klar: „Ich kenne keinen Beschluss, der es Veranstaltern verbieten würde, ihren Festen religiöse Namen zu geben.“ Bei der heterogenen Bevölkerung wäre es ihrer Meinung nach abwegig, religiöse Gruppen so zu diskriminieren. Einige Veranstalter verzichteten aber auf religiöse Bezeichnungen, um zu zeigen, dass das Fest für Bürger jeden Glaubens und auch solche ohne Glauben offenstehe.“
Nachtrag Ende]
3. Die Ebene der Diskussion
Eine weitere Frage, die gestellt werden muss, bevor man in Hysterie verfällt: Was sind die Argumente für ein solches Verbot? Die Berliner Zeitung zitiert Peter Beckers, den zuständigen Ordnungsstadtrat, so:
Peter Beckers (SPD), der zuständige Stadtrat, weist den Vorwurf zurück. Dass das Ramadan-Fest nicht gestattet worden sei, gehe schon auf das Jahr 2007 zurück. Damals habe die Islamische Förderation [Tippfehler im Original, Anm. Theopop] den Antrag auf ein 30 Tage dauerndes Fastenbrechen auf öffentlichem Straßenland gestellt, und das gleich für mehrere Jahre hintereinander. „Wir haben das abgelehnt, weil wir keine geeigneten Plätze hatten“, sagt Beckers. Aus Gründen der Gleichbehandlung seien seitdem auch keine anderen Ramadan-Feste zugelassen worden.
Man darf nicht vergessen, dass es sich bei der Diskussion um eine kommunalpolitische handelt. Da spielen Fragen zum Beispiel nach geeigneten Örtlichkeiten, Lärmbelästigung und Anwohnern eine große Rolle. Und auch, was offenbar diesmal ausschlaggebend war, die schiere Menge der Straßenfeste, die beantragt werden. Der taz sagte Beckers offenbar auch, dass man auf der Suche nach einer Lösung sei, indem man einen bestimmten Festplatz für Straßenfeste finde, auf dem dann auch religiöse Feste stattfinden könnten.
4. Also: Alles okay?
Die Ausführungen oben sollen deutlich machen, dass die ganze Sache komplexer ist, als sie dargestellt wird. Natürlich: Man sollte einen kritischen Blick auf die Entwicklungen haben und sie mit einer Diskussion begleiten. Denn Stadtrat Beckers sagte auch: „Wir wollen keine Selbstdarstellung von Religiösität in der Öffentlichkeit befördern“ (zitiert aus der taz). Und solche Aussagen sollten zu denken geben. Ist nicht die ungestörte Ausübung der eigenen Religion, dazu gehören auch Ramadan-Feste, ein Grundrecht? Da war doch was! (Übrigens liegt der Bezirksverordnetenversammlung in Friedrichshain-Kreuzberg eine entsprechende Anfrage seit fast einer Woche vor.)
Nein, man sollte nicht stillhalten und solche Beschlüsse einfach hinnehmen, das tut aber im Übrigen auch die EKBO nicht, die Landeskirche vor Ort. Dort kündigt man sogar rechtliche Schritte an, sollte der Ernstfall eintreten.
Man sollte aber auch nicht unreflektiert reißerische Schlagzeilen verbreiten, die sich so einfach nicht halten lassen. Denn die Dinge sind meistens komplizierter, als sie aussehen. Und sie kommen – gerade im Internet – nicht immer aus seriösen Quellen.
Es gilt also, wie so häufig: Lasst uns diskutieren, uns einmischen, unsere Meinung sagen. Aber informiert, fruchtbar und vernünftig, bitte. Empörung allein hilft nicht.
[Nachtrag 4. September, 11:15 Uhr
Gestern noch wurde offenbar eine Pressemitteilung der Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann zu diesem Thema veröffentlicht. Sie soll an dieser Stelle nicht fehlen. Denn da wird aus dem Weihnachtsverbot plötzlich: Ein großes Missverständnis?
Link zur Original-Pressemitteilung
Pressemitteilung Nr. 88/2013 vom 03.09.2013
In Friedrichshain-Kreuzberg wurden und werden keine Feste wegen ihres religiösen Charakters untersagt oder benachteiligt.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat entgegen verschiedener anders lautender Berichterstattungen nicht entschieden, Veranstaltungen mit religiösem Hintergrund auf öffentlichen Flächen zu versagen.
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann hat den Sachverhalt auch wegen verschiedener Berichte in regionalen und überregionalen Medien in den vergangenen Tagen und aufgrund von besorgten Nachfragen von Bürgerinnen und Bürgern geprüft.
In den letzten Jahren gab es nach Auskunft der zuständigen Abteilung keine Ablehnungen von Anträgen auf Sondernutzung im öffentlichen Straßenland mit der Begründung, Feste oder Veranstaltungen dürften wegen ihres religiösen Charakters nicht genehmigt werden. Auch haben im Bezirk in den letzten Jahren zahlreiche Weihnachtsmärkte stattgefunden.
Offenbar hat die zuständige Abteilung allerdings in einzelnen Fällen bei entsprechenden Anfragen von Institutionen – u. a. eines Quartiersmanagements – irrtümlich auf eine Entscheidung des Bezirksamtes in einem Einzelfall aus dem Sommer 2007 verwiesen und mitgeteilt, Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften und religiöse Feste können nicht genehmigt werden.
Das entspricht weder der Beschlusslage im Bezirksamt, noch wäre eine solche Handhabung rechtmäßig.
Bei der Entscheidung vor 6 Jahren ging es um einen sehr kurzfristig eingegangenen Antrag auf Sondernutzung im Straßenland für das mehrtägige Aufstellen eines Zeltes für mehrere hundert Menschen. Diesen Antrag hatte das Bezirksamt nach Abwägung damals nicht unterstützen können.
Gegenüber der zuständigen Abteilung hat die Bezirksbürgermeisterin klargestellt, dass ein religiöser Hintergrund selbstverständlich keine Entscheidungsgrundlage bei entsprechenden Anträgen sein kann. Vielmehr sind alle prüffähigen Anträge auf Sondernutzung öffentlicher Flächen im Rahmen der Regelungen z. B. des Berliner Straßengesetzes gleichberechtigt zu prüfen.
Bei Entscheidungen über die Realisierbarkeit spielen ausschließlich objektive Kriterien (Verkehr, Lärmschutz für Anwohnerinnen und Anwohner, Sicherheit der Veranstaltung etc.) eine Rolle. Nicht jede gewünschte Veranstaltung kann daher in dem hoch frequentierten Innenstadtbereich zu jedem Zeitpunkt genehmigt werden.
Religiöse Orientierung der Anstragstellerinnen und Antragsteller oder die Ausrichtung der Veranstaltung sind bei dieser Prüfung aber kein Kriterium.
Vielmehr ist der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg stolz auf die Vielfalt der Religionen und Glaubensrichtungen. Das Bezirksamt schätzt unter anderem die durch Einzelne oder Gemeinschaften vielfach ehrenamtlich geleistete Arbeit, das Engagement in den Bezirksregionen und den Beitrag für das Zusammenleben im Bezirk außerordentlich.
Insoweit bedauert Monika Herrmann es ausdrücklich, wenn durch ein solches Missverständnis Gefühle von Menschen verletzt worden sind.
Nachtrag Ende]