Screenshot aus dem Anti-KitKat-Video von Greenpeace.
Screenshot aus dem Anti-KitKat-Video von Greenpeace.

Alle gegen einen: Wenn im Internet ein Shitstorm losgetreten wird, kann das für Betroffene ungemütlich werden. Mitunter kann eine solche Entrüstungswelle zwar Positives bewirken. Doch wer seiner Entrüstung durch einen schnellen Klick oder einen kurzen Tweet im Netz freien Lauf lässt, versetzt sich selten in die Lage des Gescholtenen. Wie fühlt sich einer, auf den gnadenlos eingedroschen wird? Vor dem Hintergrund eines christlichen Menschenbildes empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzutreten.

„Pegida-Shitstorm gegen Justizminister Maas“ – so titelte die Bild-Zeitung am 11. Januar. Der Hintergrund war ein anonymer Aufruf eines Pegida-Anhängers, der sich von der deutlichen Kritik des Justizministers an der Bewegung auf den Schlips getreten fühlte. Im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlichte der „Patriotische Europäer“ eine Aufforderung an seine Gesinnungsgenossen: „Hi Leute, es gibt eine Facebook-Seite, die unserer Aufmerksamkeit bedarf, es ist die von Politiker Heiko Maas […] Müllt dem ordentlich die Seite zu.“ Der Versuch, einen Cybermob gegen den Politiker aufzubringen, gelang nicht wirklich. Es meldeten sich zwar einige wütende Menschen bei Maas – doch der ging in die Offensive und verkündete: „Das bestätigt und bestärkt mich nur noch in meiner Position. Liebe Besucher, bitte also über den ein oder anderen schrottigen Kommentar auf dieser Seite hier nicht wundern, da wollen sich einige nur austoben.“ Kurze Zeit später war die Sache vergessen.

Shitstorms sind im Internet alltäglich geworden. Kaum ein Tag vergeht, an dem Medien nicht darüber berichten. Der inflationäre Gebrauch des Wortes führt dazu, dass inzwischen alles zum Shitstorm wird. Wo Kritik aufhört und der Shitstorm beginnt, weiß niemand mehr so genau. Shitstorms sind aber in jedem Fall Indikatoren dafür, dass wir uns im Internet tatsächlich in einem „Neuland“ bewegen (ein Begriff übrigens, für den Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Shitstorm der empörten Internet-Gemeinde erntete). Denn die Mechanismen, die Skandale im Internet auslösen, haben wir noch nicht vollends begriffen. Den einen trifft es, der andere umschifft den Sturm erfolgreich. An vielen Fällen lässt sich ablesen: Die Konsequenzen, die der Erfolg der Neuen Medien mit sich bringt, haben wir noch lange nicht verstanden.Egal ob es sich dabei um Datenschutz, Privatsphäre oder soziale Kompetenz handelt.

Großer Konzern – oder einzelner Mensch?

Ein Mann sitzt im Büro, es ist Pausenzeit. Er schnappt sich einen KitKat-Schokoriegel, packt ihn aus. Doch darin ist keine Schokolade, sondern der abgetrennte Finger eines Orang-Utans. Das stört den Mann nicht weiter. Er beißt genüsslich hinein. Plötzlich knackt es fürchterlich, Blut spritzt auf die Tastatur und läuft ihm aus dem Mund. Die Kollegen schauen entsetzt. Dann die Einblendung: »Gib dem Orang-Utan eine Pause.« Greenpeace-Video lässt Nestlé einlenken Das ist, kurz zusammengefasst, der Inhalt eines Videos, das die Umweltorganisation Greenpeace im Internet veröffentlichte. Greenpeace wollte damit gegen die Verwendung von Palmöl in Nestlé-Produkten protestieren, da für die Palmöl-Gewinnung der Lebensraum der gefährdeten Affen vernichtet wird. Und die Kampagne war ein Erfolg. Noch am Abend der Veröffentlichung wollte Nestlé die Sperrung des Videos veranlassen – vergeblich. Doch das brachte den Sturm der Empörung erst richtig ins Rollen. Millionen Menschen wetterten gegen den Lebensmittelriesen. So lange, bis dieser schließlich einknickte und ankündigte, fortan strengste Standards beim Rohstoffkauf anzusetzen.

Am Beispiel Nestlé zeigt sich: Ein Shitstorm kann, mit berechtigter Kritik kombiniert, äußerst positive Konsequenzen haben. Die Gründe für ein Empörungsgewitter sind so vielfältig wie das Internet selbst: Mal sind es wirklich kritikwürdige Zustände, die gezielt thematisiert werden. Mal sind es undurchdachte PR-Kampagnen, die nach hinten losgehen. Und mal sind es (vermeintliche) Fehltritte Einzelner, die plötzlich im Rampenlicht stehen und nicht wissen, wie ihnen geschieht. Denn nicht immer trifft es große, anonyme Konzerne. Allzu häufig stehen einzelne Menschen im Auge eines solchen Sturms. Und wie verhalten wir als Christen uns dann? Einfach mit draufdreschen?

Sicher ist: Wie kein anderes Medium bietet das Internet seinen Nutzern die Möglichkeit, Ärger loszuwerden. Die Empörung ist nur einen Tweet oder ein Facebook-Post entfernt.  Nicht die vermeintliche Anonymität, sondern die Möglichkeit, seinem Zorn ungefiltert Luft zu machen, sorgen dafür, dass Shitstorms häufig wirklich „Scheiße-Stürme“ sind. Und das ist nicht gut. Vor allem wenn das „Kreuzige ihn!“ ohne Wimpernzucken gleich nach dem „Hosianna!“ kommt, dann stimmt etwas nicht.

[Dieser Text erschien zuerst in leicht abgewandelter Version in Publik-Forum 2/2015 vom 30. Januar 2015]

Veröffentlicht von Fabian M.

Fabian Maysenhölder, Diplom-Theologe und Online-Journalist, ist Herausgeber des Blogs "Theopop". Während seiner Berliner Studienzeit wurde bei ihm in einem Seminar zu dem Thema „Kirche in den elektronischen Medien“ Interesse für diesen Forschungsbereich geweckt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt – nicht nur für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit. In seiner Freizeit spielt er Badminton und engagiert sich ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe.

3 Antworten auf &‌#8222;„Kreuzige ihn!“ – Gedanken zu Shitstorms&‌#8220;

  1. Spannende, gedankenanregende Kombination – Shitstorms und der kollektive Aufschrei „Kreuzigt ihn“… deshalb ergänz ich mal ein paar Assoziationen:

    Zunächst habe ich überlegt, dass das ge-genderte Pendant zum Schrei nach der Kreuzigung eines Mannes „Steinigt sie“ sein könnte, aber Steinigen und Kreuzigen beinhalten, gegen jeden und jede etwaige*n Betroffene*n gerichtet, mehr als das Schreiben, Liken und Teilen von Posts, die gegen den/ die/ das einzelne Objekt des Shitstorms voraussetzen… z.B. Handgreiflichkeiten und physische Verletzungen in der nicht-digitalen Welt. Allerdings könnten Shitstorms ja auch zu psychischer Gewalt gezählt werden und zum digitalen Exitus in Form des Rufmordes/Cybermobbings führen.

    Also steckt in dem jeweiligen Aufschrei „Steinigt“ bzw. in „Kreuzigt“, vor 2000 Jahren als Imperative geäußert, wenn man will, Potenzial für die Analyse von Shitstorms… vielleicht auch eine provokante christliche Antwort auf Shitstorms, egal ob der Adressat einen Auslöser für Kritik geliefert hat (s. Nestle-Beispiel aus Artikel, vgl. ein gewisses Ehebruchszenario) oder nicht: „Wer von euch ohne Schuld ist, werfe den ersten Hatred-Hashtag in die digitale Welt bzw. starte einen Aufschrei“?

    1. Danke für die ergänzenden Gedanken!

      […] aber Steinigen und Kreuzigen beinhalten, gegen jeden und jede etwaige*n Betroffene*n gerichtet, mehr als das Schreiben, Liken und Teilen von Posts, die gegen den/ die/ das einzelne Objekt des Shitstorms voraussetzen… z.B. Handgreiflichkeiten und physische Verletzungen in der nicht-digitalen Welt.

      Das gibt es ja durchaus. Der Shitstorm hebt den Betroffenen aus der Anonymitiät heraus, entsprechend wird er auch in der nicht-digitalen Welt angreifbar – und auch angegriffen. Ich glaube, dass es keine Seltenheit ist, wenn der Shitstorm eine gewisse Größe erreicht.

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