Mein Knie in dein Gesicht: Einmal für Jesus!

screenGrundsätzlich ist es durchaus vertretbar – und oft auch wünschenswert – wenn sich Institutionen an Popkultur oder Subkulturen orientieren, um Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt zu erreichen. Am 24. April feiert eine Dokumentation in den USA Weltpremiere, die aber meines Erachtens deutliche Grenzen aufzeigt – zumindest nach dem zu urteilen, was ich mir jetzt über das Thema angelesen habe. Es geht um die explizite Zurschaustellung von „Mixed Martial Arts“ (MMA), von „Gemischter Kampfkunst„, in einem religiösen Kontext. Der Film heißt „Fight church“ und dreht sich um das Phänomen, dass in den USA (nach Angaben der Filmemacher) „hunderte Kirchen im ganzen Land“ solche Kämpfe nutzen, um Gemeinschaft zu stärken und neue Kirchgänger zu gewinnen. Vor einigen Tagen wurde der Trailer zu dem Film veröffentlicht:

Das Besondere daran: Pastoren selbst steigen in den Ring, kämpfen gegeneinander. Es gibt sogar  „Fight ministries“ -Gemeinden, die zugleich Martial Arts-Schulen sind. Der Pastor ist zugleich der Trainer. Das Motto der Schule: „Where Feet, Fist and Faith Collide“ – „Wo Füße, Fäuste und Glaube aufeinander stoßen.“

„Kannst du deinen Nächsten lieben wie dich selbst, und ihm zugleich – so hart es geht – dein Knie ins Gesicht rammen?“ Das fragen sich die Autoren der Dokumentation. Und tatsächlich – das ist eine wesentliche Frage. Die Pastoren, die von dem Konzept der „Fight Church“ überzeugt sind oder sogar daran teilnehmen, argumentieren offenbar damit, dass nirgendwo in der Bibel das „sportliche Kämpfen“ verboten sei. (Eine Rückfrage, die ich da gerne stellen würde: Definiert sich ein christlicher Lebensstil etwa durch Gebote und Verbote?) Andere verweisen auf David oder Samson, die in biblischen Texte für ihre Heldentaten im Kampf gewürdigt würden.  Und in obigem Trailer sagt ein Pastor: „Wir sind nur ein paar gottesfürchtige Männer, die sich gegenseitig ins Gesicht schlagen.“ Ebenfalls im Trailer ist der Satz eines Gemeindeleiters zu hören: „Das Mainstream-Christentum hat die Männer verweiblicht.“ Ähm. Ernsthaft? 

Was in diesem Kontext besonders irritiert, ist die Brutalität dieses Sports. Schon ein einfacher Blick in die Wikipedia zeigt: Fast alles ist erlaubt. Und es geht unter Umständen um ein Kämpfen bis zur Bewusstlosigkeit. Wer das privat macht – bitteschön. Bleibt ja jedem unbenommen. Berechtigt muss aber schon die Frage gestellt werden, inwieweit man damit christliche Verkündigung betreiben kann – zumal eine zentrale Botschaft berührt wird: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. (Das bleibt nicht auf das Christentum beschränkt, in anderen Religionen würde sich m. E. dieser Konflikt genauso ergeben.)  Auch wenn man es auf einer sportlichen Ebene betrachtet, bleibt hier doch offensichtlich die Botschaft der Liebe diametral dem entgegengesetzt, was im Ring passiert: Zwei Menschen prügeln sich, bis einer nicht mehr kann. Es geht, spitz gesagt, darum, sich über die körperlichen Verletzungen eines anderen Menschen zu freuen. (Und so formuliert ist es auch egal, ob dies in beiderseitigem Einvernehmen geschieht.)

Ich bleibe mit einigen Fragen zurück. Gibt es Grenzen, an denen die Überschneidung (bzw. Vereinahmung) von Pop- oder Subkultur durch Religion (und auch andersherum) nicht mehr funktioniert? Falls ja, wo sind die Grenzen zu ziehen? Kann man sich, wie diese Pastoren behaupten, „in Liebe“ prügeln – wenn man es als Sport betrachtet? Kann ein Pastor neben dem Ring stehen und seinem Schützling zurufen: „Schlag ihm ins Gesicht, ins Gesicht!“?

Veröffentlicht von Fabian M.

Fabian Maysenhölder, Diplom-Theologe und Online-Journalist, ist Herausgeber des Blogs "Theopop". Während seiner Berliner Studienzeit wurde bei ihm in einem Seminar zu dem Thema „Kirche in den elektronischen Medien“ Interesse für diesen Forschungsbereich geweckt, der immer mehr an Bedeutung gewinnt – nicht nur für die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit. In seiner Freizeit spielt er Badminton und engagiert sich ehrenamtlich in der Straffälligenhilfe.

10 Antworten auf &‌#8222;Mein Knie in dein Gesicht: Einmal für Jesus!&‌#8220;

  1. Ich oute mich als Pfarrer, der einmal die Woche auch Kampftraining macht, ich denke es kommt als MMA Training hin, auch wenn wir uns nie verletzen würden.
    Richtig ist: Man trifft ganz andere Leute, als im sonntäglichen Gottesdienst. Insofern ist es gut um über den Glauben zu reden und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen….

    1. Ich kann mir vorstellen, dass das Publikum da ein ganz anderes ist. 🙂

      Der entscheidende Punkt: Du schreibst, ihr würdet euch nie verletzen. Das ist für mich dann ein wesentlicher Unterschied zu dem Obigen – so etwas auch in einen kirchlichen/gemeindlichen Rahmen zu stellen, fände ich weitaus unproblematischer. Was denkst du als „Insider“? Gibt es eine (Gewalt-)Grenze, an der dieser Sport mit z. B. der Nächstenliebe“ kollidiert“?

      1. Nein, gibt es bis auf dauerhafte Verletzungen und den Tod (du sollst nicht töten, etc) eigentlich kaum: Es ist Sport und wenn ich einen brutalen Sport treibe, gehe ich das Risiko ein, dass etwas passieren kann.
        Im Sport kämpfe ich zwar, aber ich hasse meinen Gegner ja nicht, auch wenn es vielleicht brutal zugeht. Nach dem Sport kann ich beste Freunde sein, auch wenn ich dem anderen gerade geschlagen habe.
        Im Übrigen zählen Kampfsportler zu denen, die selten auf der Strasse mit anden kämpfen, da wir unsere Grenzen kennen und wissen, wie verletzlich man ist.
        Außerdem gibt es gewisse Grenzen, die eigentlich überall eingehalten werden.

        Wieso ich es übrigens sehr gerne machen: Es ist der beste Weg um Aggressionen rauszulassen….

        Allerdings würde ich nie im Ring kämpfen. Ich komme eigentlich aus dem Taekwondo, da geht es vor allem um Selbstverteidigung. Mixed Martial Arts ist da viel heftiger und es geht nicht mehr um Selbstverteidigung, sondern um Sieg. Hier lerne ich allerdings meine Grenzen zu überwinden (sehr große Nähe im Kampf). Aber ich schweife ab…

      2. Das verstehe ich ja alles, und wie gesagt: Ich kann das durchaus nachvollziehen, wenn das jemand privat macht.

        Sorry, dass ich da vielleicht etwas naiv nachhake, aber es interessiert mich wirklich: Eine Möglichkeit ist ja bei den MMA, zu gewinnen, wenn der Gegner bewusstlos am Boden liegt. Es ist für mich doch schwer vorstellbar, wie man auf diese Weise eine Botschaft der Nächstenliebe geradezu vermitteln will (und ich rede nicht vom privaten Bereich – da würde ich, wie gesagt, deutliche Unterschiede machen).

        Es geht ja bei der „Fight church“ gerade nicht darum, das privat zu betreiben (also MMA zu trainieren, um – zum Beispiel – Aggressionen rauszulassen), sondern in einem Rahmen, der offiziell von einer Gemeinde gesetzt wird, „in den Ring“ zu steigen (in deinen Worten: „Es geht um Sieg“). So, wie ich dich verstehe, würdest du da ja auch einen Unterschied machen.

        Genau Letzteres würde ich kritisch betrachten, da es darum geht, einen anderen körperlich zu verletzen (erstmal egal, ob dauerhaft oder nicht. Das lässt sich ja vermutlich auch nicht immer ausschließen bzw. trennen). Das bringe ich mit der Verkündigung einer christlichen Botschaft irgendwie nicht zusammen (wieder: nicht unbedingt in privatem Rahmen, aber wenn es institutionell so angelegt wird).

      3. Also, zuerst mal: Wenn ich privat Kampfsport im Fitnessstudio mache, sehen mich meine Schüler (Als Pfarrer), die Leute kennen mich als Pfarrer, die Mitkämpfer, ergo: Ich bin nie ganz privat. Ich mache als Privatmann und als Pfarrer Kampfsport.
        Zweitens: Ziel im Kampfsport, auch im MMA (musste nochmal bei Wikipedia nachlesen) ist nie den anderen zu verletzen, sondern zu siegen. Und Sieg heißt in diesem Fall ihm zum Aufgeben zu zwingen.
        Man beachte: Inzwischen gibt es auch eine Variante im MMA, in der manche Brutalitäten nicht erlaubt sind (sagt Wikipedia)
        Drittens: Laut Wikipedia ist das Verletzungsrisiko bei MMA nicht größer als beim Boxen. Das deckt sich mit meinen Beobachtungen bei Trainern: Natürlich kann es Verletzungen geben, aber man kennt seine Grenzen und lernt Angriffe abzuwehren (Verteidigung: Mein großes Manko, muss ständig Trainieren mich mehr zu decken). Und: Auch in anderen Sportarten gibt es schlimme Verletzungen: Ski fahren, Fussball, Bungeejumping, alles mögliche mit teils schlimmen Verletzungen.
        Viertens: Verletze ich absichtlich, um zu verletzen: Dann ist es für mich gegen christliche Grundsätze. Aber ist dies im Sport der Fall, wenn ich die Verletzung des Gegners in Kauf nehme um zu gewinnen?
        fünftens: Gegen Siegen wollen sagt die Bibel nichts. Darauf berufen sich laut Doku-Ausschnitt manche der Kirchen: Sieg (im Sport) ist durchaus biblisch (Kriegsgeschichten im AT, Paulus und der Wettkampf, Offenbarung: Sieg über den Teufel)
        und sechtens: Würden wir auch bei anderen Sportarten so einen Aufstand machen? Auch bei Fussball nehme ich die Verletzung meines Gegners im Kauf um zu siegen…
        Und es gibt christliche Fussballvereine und Verbände. Auch Fussballturniere der Kirche…

        Wie gesagt: Ich kämpfe absichtlich nicht, würde auch andere nicht verletzen wollen, aber wenn die so doof sind sich freiwillig im härtesten Metier die Nase einzuklopfen??

        Richtig ist: Man erreicht damit komplett andere Menschen, kann also missionieren.

        Um mehr darüber zu urteilen, müsste man m.E. mehr als den Trailer sehen. Wann kommt der Film denn nach Deutschland? oder ist irgendwie auch auf Englisch zu sehen?

      4. Herzlichen Dank für diesen Insider-Einblick! Das gibt mir nun Einiges zum Nachdenken.

        Der Film feiert am 24. April Premiere auf einem US-Festival. Ob der in Deutschland kommt, weiß ich nicht. Werde das aber verfolgen und dann hier als Kommentar posten, sobald ich etwas finde.

  2. Ein spannendes Thema. Ich bin ja ein großer Kampfkunst-Fan. Allerdings betreibe ich keine aktiv, überlege aber immer wieder, ob ich nicht doch anfangen soll. Bei mir in der Nähe gibt es ein Bujinkan-Dojo. An einem Wettkampf habe ich kein Interesse. Ich finde die Bewegungsabläufe faszinieren oder besser gesagt: Es sieht schon verdammt cool aus. Zumindest im Film, Ich würde das auch gern können. Echte Kämpfe, besonders Boxen, finde ich nicht sehr spannend.

    Ich würde mich gern an der Diskussion beteiligen. Bzw. ein paar einer Gedanken dazu äußern.
    Was mich zum Nachdenken gebracht hat bzw, wo ich etwas anderer Meinung bin, ist der vierte Punkt. Beim Kampfsport gibt es schon eine Unterschied zu anderen Sportarten. Beim Kampfsport nehme ich die Verletzungen nicht nur in Kauf, um zu siegen, sondern ich füge sie bewußt zu, um zu siegen. Zumindest im Halb- und Vollkontakt. Wenn ich auf den Gegner hier nicht einschlage und ihm weh tue, wird er wohl nicht aufgeben oder k.o. gehen. Hier ist auch die Frage, ob man bewußtlos werden mit aufgeben gleichsetzen kann. Beim Fußball kann man auch auch siegen, wenn man den Gegner nicht verletzt.

    Was das Siegen angeht. In der Bibel wird sicher gesagt, dass es gut ist sein bestes zu geben und zu siegen. Aber für mich stellt sich die Frage, wen man besiegt. Ist es ein Sieg gegen das Böse, ist es ein Sieg über mich selbst oder besiege ich einen Mitmenschen. Wenn ich siege, verliert dann ein anderen Mensch? Und wenn jemand einen anderen besiegt, erhöht er sich nicht dann automatisch über den anderen? Bei Olympia gibt es ja das Siegertreppich, da sieht man es ganz bildlich. Ist das christlich? Sagt nicht Jesus zu den Jüngern, das gerade der, der am geringsten unter ihnen ist, nachher im Himmel der größte ist? Oder so ähnlich. Und die letzten werden die ersten sein?
    Ich selbst spiele natürlich auch oft, auch um zu gewinnen. Ich denke letztlich kommt es auch immer darauf an, wie man mit dem Besiegten umgeht. Was ich z.B. bei dem Lied „We are the champions“ von Queen schlecht finde ist die Zeile wo es heißt „No time for losers. ‚Cause we are the champions of the World“. Das ist klingt für mich ziemlich fies. So nach dem Motto: „Haha, ihr dummen Loser, ihr seid gar nichts wert. Niemand wird sich an euch erinnern“.

    Zum Abschluß noch ein Film Ausschnitt. @Gerhard Beck: Als Teakwando-Kämpfer wirst du ihn sicher kennen. Er passt ganz gut zu der Frage, ob man Verletzungen eines Gegner oder Schlimmeres in Kauf nehmen sollte, nur um zu gewinnen. Das Ende eines Films, das mich immer wieder bewegt: http://www.myvideo.de/watch/6049752/Karate_Tiger_4

    Grüße,
    Achim

    1. Danke für deine Gedanken zu dem Thema. Ist vieles sehr Wichtiges dabei, das ich gar nicht so im Blick hatte, glaube ich.

      Dein Punkt:

      Beim Kampfsport nehme ich die Verletzungen nicht nur in Kauf, um zu siegen, sondern ich füge sie bewußt zu, um zu siegen. Zumindest im Halb- und Vollkontakt. Wenn ich auf den Gegner hier nicht einschlage und ihm weh tue, wird er wohl nicht aufgeben oder k.o. gehen. Hier ist auch die Frage, ob man bewußtlos werden mit aufgeben gleichsetzen kann. Beim Fußball kann man auch auch siegen, wenn man den Gegner nicht verletzt.

      … das bringt glaube ich ziemlich präzise auf den Punkt, womit auch ich Schwierigkeiten habe. Und warum auch ich durchaus einen Unterschied zwischen Kampfsport und anderen „Spielsportarten“ sehe.

      1. Zuerst: Ich verletze im Kampfsport nicht um zu gewinnen. Auch nicht im Vollkontakt. Ich nehme sie in Kauf, ich weiß, dass der andere vielleicht verletzt wird. Aber ich mache es nicht absichtlich. Der Sieg ist das Ziel, die Aufgabe des Gegners. Nicht die Brutalität.

        Habe heute mit meinen schülern über Vorbilder geredet, ein Fussballer stellte einen anderen Fussballer vor und meinte, seine Fairness zeichne sich dadurch aus, dass er andere nicht absichtlich versteckt foule, z.B. mit dem Ellbogen stoße, wie es sonst passiert.
        Da habe ich an unsere Diskussion gedacht: Wer fair ist, verletzt möglichst wenig.
        Genauso auch im Kampfsport, zumindest wie ich ihn kenne. Schon allein deshalb, da man ja auch nicht verletzt werden will.

        Ich finde einen anderen Punkt wichtiger

        Ich denke letztlich kommt es auch immer darauf an, wie man mit dem Besiegten umgeht.

        Das ist glaube ich für die Fighting Ministries der Punkt: Ich kann mit dem Besiegten durchaus ehrenvoll umgehen und mich nicht erhöhen.

        Gestern viel mir noch eine andere Variante zu der eigentlichen Frage ein: Beim Motorsport wird (bis auf Ausnahmen) wahnsinnig viel Benzin verbraucht. Besonders umweltfreundlich ist das nicht. Das widerspricht wiederum der Aufgabe des Menschen die Umwelt zu bewahren. Darf ich als Christ mich im Motorsport betätigen? Als Kirche Motorsportler segnen?

  3. Warum fällt mir jetzt nur „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ein ?
    Echt krass, hätte nicht gedacht, das es soetwas gibt :O
    Also nicht im Christentum …
    Tja, man lernt nie aus!

    Grüße Bernd

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